Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2774
Zell (zu Riedlingen, Landkreis Biberach)

Die kath. Pfarrkirche St. Gallus und das Pfarrhaus in Zell

Der Riedlinger Stadtteil Zell liegt in einer großen, nach Osten offenen Donauschleife. Direkt am östlichen Donauufer liegt nördlich der Hauptstraße im Winkel zur Januarius-Zick-Straße das Ensemble aus der 1780-1781 erbauten und durch den Kurtrierer Hofmaler Januarius Zick im klassizistischen Stil ausgemalten St. Gallus-Kirche, dem übereck anstoßenden Pfarrhaus und dem ummauerten Kirchhof rings um die Pfarrkirche. Das zweistöckige barocke Pfarrhaus mit Mansarddach (samt Storchennest) hat seinen Zugang auf der nordwestlichen Längsseite, wo ein Dreiecksgiebel den leicht vorspringenden, dreiachsigen Mittelrisalit betont. Die Fassade hat insgesamt sieben Fensterachsen, die Schmalseiten des Gebäudes besitzen nur vier Achsen. Der Wappenstein datiert das Gebäude auf das Jahr 1781. Im selben Jahr wurde die Pfarrkirche am 16. Oktober, dem Festtag des hl. Gallus, vom Konstanzer Weihbischof Wilhelm Leopold von Baden geweiht.

Der Name Zell leitet sich ab von Cella, und das Dorf hat seine Ursprünge in einer Niederlassung (cella) des Klosters Sankt Gallen, das 790 die damals schon bestehende Kirche von Graf Berthold und seiner Frau Gersinda mit allem Zubehör geschenkt bekommen hatte und von hier aus seine Güter in der Gegend verwaltete. Die Söhne von Graf Berthold vermehrten den Klosterbesitz durch weitere Schenkungen. In zwei Urkunden wird der Ort 805 und 826 als Bertholdszell bezeichnet in Erinnerung an den Stifter, ab 961 setzte sich dann nur Zell als Name durch. An die Zeit von St. Gallen erinnert vermutlich noch das Kirchenpatrozinium, auch wenn sich dieses Patrozinium erst 1404 anläßlich einer Neuweihe von Altären bzw. 1514 nachweisen läßt und St. Gallen hier keine Rolle mehr spielte.

Im Mittelalter gehörte das Dorf den Herren von Emerkingen, die auch das Kirchenpatronat innehatten. Eine Pfarrei gibt es im Ort seit 1251. Schrittweise ging das Dorf an das Kloster Zwiefalten über: 1292 kam das Kirchenpatronat an das Kloster; die Pfarrei wurde 1294 inkorporiert. Bereits seit 1294 hatte das Benediktinerkloster zusammen mit Hermann von Emerkingen die Gerichtsbarkeit inne, und 1352 wurde Zell inclusive der Vogteirechte ganz an Zwiefalten abgetreten, das bis zur Säkularisation 1803 Eigentümer von Zell blieb. Danach kam Zell an Württemberg, das es dem Oberamt Zwiefalten zuordnete, ab 1810 dann dem Oberamt Riedlingen. Der Turm der Kirche wurde 1839 nach einem Brand erneuert. 1887 wurden Decke und Wände des Kirchenschiffs übermalt, außerdem wurden neue Altäre aufgestellt. 1930 wurde die unter der Übermalung noch vorhandene Malerei Zicks entdeckt und freigelegt; die Ausstattung wurde sinngemäß erneuert. Eine eigenständige Pfarrei ist Zell schon lange nicht mehr, erst wurde der Ort vom 2,5 km entfernten Daugendorf aus mitversorgt, heute gehören beide zur Seelsorgeeinheit Riedlingen.

