Bernhard Peter
Bildgewordene Genealogie

Wappen sind zwar Familiensymbole, doch je nach Zusammenhang ergibt sich eine Individualisierung durch zusätzliche Informationen. Durch den je nach Zusammenhang und die Kombination verschiedener Familiensymbole entstehenden dynamischen Umgang mit an sich konstanten und unveränderlichen Symbolen entstehen bildgewordene Genealogien, die ganz ohne begleitende textliche Erläuterungen die Familienverhältnisse illustrieren. Bindende Inhalte werden flexibel kombiniert und berichten so von Eltern und Kindern, von Heiraten, je nach Position auch von männlichen und weiblichen Nachkommen, und in der Reihung auch von der Reihenfolge ihrer Geburtsdaten. Je nach Zusammenhang und Zusammenstellung ergibt sich eine Bedeutungsvermehrung, die weit über die einfache Zuordnung eines regelgerecht wiedergegebenen Symboles zu einer bestimmten Familie hinausgeht.

Dies soll an einem Beispiel gezeigt werden, an den Glasfenstern der Herrschaftsempore der Bartholomäuskirche in Kirchensittenbach (Landkreis Nürnberg). Drei Glasfenster vom Beginn des 17. Jh. bilden die vollständige Genealogie zweier Generationen ab, ganz ohne Worte, nur durch nach bestimmten Regeln kombinierte Wappensymbole.

Insgesamt neun verschiedene Nürnberger Familien werden durch die Glasmalerei des ersten Fensters genealogisch verknüpft. Der Aufbau des Fensters geschieht nach folgenden Prinzipien:

In Prinzip kann man diese Regeln mit gewissen Anpassungen auch in ähnlichen Kompositionen immer wiederfinden.

Die Eltern: Das zentrale Allianzwappen zeigt heraldisch rechts das Wappen der Tetzel, in Rot eine aufspringende silberne Katze, hier aus Courtoisie gewendet. Auf dem gekrönten Helm mit rot-silbernen Decken die silberne Katze wachsend. Gegenüber ist das Wappen der Volckamer, von Silber und Blau geteilt, oben ein halbes rotes Rad mit drei Speichen, unten eine silberne Lilie. Diese Kombination paßt zu Jobst VII. Tetzel, zweiter Sohn von Friedrich III. Tetzel (gest. 1523) und Ursula Fürer (1481-1545), geb. 1503, gest. am 18.10.1575, und seiner 1534 geehelichten Frau Anna Volckamer, der einzigen Tochter des Hans VII. Volckamer.

Zur unteren Reihe der Schilde für die Kinder, zuerst die Töchter: Der erste und der dritte Wappenschild von optisch links sind jeweils gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Tucher (geteilt, oben von Silber und Schwarz fünfmal schräglinks geteilt, unten in Gold ein schwarzer Mohrenkopf, gewendet), heraldisch links das der Tetzel. Wir haben zwei Schilde identischer Kombination, einer davon gehört zu Maria Tetzel, sie heiratete 1562 Christoph V. Tucher (1540-1610), Sohn von Hieronymus III. Tucher (1504-1540). Eine weitere Ehe mit dieser Familie ging eine weitere Tochter ein, nämlich Anna Tetzel hatte Adam Tucher (1536-1576) am 1.6.1556 geheiratet, einen Sohn von Lorenz II. Tucher. Der zweite Wappenschild ist gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Kress (in Rot ein schrägrechts gestelltes, hier gewendetes silbernes Schwert), heraldisch links das der Tetzel. Ursula Tetzel, gest. 1574, hatte 1564 Christoph III. Kress (1541-1583) geheiratet. Der vierte Wappenschild von optisch links ist ungeteilt und zeigt nur das Wappenbild der Tetzel. Er steht für ein unvermählt gebliebenes Kind (ob Sohn oder Tochter, kann allein aus dem Schild nicht gesagt werden). Der fünfte Wappenschild ist gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Fütterer (in Rot ein silberner Sparren, von drei (2:1) silbernen, sechsstrahligen Sternen begleitet), heraldisch links das der Tetzel. Helena Tetzel (1548-1611) hatte 1568 Jakob Fütterer (1529-1586) geheiratet. Der sechste Wappenschild ist gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Imhoff (in Rot ein goldener See-Löwe mit einem über dem Kopf schwingenden Fischschwanz, auf dem linken Vorderbein stehend, das rechte vorwärts streckend), heraldisch links das der Tetzel. Klara Tetzel, gest. 1597, hatte Willibald II. Imhoff geheiratet. Die Verbindung beider Familien fand überkreuz statt, denn Klaras Bruder Karl Tetzel hatte Anna, die Schwester von Willibald II. Imhoff geheiratet (s. u.). Der siebte Wappenschild von optisch links ist gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Scheurl (in Rot ein aufspringender silberner Panther (Pantier), gewendet), heraldisch links das der Tetzel. Hier hatte die jüngste Tochter der Familie in die Familie Scheurl eingeheiratet, die Namen sind mir nicht bekannt (Hinweise willkommen).

