Bernhard Peter
Takahashi (Präf. Okayama), Raikyu-ji


Den Kopf der alten Stadt Takahashi bildete der Burghügel mit der ehemaligen Residenz des lokalen Daimyo, des Onegoya Goten am Fuße des Burgbergs. Die sich von da nach Süden zwischen Fluß und Hügelkette ausbreitende Stadt war funktionell in die Bereiche der Samurai in Residenznähe fern vom Fluß, den Bereich der Handwerker und Händler in Flußnähe und in den Bereich der Tempel am Fuße der östlichen Hügel geteilt. In einer langen Linie reihen sich hier im Osten der Stadt jenseits der Bahntrasse der Hakubi Line viele Tempel aneinander, deren touristisch wichtigster der nördlichste der Reihe ist, der Raikyu-ji (Adresse: 18 Raikyujicho, Takahashi, Okayama 716-0016). Sowohl das Viertel als auch die westlich entlangführende Straße Raikyu-ji-dori sind nach dem Tempel benannt. Es gibt zwei Zugänge, einer führt von Westen her eine steile Treppe hinauf und führt nach einem doppelten Versatz des Weges durch ein schmuckes Satteldachtor, der andere führt von Süden her an ein paar Wohnhäusern und einem Vereinsheim vorbei. Das Tempelareal mißt ca. 90 in Nord-Süd- und 75-80 m in West-Ost-Richtung. Im Norden steht isoliert eine große Halle (Zendo). Im Osten sind drei Gebäude miteinander verbunden, die Haupthalle (Hondo) im Norden, senkrecht daraus hervorwachsend und nach Osten vorstoßend der Shoin, und im Süden der Kuri.

Das Gründungsjahr des Tempels ist nicht genau bekannt. In den Anfängen gehörte der Tempel zum Eigen-ji (Präfektur Shiga), der ein Vertreter des Rinzai-Zen-Buddhismus war. Im Jahre 1339 wurde der Tempel vom Shogun Ashikaga Takauji als Ankoku-ji-Tempel neu gegründet, geführt vom chinesischen Zen-Mönch Chuhou Minpon bzw. Jakushitsu Genkou. Ankoku-ji ist dabei kein spezieller Eigenname, sondern eher ein Tempeltyp, denn solche Ankoku-Tempel dienten der Befriedung und Stabilisierung des Landes nach dem Genkou-Krieg. In diesen Tempeln, von denen es eine Vielzahl in Japan gibt, sollte speziell die Erinnerung an die Gefallenen dieses Krieges (Genkou no ran, 1331-1333) zwischen dem Kaiser Go-Daigo und dem Kamakura-Shogunat bewahrt werden. Ueno Yorihisa (= Raikyu, Kanbun-Lesung der beiden Kanji des Namens Yorihisa, klassische Han-chinesische Lesung), der damalige Eigentümer der Burg Bitchu Matsuyama, ließ die Gebäude im Jahre 1504 erneuern. Er wurde selbst hier bestattet, und ihm zu Ehren wurde der Tempel in Raikyu-ji umbenannt, so daß er nun mit vollem Namen Tenchuu-zan Ankoku Raikyu-ji heißt, denn der Bergname (Sangou) lautet Tenchuu-zan. Der Tempel wurde 1575 durch Krieg zerstört, danach von Mouri-Vasallen wiederaufgebaut, 1839 (Tenpo 10) durch Brand vollständig zerstört, und danach wieder aufgebaut. Nach wie vor gehört der Zen-Tempel zum Rinzai-Buddhismus der Eigen-ji-Schule; das hier verehrte Hauptkultbild ist eine Heilige Kannon (Sho Kanzeon Bodhisattva). Der Tempel ist Bestandteil von zwei regionalen Pilgerwegen, der 5. Tempel des Bitchuu-Saigoku-Pilgerweges und die 13. Station des erst 1986 ins Leben gerufenen Setouchi Kannon-Pilgerweges.

Goshuin des Tempels Raikyu-ji in Takahashi, rechte Doppelspalte unten: Datum: Sa, 26.8.2023 = Reiwa 5 nen hachi-gatsu ni-juu-roku-nichi.

