Bernhard
Peter
Die
Moschee Kalon in Bukhara
Synonyme: Kaljan-Moschee, Kalyan-Moschee, Masdschid-i Kalan, Masjid-i Kalon, Moschee Poi-il-Kalan (zu Füßen des Kalan).
Komplexe
Baugeschichte
Die Einordnung unter die
timuridische Architektur muß zunächst begründet werden, denn
rein zeitlich enthält die Moschee Elemente aus dem 12. Jh.,
andererseits wurde das Bauwerk erst 1514 unter den Shaibaniden
vollendet. Einst stand hier ein Vorgängerbau, der unter Muhammad
Arslan Khan, einem Karakhaniden-Herrscher am Anfang des 12. Jh.
und Vasall des Seldschuken-Sultans Sanjar, errichtet wurde. Von
seiner Moschee ist noch das Kalon-Minarett geblieben, das durch
eine kleine Verbindungs-Brücke in Höhe der Mauerkrone mit der
Moschee verbunden ist, wie das im 11./12. Jh. häufiger bei frei
außerhalb des Moscheerechtecks stehenden Minaretten vorkam.
Weiterhin stammen von seiner Moschee noch Teile der östlichen
Außenmauer, die in den heutigen Bau integriert wurden, erkennbar
an den Ornamentfeldern, deren Muster z. T. mit denen auf dem
Minarett identisch sind. Die heutige Moschee stammt vom Konzept
her aus dem frühen 15. Jh. Auch wenn die Moschee erst unter den
Shaibaniden vollendet wurde, steht sie voll und ganz in
timuridischer Bautradition. Sie ist eine der ältesten und
größten Moscheen, die zweitgrößte Mittelasiens nach der Bibi
Khanum Moschee in Samarqand. Zum Freitagsgebet hätten hier ca.
12 000 Menschen Platz (kalkuliert mit einem Reihenabstand von
1,50 m und einer Platzbreite von 50 cm.).
Die Abb. zeigt den ursprünglichen Grundriß ohne die kleineren Änderungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte ergaben, z. B. die Strebepfeiler hinter der Qibla-Wand, der die Straße überspannende Bogen an der Nordwestecke mit Laterne, der zusätzliche Vorbau an der Nordwestecke o.ä.
Vergleich
mit der Bibi Khanum Moschee in Samarqand:
Insbesondere die
Gemeinsamkeiten mit der Bibi Khanum Moschee in Samarqand machen
den timuridischen Charakter der Architektur deutlich:
Unterschiede zur Bibi Khanum Moschee in Samarqand:
Die Kalon-Moschee im Längsschnitt:
Abb.: Längsschnitt von Norden gesehen, Blick nach Süden auf den Eingangs-Bereich
Ihre Pishtaqs sind mehr als doppelt so hoch wie die Hallen, was sie sehr schlank erscheinen läßt, der Qibla-Pishtaq ist sogar fast dreimal so hoch wie die angrenzenden Gebetshallen.
Abb.: Längsschnitt von Norden gesehen, Blick nach Süden auf den Maqsura-Bereich
Ein dritter, eng verwandter Moscheebau der Timuriden ist die Freitagsmoschee von Herat, heute in Afghanistan gelegen. Auch diese zeigt die oben genannten Gemeinsamkeiten timuridischer Moschee-Architektur, sie ist aber kleiner und hat nur vier Iwane, keinen Kuppelraum.
Interessant ist auch die Einbindung der großen Moschee von Bukhara in ein übergreifendes städtebauliches Konzept: Genau dem Eingang gegenüber liegt die Mir-i-Arab-Medrese, in Achse ausgerichtet gemäß dem Kosh-Prinzip.
Gedanken
zum Umgang mit Raum und Richtung:
Es fällt vor allem die
Innenzentriertheit des Gebäudes auf, trotz der monumentalen
Eingangsführung. Eigentlich ist der riesige Eingang sogar die
einzige Stelle, wo eine gerade Verbindung zwischen innen und
außen vollzogen wird, wo die direkte Anbindung an den
städtischen Raum gesucht und inszeniert wird. Eigentlich hat die
Moschee ja noch vier Außenpforten zusätzlich, zwei an jeder
Seite, aber sie haben kein entsprechendes Fassadenelement auf der
Hofseite, der Weg durch die Pforten hinein verebbt in den
weitläufigen Pfeilerhallen. Ebensowenig führt das einzige
großartige Element der Hoflängsseiten, der jeweilige Iwan, nach
draußen auch hier führt der Weg nur in die
Pfeilerhallen. So wird eine optische Diskontinuität des Weges
geschaffen, die Innen und Außen trennt und bewußt nicht in
Bezug zueinander setzt. Die Achse ist gebrochen, das Außensystem
entspricht nicht dem Innensystem. Beide Außenpforten bilden auch
keine durchgehende optische Linie mit ihrem jeweiligen
gegenüber, in dem Sinne, daß man von einer Tür durch den
ganzen Bau hindurch und auf der anderen Seite wieder
herausblicken könnte, denn bei der einen Achse bricht der kleine
Pavillon die gerade Linie, und bei der anderen Achse steht genau
dort die kleine erhöhte Einfriedung mit dem einzigen Baum des
Hofes. Die einzige Stelle, wo wirklich Innen und Außen in
gerader Achse mit architektonischen Betonungen innen wie außen
verbunden sind, das ist der Haupteingang. Und hier findet in
höchstem Maße architektonische Kontrolle des Übergangs statt.