Nun zu den Söhnen: Der achte Wappenschild von optisch links ist gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Tetzel, heraldisch links geteilt, oben das Wappenbild der Groland (in Schwarz eine fünfblättrige rote Rose, aus der deichselförmig - im Dreipaß - drei silberne Sensenklingen hervorgehen), unten das der Schlüsselfelder (in von Silber und Schwarz geteiltem Schild drei deichselförmig im Dreipaß gestellte Schlüssel an einem gemeinsamen Ring in verwechselten Farben). Dieser Schild gehört zu Sohn Jobst Friedrich (1556-1612) und seinen beiden Ehefrauen, der 1578 geehelichten Maria Groland und der 1585 geehelichten Anna Schlüsselfelder. Der neunte und letzte Wappenschild von optisch links ist gespalten, heraldisch rechts das Wappenbild der Tetzel, heraldisch links das der Imhoff (in Rot ein goldener See-Löwe mit einem über dem Kopf schwingenden Fischschwanz, auf dem linken Vorderbein stehend, das rechte vorwärts streckend). Der Schild gehört zu dem anderen Sohn Karl Tetzel (1559-1611), der 1579 Anna Imhoff geheiratet hatte. Die Verbindung beider Familien fand überkreuz statt, denn Karls Schwester Klara Tetzel (gest. 1579) hatte 1570 Willibald II. Imhoff geheiratet, Bruder von Anna.

Das zweite Fenster der Herrschaftsloge wirkt wie eine Ausschnittsvergrößerung des zuvor besprochenen Fensters. Denn hier wird ein Sohn aus dem großen Tetzelfenster, der dort gemeinsam mit seinen beiden Ehefrauen in einem einzigen Schild ohne Oberwappen repräsentiert war, herausgegriffen und quasi expandiert. Das zuvor besprochene Fenster war ja auch seinen Eltern gewidmet, die dadurch auch heraldisch im Vordergrund standen, und in diesem Fenster hier sind aus den Kindern selber erwachsene Repräsentanten der Grundherrschaft geworden. Und hier fehlt etwas ganz Entscheidendes, was das Fenster für seine Eltern gehabt hat: Kinder. Kein einziger Wappenschild dokumentiert Nachkommen, trotz zweier Ehen bleibt der Schloßherr ohne Nachwuchs.

Optisch links sieht man das Tetzel-Wappen, in Rot eine aufspringende silberne Katze, auf dem gekrönten Helm mit rot-silbernen Decken die silberne Katze wachsend. Aus Courtoisie ist das ganze Wappen gewendet. Das Tetzel-Wappen steht für Jobst Friedrich Tetzel (1556-1612), Sohn von Jobst VII. Tetzel (1503-1575) und Anna Volckamer. Das mittlere Wappen ist das der Groland (Groland von Oedenberg), in Schwarz eine fünfblättrige rote Rose, aus der deichselförmig - im Dreipaß - drei silberne Sensenklingen hervorgehen, auf dem Helm mit schwarz-silbernen Decken ein wachsender schwarzer Mannesrumpf, um die Stirn ein Kranz von goldenen Rosen, aus dem zwei nach außen gestellte silberne Sensenklingen hervorkommen. Jobst Friedrich Tetzel hatte am 2.12.1578 Maria Groland (1555-1583) geheiratet, die Ehe blieb ohne Nachwuchs. Das dritte Wappen optisch ganz rechts ist das der Schlüsselfelder, in von Silber und Schwarz geteiltem Schild drei deichselförmig im Dreipaß gestellte Schlüssel an einem gemeinsamen Ring in verwechselten Farben, auf dem schwarz-silbern bewulsteten Helm mit schwarz-silbernen Decken ein offener Flug, jeweils mit dem Schildbild belegt. Jobst Friedrich Tetzel hatte am 14.9.1585 Anna Schlüsselfelder (1565-1639) geheiratet.

Das dritte Glasfenster der Herrschaftsempore bildet gemeinsam mit den beiden anderen künstlerische und gestalterische Einheit, und ihre Genealogie und Heraldik sind miteinander eng verknüpft. Dabei handelt es sich um drei Paare: Die Eltern-Generation hat Vollwappen, die Kinder-Generation einfache Wappenschilde ohne Oberwappen, wobei jeweils zwei dieser Schilde ein Paar bilden, wie auch anhand der jeweils spiegelbildlichen asymmetrischen Schildform zu erkennen ist. Der Ehemann steht immer heraldisch rechts = optisch links, und da das gleiche Wappen jeweils außen steht, handelt es sich bei dem optisch linken Paar um einen Sohn und bei dem optisch rechten Paar um eine Tochter. Mit diesem Fenster wird das genealogische Fensterprogramm der Herrschaftsloge abgeschlossen. Das zuvor beschriebene Fenster beschreibt die aktuellen Herren über Kirchensittenbach, das zuerst beschriebene große Tetzelfenster die Eltern-Generation des Ehemannes, und dieses Fenster hier die Eltern-Generation seiner zweiten Ehefrau. Entsprechend kann man den Erbauer des neuen Schlosses von Kirchensittenbach mit seiner zweiten Frau in dem unteren, optisch rechten Schild-Paar als Kinder-Generation wiederfinden. Sowohl aus dem ersten Fenster als auch aus dem dritten Fenster ergibt sich also ein Verweis in das zweite, mittlere Fenster.

