Bernhard Peter
Proportionsstudien anhand der Ulugh Beg Medrese in Samarqand

Achsenkreuz und Konzentrik
Lösen wir uns von der europäischen Sicht der Architektur: Erleben wir das muslimische Bauwerk nicht von seinem Äußeren her, sondern von seinem Innern. Die beherrschenden Elemente des Grundrisses sind Achsenkreuz und Konzentrik. Es ist ein innenzentriertes Bauwerk, dessen Form und Harmonien weniger von der Außenansicht, sondern von der Innenansicht her in Erscheinung treten. Im Zentrum befinden wir uns im Fadenkreuz der Achsen, die die vier Iwane bilden, sowie im Überschneidungsquadrat der beiden schmalen Rechtecke, das die unvollendeten Raumkompartimente der jeweils gegenüberliegenden Iwane aufspannen. Wie zwei gegenüberliegende Hände errichten sie jeweils ein den Hof überspannendes Spannungsfeld und rufen nach ergänzender Wahrnehmung des dazwischen liegenden Raumes.

Konzentrische Einheiten umgeben das Zentrum: Die erste Zone ist die Hoffassade mit den Arkaden, die zweite Zone wird gebildet durch die weiter hinten liegenden Trennwände mit den Türen zu den Zellen, die nächste Zone ist die der Iwan-Rückwände. Neben diesen annähernd quadratischen Zonen gibt es noch die rechteckigen Zonen durch die vier Kuppelräume und die Außenmauern bzw. die vier Ecktürme.

Ausgehend von der realen Medrese könnte man eine ideale Muster-Medrese konstruieren, bei der ein exakt quadratischer Innenhof durch Überschneidung zweier größerer Quadrate gebildet würde (in der realen Medrese sind es keine echten Quadrate).

Der Rhythmus des Hofes
In welche Richtung der Blick auch geht, überall ist die Ansicht gleich: Ein Iwan, flankiert von je 3 Zellen auf jeder Seite. Jede Hoffassade wird durch die Iwan-Achse halbiert. Die Iwanbreite ist ca. ein Viertel der Hoffassadenbreite, jede Studentenzelle ca. ein Achtel. Die Öffnungen der Hoffassade ergeben damit einen Rhythmus 1-1-1-2-1-1-1.

Die Fassade als Spiegel des Zentrums
Diese Grundproportionen setzen sich in der dem Registan-Platz zugewandten Fassade fort: Der Eingangs-Iwan ist ca. 4 Einheiten breit, verkleinert sich auf ca. 1 Einheit, öffnet sich zum Hof wieder auf 2 Einheiten. Der vorspringende Teil der Fassade ist 8 Einheiten breit, genau wie der Hof, wovon 4 Einheiten offen und 2x 2 Einheiten geschlossene Mauer sind. Die Ecken des vorspringenden Teiles korrespondieren mit den den Hof umgebenden Arkaden. Die zurückspringenden Teile der Fassade stehen in keiner einfachen und leicht nachvollziehbaren Beziehung zu den Maßen des vorspringenden Teiles, sie sind Bestandteil des Äußeren, nicht des Zentrums, müssen sich ihm also nicht unterordnen.

Natürlich sind die hier niedergeschriebenen Gedanken idealisierend, selbstverständlich entspricht das reale Gebäude nicht auf den Zentimeter diesen Verhältnissen, sondern ist krumm und schief. Worauf es mir aber ankommt, ist zu illustrieren, daß diese Architektur von innen her lebt, vom Zentrum her seine Form und Proportion offenbart, und vom Zentrum aus verstanden werden muß, denn selbst die Platz-Fassade entwickelt sich aus dem Zentrum.

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