 

Eine große Kartusche mit Rollwerk und unten ausgezogenen Rändern wird seitlich von zwei Blattgirlanden eingefaßt und oben von den Zeichen eines Reichsabtes überhöht, mittig von einer Mitra, seitlich von einem hinter der Kartusche herausragenden Krummstab schrägrechts und einem ebensolchen gestürzten Schwert schräglinks. Die Kartusche ist dreigeteilt, in dem in der unteren Hälfte zwei cum grano salis ovale Kartuschen abgegrenzt sind. Die obere Hälfte zeigt einen heraldischen Inhalt des Klosters Zwiefalten, eine Madonna mit Christus. Die heraldisch rechte untere Kartusche trägt das gewendete zweite Klosterwappen, identisch mit dem der Grafen von Achalm als Stifter des Klosters Zwiefalten, in Grün zwei goldene Schrägbalken, begleitet von sieben (2:3:2) goldenen, sechszackigen Sternen. Die Grafen von Achalm sind zu früh ausgestorben (1098), um am sich entwickelnden Wappenwesen teilzuhaben. Ihnen wurde aber posthum durch das Zwiefaltener Wappen eines zuteil, mit dem das Kloster die beiden letzten männlichen Angehörigen des Geschlechts, die Grafen Liutold von Achalm (-18.8.1098) und Kuno von Wülflingen (-16.10.1092), Söhne und Erben des Grafen Rudolf aus dessen Ehe mit Adelheid von Wülflingen, die das Kloster Zwiefalten 1089 gegründet hatten, ehrte. Liutold hatte keine Kinder, und sein Bruder Kuno hatte keine legitimen Nachkommen. Deshalb stifteten sie einen Großteil ihres Besitzes zur Ausstattung des Klosters Zwiefalten. Liutold entsagte nach dem Tod seines Bruders der Welt und ging selbst als Mönch in das von ihm gegründete Kloster. Beide wurden im Kloster Zwiefalten begraben. Es handelt sich folglich um ein apokryphes Wappen, mit dem man Persönlichkeiten aus vorheraldischer Zeit in das heraldisch geprägte mittelalterliche kulturelle Paradigma integrierte. Das beschriebene Wappen ist erstmals im "Stuttgarter Wappenbuch" aus dem 15. Jh. überliefert und steht seitdem für die Grafen von Achalm und für das Kloster Zwiefalten.