Das optisch linke Vollwappen für den Ehemann ist das der Schlüsselfelder, in von Silber und Schwarz geteiltem Schild drei deichselförmig im Dreipaß gestellte Schlüssel an einem gemeinsamen Ring in verwechselten Farben, auf dem schwarz-silbern bewulsteten Helm mit schwarz-silbernen Decken ein offener Flug, jeweils mit dem Schildbild belegt. Das optisch rechte Vollwappen für die Ehefrau ist das der Stockamer, in Gold ein schwarzer Balken, auf dem gekrönten Helm mit schwarz-goldenen Decken ein blauer (natürlicher), radschlagender Pfau. Diese Kombination paßt zu Willibald I. Schlüsselfelder, 1533-1589, Sohn von Wilhelm Schlüsselfelder und Magdalena Imhoff, und seiner 1559 geehelichten Frau Anna Stockamer.

Die Anzahl der Kinder von Willibald und Anna ist sehr überschaubar. Deshalb ist es auch nicht wie bei dem Pendant der Familie Tetzel notwendig, die Ehewappen in einem einzigen Schild zu vereinen, vielmehr ist hier ausreichend Platz, jedem einen eigenen Schild zu gönnen, und die zueinander gehörenden Schilde sind durch die gespiegelte Schildform zu erkennen. Optisch links sind Karl I. Schlüsselfelder (1560-1610) und seine 1583 heimgeführte Frau Katharina Tucher (geteilt, oben von Silber und Schwarz fünfmal schrägrechts geteilt, unten in Gold ein schwarzer Mohrenkopf) zu sehen, und optisch rechts Anna Schlüsselfelder (1565-1639), die 1585 Jobst Friedrich Tetzel (in Rot eine aufspringende silberne Katze, hier aus Courtoisie gewendet) als dessen zweite Frau geheiratet hatte, wodurch der Anschluß an die Tetzel-Genealogie vollbracht wäre. Karl I. Schlüsselfelder hatte als Söhne Karl II. Schlüsselfelder (1585-1624), vermählt 1609 mit Barbara Pfinzing, und Willibald II. Schlüsselfelder (1594-1659), vermählt 1624 mit Elisabeth Maul. Nur Karls Linie setzte sich weiter fort, bis die Schlüsselfelder mit Karls II. Enkel Johann Karl 1709 im Mannesstamm erloschen.

Dieses heraldische Ensemble zeigt sehr schön, wie sehr Heraldik eine lebendige Kunst sein kann, die mit Hilfe klarer Zeichen von hohem Wiedererkennungswert komplexe Familienzusammenhänge ganz ohne Worte bildlich ausdrücken kann und sich den jeweiligen genealogischen Umständen entsprechend auf das lebendigste individuell anpassen kann. Und dieses Beispiel zeigt auch, wie umfangreich die heraldischen Zeugnisse zu uns sprechen können, und wie wir sie in einen Kontekt einbetten können, der weit über die einfache Familienzuordnung hinausgeht.

Literatur, Links und Quellen:
Siebmachers Wappenbücher, insbesondere der Band Bayern
Eugen Schöler, Historische Familienwappen in Franken, Verlag Degener / Bauer Raspe, Neustadt an der Aisch, 3. Aufl. 1999, Nachdruck 2002, ISBN 3-87947-112-6

Peter Fleischmann, Rat und Patriziat in Nürnberg. Nürnberger Forschungen, Einzelarbeiten zur Nürnberger Geschichte, herausgegeben vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg. Bände 31/1, 31/2, 21/3 (Stammbäume) und 31/4. VDS Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt an der Aisch. ISBN 978-3-87191-333-4.
Eugen Schöler, Fränkische Wappen erzählen Geschichte und Geschichten. Verlag Degener 1992, ISBN 3-7686-7012-0.
Evangelisch-lutherische Gemeinde Kirchensittenbach: http://www.kirche-kirchensittenbach.de/
Geschichte der Bartholomäuskirche:
http://www.kirche-kirchensittenbach.de/bartholomaeuskirche/geschichtliches.html
Veröffentlichung der Bilder aus dem Innenraum der Bartholomäuskirche mit freundlicher Genehmigung von Herrn Pfarrer Johannes Ziegler vom 9.11.2010,
wofür ihm an dieser Stelle ganz herzlich gedankt sei.

Ausführlichere Beschreibung: Bartholomäuskirche (3): Glasfenster Empore - Bartholomäuskirche (4): Glasfenster Empore - Bartholomäuskirche (5): Glasfenster Empore

Ein weiteres Beispiel für durch Heraldik dargestellte komplexe Genealogien: St. Sebald, Schreyer-Landauer-Epitaph

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