Kontrolle durch Iwane, sie reduzieren die Unendlichkeit des
Raumes stufenweise auf einen niedrigen Durchgang, um dann wieder
stufenweise den Raum zu weiten, sie fungieren als Art Nadelöhr,
nicht wie eine optische Schneise. Die Riwaqs sind typische
Verweilräume, der Hof ist ebenso ein Verweil-Raumkompartiment,
die einzig immanent vorhandene Richtung ist die Qibla-Richtung.
Sie ist die einzige Richtung, die nach außen getragen wird. Aber
bei der Qibla handelt es sich auch nicht um eine einzige gerade
Linie, denn beim Gebet stehen die Menschen in Reihen
nebeneinander und erzeugen so eine ganze Schar paralleler
Richtungen, so daß auch diese Richtung in der Praxis ins
Flächige gezogen wird. Beim Übergang von draußen nach drinnen
durch den Haupteingang wirken die Halbkuppeln und
Iwan-Rückwände wie eine dämpfende Hand, die den Durchgang
reguliert und alles Nichtkonforme zurückweist, draußen läßt.
Der Ebenencharakter des weitläufigen Hofareals ist stärker als
die Richtung. Das umlaufende Muster auf den Hoffassaden vernetzt
den gesamten Innenbereich, wie ein Strom fließt es vom Hauptband
in jeden einzelnen Pfeiler und auf die Seitenteile der Iwane und
umfließt die Thuluth-Vignetten auf denselben.
Bauschmuck:
Der kalligraphische Schmuck
ist eher wenig geometrisches Kufi als Ziegelornament, viel
weniger als aus Samarqand an vergleichbaren Bauten gewohnt.
Dafür haben wir exquisite Thuluth-Schriftbänder und
Flechtkufi-Vignetten sowie florales Kufi in den vollständig
gefliesten Zonen. Der geometrische und florale Dekor überwiegt
insgesamt und ist von großem Formenreichtum. Nur wenige
Kufi-Inschriften werden direkt aus verschieden glasierten Ziegeln
im Verbund gebildet. Nord- und Süd-Iwan tragen beide die
Inschriften Al-hamdu-lillah und
Al-mulku-lillah letztere ist beim Südiwan
spiegelverkehrt.
Nette
Begegnungen:
Stellvertretend für viele
kleine nette Begegnungen mit den Menschen hier in der
Kalonmoschee nur eine Szene: In der Kalon-Moschee ist etwa eine
Ecke abgetrennt und zur bestimmungsgemäßen Nutzung mit
Teppichen ausgelegt. Da drin war gerade ein ca. 14Jähriger
kräftig am Arabischbüffeln, während neben ihm zwei Freunde auf
dem Boden lagen, offensichtlich gerade mit Renovierungsarbeiten
beschäftigt, denn ihre Hände, Arme und Hemden waren mit
Kalkstaub und Farbe bedeckt, halb Mittagsschläfchen hielten und
im Halbschlaf Mustafas Lesart verbesserten und sich bei jedem
Patzer auf dem Boden rollten vor Lachen und die weißfleckigen
Füße zur Decke streckten, während Mustafa sich redlich
bemühte, seine stockende Rezitation hocharabisch arabisch
klingen zu lassen. Irgendwann ist mir bei einem weiteren Patzer
von Mustafa die richtige Lesart rausgerutscht (es drehte sich um
Idhram, eine spezielle nur bei der Koran-Rezitation vorkommende
Alliteration). Ehe ich mich versah, hatten die das Lesepult vor
mich plaziert, und ich durfte denen die arabische Aussprache der
Koran-Suren beibringen..... Zum Glück kannte ich die
betreffenden Stellen - Augen zu und durch, ich habe wenigstens
keine turksprachigen ü in der Aussprache! Aber das
Allerkomischste war, daß keiner der Beteiligten irgend etwas
Unnormales dabei fand, einen wildfremden Touri dafür
einzuspannen. Nachher verblüffte mich Mustafa - in der
Vorbereitungsklasse der theologischen Schule Mir-i Arab
gegenüber - dafür wirklich, und da geriet ich wirklich ins
Schleudern: Er hatte wärmstes Interesse für die gerade
stattgefundene Fußball-WM in Deutschland und er kannte
sämtliche Spieler der deutschen Nationalmannschaft mit Namen und
Alter und wollte mit mir über die optimale Zusammensetzung
philosophieren und mir erklären, wie Deutschland nicht gegen
Italien verloren hätte! Da kam ich wirklich aus dem Staunen
nicht mehr heraus!
Die Moschee Kalon - Proportionsstudien zur Kalon Moschee - Photos (1) - (2) - (3) - (4) - (5) - (6) - (7) - (8) - (9) - (10)
Andere Essays über usbekische
Architektur lesen
- Bukhara - Das Kosh-Prinzip
Andere Essays über Usbekistan lesen - Literatur
Andere Länderessays lesen
Home
©
Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
Impressum