Besonders sehenswert ist der Garten des Raikyu-ji, der seit 174 als national wichtige Stätte landschaftlicher Schönheit ausgewiesen ist. Denn dieser östlich vom Kuri und südöstlich vom Shoin befindliche Garten wurde von Kobori Masakazu (= Kobori Enshu) angelegt, der in der frühen Edo-Zeit 1604 seinem Vater Kobori Masatsugu im Amt nachfolgte, welcher seit 1600 in Bitchu als Gouverneur (Daikan) eingesetzt war. Er war nicht Daimyo, denn zu jener Zeit war das von Tokugawa Ieyasu von den Mouri beschlagnahmte Land kein Lehen, sondern Tenryou, Land des Shogunats, und Kobori Masakazu war nur der eingesetzte Administrator, ebenso sein Sohn. Kobori Enshu, ein berühmter Teemeister und Gartengestalter, lebte während der kriegerischen Zeiten nicht in der durch die vorangegangenen Kriegswirren zerstörten Burg, sondern in diesem Tempel. Erst 1619 war die Burg soweit wiederhergestellt, daß man sie wieder beziehen konnte. Die Anlage des Gartens fällt also in die Zeit von 1604-1619. Der im wesentlichen 1609 fertiggestellte Garten ist typisch für die frühe Edo-Zeit, es ist ein Karesansui-Garten (Trockenlandschaftsgarten) vom Horai-Typ, ein reiner Betrachtungsgarten mit Gruppen von Steinsetzungen, die Berge der chinesischen Mythologie nachbilden, mit Schildkröten-Insel und Kranich-Insel im Ozean des weißen Kieses (Tsuru-jima und Kame-jima, Tsurukame-no-niwa). Den Hintergrund bilden zusammengewachsene, ondulierend geschnittene Azaleen-Büsche, und in der Ferne ragen die Hügelgipfel des Atago-san nach dem Prinzip der geborgten Landschaft (Shakkei) ins Bild und erzeugen Tiefe. Seitdem ist dieser Garten weitgehend unverändert erhalten worden. Den schönsten Blick hat man, wenn man auf der Veranda der Tempelhallen sitzt und den Blick über die sich nach hinten staffelnden kulissenartigen Gestaltungselemente schweifen läßt. Nördlich des Shoin und östlich der Haupthalle gibt es einen zweiten Garten, erheblich kleiner und im wesentlichen ein Teichgarten. Die 1,48 m hohe Steinlaterne im Garten ist ein von der Stadt Takahashi ausgewiesenes Kulturgut. Die einzelnen Teile stammen aus unterschiedlichen Zeiten, Schirm und Sockel sind in der mittleren Edo-Zeit angefertigt worden, aber die Lampenöffnung und der Schaft stammen aus der Nanbokucho-Zeit. Der Schaft ist sogar datiert auf das Jahr 1339.

Weitere Tempelschätze sind ein Kenbon-chakushoku-Shaka-sanzon-zou, eine Darstellung von Buddha Shakyamuni mit zwei Begleitern (Shaka-Triade), eine aus der Kamakura-Zeit stammende Malerei auf Seide (wichtiges Kulturgut), heute im Nationalmuseum Nara, und Kenbon chakushoku Jakushitsu Genkou chinzou, eine Darstellung des Gründungsabtes, ebenfalls eine Seidenmalerei (Kulturgut der Präfektur), heute im Geschichts- und Kunstmuseum der Stadt Takahashi aufbewahrt.

Auf dem Tempelgelände gibt es ein paar bemerkenswerte Grab- bzw. Gedenkstätten im Norden des Geländes, darunter die von Mimura Iechika (1517-24.2.1566, Sohn von Mimura Munechika, Daimyo von Bitchu während der Sengoku-Zeit, Eigentümer der Burgen Kakushu und Bicchu Matsuyama, durch Musketenschuß ermordet von den Brüdern Endou Matajirou und Yoshijiriu im Auftrag von Ukita Naoie, weitere Gedenkstätte im Tempel Genju-ji), von Mimura Motochika (-9.7.1575, Daimyo von Bitchu während der Azuchi-Momoyama-Zeit, Eigentümer der Burg Bitchu Matsuyama, verübte im Shoren-ji Seppuku nach einer Niederlage gegen die Koalition der Mouri und der Ukita, weitere Gedenkstätte im Tempel Genju-ji), die von des letztgenannten Sohn Shoboushi-maru (getötet von Takakage Kobayakawa), die von Otobe Gonoshin (-20.6.1869, Krieger und Gefolgsmann in Diensten des Daimyos und Mitglied der Shinsengumi, einer Samurai-Schutztruppe, die in der späten Edo-Zeit in Kyoto für den Erhalt des Shogunats kämpfte) und die von Ueno Yorihisa (-1521, Krieger der Sengoku-Zeit und Herr der Burg Bitchu Matsuyama). Nur das Otobe-Grabdenkmal befindet sich abseits von den anderen im Südosten des Geländes hinter dem berühmten Garten.


Photos

Sanmon

Haupthalle (Hondo)

Genkan links und Kuri rechts

Genkan

Haupthalle links und Genkan rechts

Kuri

Zendo

Zendo

Zendo

Haupthalle links und Shoin rechts

Haupthalle

Shoin

Shoin

Kuri

Blick durch die SO-Ecke der Haupthalle zum Shoin

rundes Fenster an der SO-Ecke der Haupthalle

Shoin

Haupthalle

Haupthalle

Shoin

Shoin

Kuri

Blick vom Shoin zur Haupthalle, links Kuri

Kuri

Shoin

Blick vom Shoin zur Haupthalle

Garten im Eck zwischen Haupthalle (Hintergrund) und Shoin

Blick aus dem Shoin

Haupthalle

Haupthalle

Kuri

rechts im Hintergrund der Berg Atago-san


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@34.7972928,133.61897,20z?entry=ttu - https://www.google.de/maps/@34.7972928,133.61897,106m/data=!3m1!1e3?entry=ttu
Webseite des Tempels:
https://raikyuji.com/ - Kobori Enshu: https://raikyuji.com/enshu/enshu.html - Garten: https://raikyuji.com/garden/garden.html - Geschichte: https://raikyuji.com/history/history.html
Webseite der Stadt:
http://takahasikanko.or.jp/modules/spot/index.php?content_id=2
Tempel auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Raiky%C5%AB-ji - https://ja.wikipedia.org/wiki/%E9%A0%BC%E4%B9%85%E5%AF%BA - https://de.wikipedia.org/wiki/Raiky%C5%AB-ji
Besucherfaltblatt des Tempels


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