Bernhard
Peter
Die
Medrese von Ulugh Beg in Samarqand
Ulugh
Beg der Förderer von Kultur und Wissenschaft
Es gibt insgesamt drei Ulugh
Beg Medresen, alle drei während der Regierungszeit von Ulugh Beg
(Muhammad Taragai) errichtet wurden, dem ältesten Sohn von Shâh
Rukh und seiner Gemahlin Gauhar Shad, geb. 1394, der 1409
Statthalter von Transoxanien und Gouverneur von Samarqand und
dort eine quasi selbständige Herrschaft führte, während sein
Vater von Herat aus die Oberherrschaft innehatte. 1447-1449
folgte Ulugh Beg als Gesamtherrscher nach, konnte sich in den
nachfolgenden Wirren um den Thronanspruch nicht halten. Viel mehr
denn als politischer oder militärischer Herrscher ging Ulugh Beg
als Gelehrter, Wissenschaftler und Astronom in die Geschichte
ein, mit seinem Namen verbindet man neben dem berühmten
Observatorium auch die Stiftung mehrerer Hochschulen:
Eine
der ältesten islamischen Lehrstätten
Die Ulugh Beg Medrese in
Samarqand ist eine der ältesten Medresen in Mittelasien. Sie
gilt als wegweisendes Musterbeispiel der islamischen
theologischen Hochschule und ist eines der harmonischsten und
ausgereiftesten Konzepte dieser Art. Von den drei genannten
Medresen ist die in Samarqand die größte und die für die
architektonische Entwicklung signifikanteste. Sie gehört
stilistisch noch zur timuridischen Architektur, auch wenn sie
unter seinem Enkel errichtet wurde. Die Medrese war bis im
späten 17. Jh. als solche in Benutzung, danach war keine Bedarf
mehr sie wurde als Kornspeicher benutzt und verkam und verfiel.
Erst im frühen 20. Jh. wurde der Lehrbetrieb in den ehrwürdigen
Mauern wieder aufgenommen. Heute werden wie in so vielen alten
Medresen die einzelnen Zellen von Kunsthandwerkern, Teppich- und
Souvenirhändlern genutzt.
Abb.: Ulugh Beg Madrasa, Registan, Samarqand, Grundriß des Erdgeschosses
Ein
Musterbeispiel einer islamischen Hochschule
Die Medrese bildet ein
Rechteck von 56 m x 81 m. Markantestes Teil ist der gewaltige
Eingangs-Pishtaq, der gut und gerne zwei Drittel der
Fassadenbreite einnimmt. An den Ecken stehen flankierend zwei
Minarette, die hier im Gegensatz zu einer Moschee
nicht für den Einsatz eines Muezzins bestimmt waren, sondern aus
ästhetischen Gründen gebaut wurden: Die schlanken Türme bilden
einen Rahmen für die Fassade und bilden ein optisches
Gegengewicht zur massiven Baumasse des Pishtaqs, der mit 34.7 m
doppelt so hoch ist wie das ansonsten zweistöckige Gebäude. Man
kann diese Minarette besteigen, die wachhabenden Milizionäre
offerieren dem Interessierten, eines davon gegen entsprechende
"persönlich zu entrichtende" Gebühr zu besteigen, als
besondere Gunst natürlich. Nur betonen so viele Milizionäre so
häufig dieses außerordentliche Angebot, und vermerken dabei
auch stets, wann sie Dienst haben und wann nicht, wenn man nicht
direkt darauf eingeht, daß der Eindruck besteht, ihr
hauptsächlicher Zeitvertreib ist außer der Bewachung der
Gebäude die Sicherung dieser Art von Zubrot. Die flacheren
Mauern dazwischen sind mit Blendarkaden gegliedert. An den Seiten
der Medrese sind noch zwei kleinere Eingänge, die mit zwei
weiteren Iwanen der Hoffassade korrespondieren. Man kann den Hof
also durch drei der vier Iwane betreten. Der Innenhof ist
quadratisch mit einer Seitenlänge von 33 m und ist ein schönes
Beispiel für das Vier-Iwan-Schema: In der Mitte jeder Hoffassade
befindet sich einer. Um den Innenhof liegen die einzelnen Zellen
der Studenten, im Untergeschoß direkt vom Hof aus zugänglich,
im Obergeschoß von einem schmalen Gang aus, der hinter den
offenen Arkaden verläuft. In beiden Stockwerken zusammen hatte
man ca. 50 Kammern, meist in eine vordere und eine rückwärtige
Raumeinheit unterteilt. Bei Doppelbelegung kann man also von
einer Kapazität von ca. 100 Studenten ausgehen. Eine absolute
Besonderheit der Medrese ist an der rückwärtigen Seite des
Gebäudes, im Westflügel, die große mehrjochige Wintermoschee
mit 10 Muqarnas-Nischen und blau-weißen Holzbalken-Decke auf 6
Stützpfeilern, früher mit mehreren Kuppeln gedeckt. In den vier
Ecken des Gebäudes befinden sich ebenfalls Räume, deren
quadratische Basis durch je vier Seitennischen zur Kreuzform
aufgeweitet wird. Auch das Zimmer der Lehrkörper in der
Südwestecke ist mit einer blau-weiß gestrichenen
Holzbalkendecke geschlossen, obwohl überall noch
Muqarnas-Ansätze zu finden sind, die dafür sprechen, daß die
Balkendecke eine spätere Lösung ist und hier früher eine
gewölbte Kuppel war. Auch die rückwärtigen Gebäudeecken sind
mit schlanken Minaretten akzentuiert. Die vorderen Minarette
enden mit der umlaufenden Konsole für eine heute nicht mehr
vorhandene Struktur, die hinteren enden einfach gekappt, denn sie
enden auf geringerer Höhe als die beiden vorderen.