Die zweite eingesetzte Kartusche links unten ist das persönliche heraldische Zeichen des Zwiefaltener Abtes Nikolaus II. Schmidler (19.1.1723-12.2.1787). Er stammte aus Waldsee, legte die Profeß am 8.12.1740 ab und empfing die Priesterweihe im Jahr 1747. Er feierte die Primiz am 12.3.1747. Seine Wahl zum 47. Abt der Klostergeschichte erfolgte am 29.7.1765; die Benediktion erhielt er am 14.9.1765. Abt Nikolaus amtierte 1765-1787. 1766 wurde er Präses der Universität Salzburg, außerdem war er Präses der schwäbischen Benediktinerkongregation. Sein persönliches Wappen ist geteilt, unten eine durchgehende Zinnenmauer, aus dem unteren Schildfuß hervorkommend ein rechter Arm, der schräglinks einen Ankerstab mit Ring am unteren Ende und einem jenseits der Flunkenarme zum Kreuz verlängerten Mittelstab (Rettungsanker des Glaubens) hält, auf der Mauer rechts ein Richtdreieck mit Lot und in der Mitte ein schräglinks geneigter Stab. Weitere Wappendarstellungen dieses Abtes gibt es in der Kirche Daugendorf am Chorbogenscheitel, auf einem Bildnis in der Äbtegalerie in Zwiefalten, und im Deckenfresko der Kirche in Tigerfeld. Letzteres ist in Farbe: Die Mauer ist dort silbern und schwarzgefugt, der Anker ist schwarz, die Hand ist naturfarben, Dreieck und Kreuz sind golden, der Hintergrund hinter dem Dreieck ist rot, der hinter dem Kreuz blau. Innen in der Kirche befindet sich ein weiteres Abtswappen am Chorbogen. Mehr zu Wappen Zwiefaltener Äbte in den Kapiteln zu Zwiefalten und Daugendorf.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.2032428,9.5018643,19z - https://www.google.de/maps/@48.2032914,9.5017937,62m/data=!3m1!1e3
Nikolaus Schmidler, in: Biographia Benedictina (Benedictine Biography),
http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Schmidler,_Nikolaus
Zell auf Leo-BW:
https://www.leo-bw.de/web/guest/detail-gis/-/Detail/details/ORT/labw_ortslexikon/17489/Zell+Riedlingen+BC
Seelsorgeeinheit Riedlingen:
https://dekanat-biberach.drs.de/seelsorgeeinheiten/16-riedlingen.html
St. Gallus in Zell:
https://www.sanktgallus.net/die-kirchen/zell-riedlingen/
Zell auf der Seite der Stadt Riedlingen:
http://www.riedlingen.de/5670763.html
Pius Bieri: Klosteranlage Zwiefalten, im Projekt Süddeutscher Barock:
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Zwiefalten1.html
Pius Bieri: Ehemalige Stiftskirche und Münster Unserer Lieben Frau in Zwiefalten, im Projekt Süddeutscher Barock:
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Werke/s-z/Zwiefalten2.html
Pius Bieri: Christoph Rassler (1615-1675)
https://www.sueddeutscher-barock.ch/PDF_Bio_BH/Zwiefalten_Rassler.pdf
Christoph Rassler auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Raßler
Pius Bieri: Abt OSB Johann Martin Gleutz (1620-1692) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Gleutz.html
Pius Bieri: Abt OSB Ulrich V. Rothheusler (1653-1699) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Rothaeusler.html
Pius Bieri: Wolfgang Schmid (1655-1715)
https://www.sueddeutscher-barock.ch/PDF_Bio_BH/Zwiefalten_Schmid.pdf
Pius Bieri: Beda Summerberger (1662-1737) Abt OSB in Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Summerberger.html
Pius Bieri: Abt OSB Augustin Stegmüller (1666-1744) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Stegmueller.html
Pius Bieri: Reichsabt OSB Benedikt Mauz (1690-1765) von Zwiefalten
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Bauherr/s-z/Zwiefalten_Mauz.html
Nikolaus Schmidler, in: Biographia Benedictina,
http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Schmidler,_Nikolaus
Gregor Weinemer, in: Biographia Benedictina,
http://www.benediktinerlexikon.de/wiki/Weinemer,_Gregor
Hubert Hosch: Teil 1: Äbtebildnisse von Zwiefalten im Kontext der Selbstdarstellung in schwäbischen Klöstern:
https://www.freieskunstforum.de/hosch_2017_aebtegalerie_1.pdf - Teil 2: Weitere geistliche Porträtgalerien im Schwäbischen Reichskreis bzw. inden Diözesangrenzen von Konstanz und Augsburg https://freieskunstforum.de/hosch_2017_aebtegalerie_2.pdf
Karl Holzherr: Geschichte der ehemaligen Benediktiner-und Reichs-Abtei Zwiefalten, Stuttgart 1887
Hermann Josef Pretsch: Benediktinerabtei Zwiefalten - Geschichte, in: Klöster in Baden-Württemberg
https://www.kloester-bw.de/klostertexte.php?kreis=&bistum=&alle=&ungeteilt=&art=&orden=&orte=&buchstabe=&nr=534&thema=Geschichte
Pius Bieri: Januarius Zick, im Projekt Süddeutscher Barock:
https://www.sueddeutscher-barock.ch/In-Meister/s-z/Zick_Januarius.html
Die Grafen von Achalm:
https://de.wikipedia.org/wiki/Achalm_(Adelsgeschlecht) - https://www.heraldik-wiki.de/wiki/Achalm_(Adelsgeschlecht)
Burg Achalm:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruine_Achalm und Bempfinger Vertrag: https://de.wikipedia.org/wiki/Bempflinger_Vertrag
Gebhard Spahr: Oberschwäbische Barockstraße I, Ulm bis Tettnang, Geschichte, Kultur, Kunst, Verlag Isa Beerbaum, Weingarten, 2. Auflage 1979, S. 88-89

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