Bernhard Peter
Kalender und Zeitrechnung:
Iran (3): Zeit für Schaltungen unter den Sassaniden

Die Sassanidenzeit (224 - 651 n. Chr.) brachte eine gewaltige Stärkung für den zoroastrischen Kalender. Zunächst einmal wurde der Kalender offizieller Staatskalender und ersetzte den babylonischen Lunisolarkalender gänzlich auch in offiziellen Geschäften. Das paßt dazu, daß die Religion Zarathustras Staatsreligion wurde und altiranische Traditionen eine Renaissance erlebten, somit wurde auch der zoroastrische Kalender Staatskalender.

Die zweite wesentliche Neuerung war, daß man sich mehr oder weniger erfolgreich dem Problem der Schaltjahre widmete. Wir erinnern: Bis zum Ende des Achämenidenreiches wurde keinerlei Schaltung vorgenommen. Mangels einer Schaltregel kam es im Laufe der Zeit zu einer nicht unerheblichen Abweichung des Kalenders von den Jahreszeiten, denn das Kalenderjahr ist ca. 6 Stunden kürzer als das tatsächliche Sonnenjahr. Die den Jahresrhythmus bestimmenden Feiertage und Neujahr (Nawruz) verschoben sich immer ungünstiger. In unregelmäßigen Abständen wurde eine Korrektur vorgenommen:

Die erste große Schaltung:
In der 1. Hälfte des 3. Jh. n. Chr. verschob man die 5 Zusatztage (Epagomenen) um 6 Monate vom Ende des 12. Monats an das Ende des 6. Monats (der erste Begriff ist der mittelpersische (Pahlawi), der zweite der moderne persische Name (Farsi)). Als wahrscheinlichste Zeit wird 230-240 n. Chr. angenommen, also ziemlich bald nach der Krönung von Shahinshah Ardashir I. Mit dem Erstarken der zoroastrischen Religion machte man sich auch endlich an die Kalenderreform. Nawruz lag damals Ende September! Durch die Verschiebung der Epagomenen verschob sich auch Nawruz, das immer am Tag nach dem letzten Epagomenen gefeiert wurde. Alle anderen Feste verschoben sich ebenfalls - denn sie waren durch ihre Abstände zu Nawruz und untereinander definiert, nicht durch ihr Datum. So kam es, daß die Verschiebung der Epagomenen alle Probleme auf einmal löste, nur das Grundproblem nicht aus der Welt schaffen konnte.

1. Fravardino, Farwardin - 30 Tage
2. Ardavahist, Ordibehescht - 30 Tage
3. Horvadad, Chordad - 30 Tage
4. Tir, Tir - 30 Tage
5. Amerodad, Mordad - 30 Tage
6. Shatvairo, Shahriwar - 30 Tage
5 Tage als Ausgleich folgen auf den 6. Monat, um auf ein Sonnenjahr zu 365 Tagen zu kommen (Epagomenen = Zusatztage).
7. Mitro, Mehr - 30 Tage
8. Avan, Aban - 30 Tage
9. Ataro, Azar - 30 Tage
10. Dino, Dej - 30 Tage
11. Vohuman, Bahman - 30 Tage
12. Spendarmad, Esfand - 30 Tage

Kleines Zusatzproblem: Dadrch, daß die 5 Epagomenen über die Jahresgrenze hinweg verschoben wurden, hatte ein Jahr einmal genau 360 Tage statt 365 Tage - darin liegt versteckt eine Schaltung von 5 Tagen. Damit ist der Kalender im Vergleich zu dem der Achämeniden um 5 Tage verschoben (früher). Das führte - da diese Änderungen nicht überall im Lande gleichzeitig nachvollzogen wurden, zu um 5 Tage differierenden Daten für die Feste. Man machte aus der Not eine Tugend und dehnte die Feste eben auf 5-6 Tage aus.

Die zweite große Schaltung:
In der Mitte des 5. Jh. n. Chr. verschob man die 5 Zusatztage (Epagomenen) um 2 Monate vom Ende des 6. Monats an das Ende des 8. Monats (Aban). Diese Schaltung wird im Detail von Al-Biruni beschrieben. Der genaue Zeitpunkt ist umstritten. Heute geht man vom Jahr 461 n. Chr. aus, mit einer gewissen restlichen Unsicherheit. Damals war Frühlingsanfang am 19. März, Neujahr war aber inzwischen auf den 26. Januar zurückverschoben. Nach der Schaltung war Nawruz am 27. März - man hatte also ein bißchen Reserve gewonnen, in den nächsten 30 Jahren wurde der Kalender eher noch richtiger, ehe das Problem wieder von vorne anfing.