Studentenbuden
auch im Obergeschoß
Der Hof ist auf zwei
Stockwerken von Studentenzellen umgeben. Das ist so perfekt
restauriert, daß man sich kaum vorstellen kann, daß das
komplette Obergeschoß rekonstruiert wurde, denn bis auf wenige
Grundmauern der Zellen und entlang der Außenmauer war es
verloren. Das Obergeschoß hat die Zeiten nur als Ruine
überdauert. Die hohe, fast fensterlose Außenmauer, die durch
beide Geschosse gehenden Iwane und überkuppelten Räume sind
noch wie einst vorhanden gewesen, als man mit der Restaurierung
begann. Aber von den vielen Studentenkammern im Obergeschoß sind
nur Reste der Trennwände auf uns gekommen, die an der
Außenmauer hochlaufen. Anhand der Mauerreste war aber eine
Rekonstruktion des Obergeschosses möglich, wie nachfolgende
Abbildung zeigt. Hier kommt dem Restaurator der modulare Aufbau
sehr gelegen, auch der repetitive Charakter der Dekoration macht
die Ergänzung in so weitreichendem Ausmaße möglich. Die
einzelnen Zellen sind relativ hoch, die meisten Zellen im
Erdgeschoß haben eine Zwischendecke aus Holzbalken und sind
damit zweistöckig. Diese Eigenschaft läßt den Besucher auch
den Innenhof viel enger, schachtartiger erscheinen als bei den
anderen Medresen, weil hier ein gang anderes
Höhe-Breite-Verhältnis herrscht. Dazu trägt auch bei, daß der
gesamte Hof unten von einem ca. 1.50 m hohen steinern
verkleideten Sockel umgeben ist, dann erst beginnt das sichtbare
Ziegelmauerwerk. Die steinerne Sockelfläche ist mit schwarz
eingelegten Gerich-Motiven geschmückt.
Der Besucher von heute nimmt überhaupt nicht war, daß das gesamte Obergeschoß rekonstruiert wurde, so perfekt wurde es gemacht, so harmonisch ergänzen sich alte und neue Flächen, und vor allem: So perfekt und schön ist der Gesamteindruck im Innenhof, daß man gar nicht auf die Idee komt, daß vor 80 Jahren hier kein Obergeschoß mehr vorhanden war. Ferner ist anzunehmen, daß die in den Gebäudeecken liegenden Kuppelräume nicht nur mit der heute nur noch bei zweien erhaltenen flachen Kuppel gedeckt waren, sondern einst darüber einen timuridischen Tambour und eine geriffelte Außenkuppel getragen hatten, wie auch bei der späteren gegenüberliegenden Shir-Dor-Medrese.
Abb.: Ulugh Beg Madrasa, Registan, Samarqand, Grundriß des Obergeschosses, teilweise Rekonstruktion
Nur
der Rest eines Gesamtkonzeptes
Der Registan, wie er sich uns
heute zeigt, entspricht nicht dem ursprünglichen Konzept zu
Zeiten von Ulugh Beg. Sein städtebauliches Konzept sah
gegenüber seiner Medrese dort, wo heute die Medrese Shir Dor aus
dem 17. Jh. steht, eine Khanqah vor. Von seinem Baukonzept, das
neben der Medrese und der Khanqah auch noch Basarbauten, Moscheen
und Karavansarays vorsah, hat sich nur diese Medrese erhalten. An
der Stelle der ehemaligen Karavansaray steht heute die dritte,
mittlere Medrese.
Reiches
dekoratives Programm
Die Wände der Medrese zeigen ein vielfältiges dekoratives
Programm, so als ob diese Hochschule auch handwerklich und
künstlerisch den hohen Stand der damaligen Leistung illustrieren
soll. Hazarbaf-Ziegelwerk, Haft-Rangi-Fliesen, Mosaik-Fayence
kommen zum Einsatz. Großflächige geometrische Ornamente,
Kufi-Inschriften, Girikh-Ornamente auf diagonaler Basis,
Blumenmotive und Arabesken überziehen die Wände. Das Feld über
dem Eingangs-Iwan ist mit einem komplizierten Stern-Ornament
gefüllt. Die beiden schmalen senkrechten Flächen rechts und
links des Eingangs-Iwans sind je in drei Blendbögen unterteilt,
deren Felder mit unterschiedlichen großformatigen Mustern
gefüllt sind. Den äußeren Abschluß des Eingangs-Pishtaq
bilden schmale Säulen mit spiralförmig verlaufender
Oberflächengestaltung, die sie wie ein Tau wirken läßt. Marmor
wurde für den Dado verwendet. Über dem zur Moschee führenden
Portal steht eine Inschrift, die symbolisch für die von Ulugh
Beg angestrebte Vereinigung von Wissenschaft und Religion steht:
Dieses Gewölbe wurde gebaut, um dem Paradies zu
ähneln...In ihm sind Lehrer der wissenschaftlichen Wahrheiten
zum Nutzen der Religion, unter der Leitung des größten der
Sultane...
Einzigartige
Baudetails
Im Hof schließen alle Pishtaqs im Grundriß mit der Linie der
Zellen ab, die noch stärkere Betonung der axialen Elemente durch
ein Vorspringen der Pishtaqs kommt erst in späterer Zeit. Alle
Pishtaqs und Iwane im Hof sind annähernd gleich hoch und haben
auch einander gegenüber entsprechende Dekorelemente wie
Schriftfriese oder Arabeskenfelder. So wirkt der Hof nicht nur
einheitlich, sondern durch die Ausgeglichenheit seines
Achsenkreuzes perfekt in sich ruhend. Alle Pishtaqs haben ein
breites Thuluth-Band oben quer und ein umlaufendes
umgekehrt-U-förmiges zweites Thuluth-Band. Ost- und West-Iwan
sind im Giebelfeld geometrisch geschmückt, Nord- und Südiwan
dagegen arabesk. Die Schriftbänder auf den Pishtaqs sind
ebenfalls in den Farben blau - weiß rotrot gehalten, mit
ganz spärlichen Elementen in Grün oder Türkis. Die
Innenflächen der Iwane sind mit geometrischem Kufi verziert,
dessen Linien türkis sind mit dunkelblauer Mittellinie bzw.
umgekehrt. Die Blendbögen im Erdgeschoß haben jeweils
Ecksäulchen. Die Blendbogennischen sind mit Kufi-Inschriften
ausgeschmückt, in der Regel aufs Eck gestellte
geometrische Kufi-Elemente relativ einfachen Inhalts. Die
Farbigkeit ist blau weiß rostrot türkis.
Selten gehen in einer Medrese die Eingänge direkt von Außen durch den Pishtaq geradewegs in den Hof. In der Regel ist der Durchgang leicht geknickt, so als solle sich der Eintretende bewußt werden, daß er die Welt des Profanen da draußen verläßt und in ein besonderes städtebauliches Kompartiment eintritt. Das ist übrigens ein allgemeiner Zug islamischer Architektur, daß in sich geschlossene und gestalterisch selbständige Raumkompartimente durch indirekte, in der Palastarchitektur sogar verschlungene Wege miteinander verbunden werden und der direkte Durchmarsch in einer Geraden vermieden wird. Das Ausmaß der abknickenden Wegführung ist im laufe der Zeit unterschiedlich geregelt. Hier in der Ulugh Begh Medrese knickt der Weg vom Eingang in das Vestibül wahlweise zu beiden Seiten ab, und vollzieht erst in der letzten Achse wieder den zweiten Knick zum Durchgang in den Hof. Man geht also hinter jeweils zwei Studentenzellen her und betritt erst in der letztmöglichen Achse seitlich den Hof. In späterer Zeit wurde das anders gelöst, da mußte man nur 1 Raumelement hinterschreiten und kam in der vorletzten Achse etwas weniger seitlich in den Hof. So ist das in der Shir-Dor-Medrese gelöst. Und noch später, als in shaibanidischer Zeit die polygonalen Rückwände für den Eingangspishtaq üblich wurden, wurde die Abweichung noch kürzer, man brauchte nur ein kurzes Stück diagonal zu gehen und betrat den Hof mit einem Versatz von nur wenigen Metern wie in der Tilla Kori. So haben wir in Samarqand rund um den Registan alle drei Eingangslösungen aus verschiedenen Zeiten zum Vergleich versammelt.
Die Iwane im Hof sind noch echte Iwane. Auch hier kann man eine bauliche Entwicklung verfolgen: In der ältesten Medrese sind die Hofiwane funktionell nicht nur halboffene Raum, sondern auch Durchgang hier liegen Seiteneingänge. In der späteren Sher Dor sind es nur noch halboffene Räume, und in der zuletzt gebauten Tilla Kori sind sie keine echten Iwane mehr die Pishtaqs rahmen die Zugänge zu jeweils zwei Studentenzellen, die sich nicht wesentlich von den architektonisch weniger betonten Nachbarzellen unterscheiden.
Anfang des 20. Jh. war das Bauwerk in beklagenswertem Zustand. Aufwendige Restaurierung hat dieses einzigartige Kunstwerk inzwischen weitgehend wiederhergestellt und zu einem der sehenswertesten Gebäude in Zentralasien gemacht.
Die
Medrese Ulugh Beg in Samarqand - Proportionsstudien - Photos (1) - (2) - (3) - (4) - (5) - (6)
Kalligraphien
der Ulugh-Beg-Medrese
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