1. Fravardino, Farwardin - 30 Tage
2. Ardavahist, Ordibehescht - 30 Tage
3. Horvadad, Chordad - 30 Tage
4. Tir, Tir - 30 Tage
5. Amerodad, Mordad - 30 Tage
6. Shatvairo, Shahriwar - 30 Tage
7. Mitro, Mehr - 30 Tage
8. Avan, Aban - 30 Tage
5 Tage als Ausgleich folgen auf den 8. Monat, um auf ein Sonnenjahr zu 365 Tagen zu kommen (Epagomenen = Zusatztage).
9. Ataro, Azar - 30 Tage
10. Dino, Dej - 30 Tage
11. Vohuman, Bahman - 30 Tage
12. Spendarmad, Esfand - 30 Tage

Da der Tradition nach das Neujahrsfest Nawruz immer auf die Zusatztage zu folgen hatte, erreichte man durch die Verlegung der Zusatztage nach hinten, daß Nawruz wieder in die Nähe des tatsächlichen Frühlingsanfanges fiel. Da die anderen Feiertage in Relation zu Nawruz definiert waren, verschoben sie sich ebenfalls wieder auf eine "richtige" Position im Sonnenjahr, auch wenn sich ihre kalendarische Bezeichnung änderte.

Bürgerlicher und religiöser Kalender:
Die oben beschriebenen Reformen führten zur parallelen Entwicklung von 2 Systemen:

1.) Bürgerlicher Kalender, offizieller Kalender, Roc-Vihezakik, Osmurtik, ungeschalteter Kalender, unverschobener Kalender. Die Epagomenen wurden verschoben wie oben beschrieben, aber die Monate wurden fortlaufend ungestört weitergezählt (wie in den obigen Tabellen beschrieben). Die Epagomenen lagen dann eben zwischen Shahriwar und Mihr bzw. zwischen Aban und Azar. Dieser Kalender wurde alleine für Datierungen benutzt.

2.) Religöser Kalender, Vihezakik, geschalteter Kalender, verschobener Kalender. Die Epagomenen wurden verschoben wie oben beschrieben, aber die Monate wurden mitverschoben und nicht einfach weitergezählt - die Lücke wurde mit Schaltmonaten aufgefüllt (anders als in den obigen Tabellen). Die Epagomenen lagen dann zwischen dem letzten Schaltmonat und Farwardin. Vorteil: Die Feste der Zoroastrier liegen so, wie sie in den heiligen Schriften angegeben werden, und verlieren nicht ihre gewohnte Datumsbezeichnung. Dieser Kalender wurde nie für Datierungen verwendet. Er hat auch keine eigene Zeitzählung. Im Grunde ist der Ausdruck "religiöser Kalender" stark übertrieben - denn von dem alten Kalender mit den Zusatztagen am Jahresende war nur noch eine Liste von Feiertagen und ihren Abständen zu den Epagomenen geblieben, ein Raster bzw. eine Schablone zur Ermittlung von Feiertagen.

Deckungsgleich ist in beiden Kalendern die Lage der 5 Epagomenen. Zur Ermittlung der genauen Lage der jahreszeitlichen Feste im bürgerlichen Kalender legte man den religiösen Kalender wie eine Schablone so darüber, daß die 5 Epagomenen deckungsgleich waren. Dann konnte man direkt die Feste im bürgerlichen Kalender ablesen.

Die Festtage
Nach den zwei Kalenderreformen zur Sassanidenzeit hatten die Festtage, die Gahanbar, im zoroastrischen Kalender folgende Lage (bürgerlicher Kalender):

  1. Maidhyozaremaya (Mitte des Frühlings, Frühlingsfest), 11.-15. Dey, 40 Tage nach Nawruz
  2. Maidhyoshema (Mittsommer, Sommersonnenwende), 11.-15. Esfand
  3. Paitishahya (Erntefest, Erntezeit), 26.-30. Ordibehescht
  4. Ayathrema (Zeit der Herden, Sammeln des Viehs), 26.-30. Chordad
  5. Maidhyarya (Mittwinter, Wintersonnenwende), 16.-20. Schahriwar
  6. Hamaspathmaedha (Fest des Opferns, Beginn der Feldarbeit), 1.-5. Zusatztag.

Diese markieren nach wie vor 6 wichtige jahreszeitliche Punkte und teilen das Jahr in 6 Jahreszeiten unterschiedlicher Länge (40 Tage - 60 Tage - 80 Tage - 30 Tage - 80 Tage - 75 Tage - 40 Tage) ein. Durch die Verlegung der Gatha-Tage ist es auch hier zu einer leichten Verschiebung der Abstände gekommen (2x 80 statt 75 und 85).

Iran (1): Die unterschiedlichen Ären
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