Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2686
Quedlinburg (Landkreis Harz, Sachsen-Anhalt)

Freihof Mummental (Mummental 1)

Es handelt sich bei dem am östlichen Rand der Altstadt gelegenen Anwesen um einen einstigen Freihof, also einen Hof adeliger Besitzer, die von gewissen Verpflichtungen befreit waren, denen städtische Bürger unterlagen, also Abgaben, Stadtsteuer, Zehnt, Wachdienst, örtliche Gerichtsbarkeit etc. Es war also ein privilegierter Grundbesitz, der den Schutz der Stadt, ihrer Mauern und ihrer Infrastruktur genoß, dessen Besitzer aber selbst wenig dazu beitragen mußten, weil er nicht dem Rat der Stadt unterstand. Vielmehr leisteten die Besitzer ihre Abgaben dem jeweiligen Landesherrn und unterstanden einem Amtmann, so als läge der Besitz außerhalb der Stadt. Zunächst war der Freihof Mummental Eigentum des Stifts Quedlinburg, das ihn als Lehen vergab. Äbtissin Dorothea-Sophie von Sachsen-Altenburg (1617-1645) verkaufte 1619 den Hof an einen ihrer Bediensteten, den Münzmeister Hans Lauch, und dann wechselte das Anwesen häufig den Besitzer auf den Wegen des Verkaufs, der Verpfändung und der Erbschaft. Ernst Gruson (10.3.1869-4.1.1962), preußischer General a. D., selbst Genealoge und Heraldiker, hat anläßlich der Renovierung der 1795 erbauten Remise die Wappen aller Vorbesitzer an der westlichen Giebelwand anbringen lassen. Das erste Wappen trägt die Jahreszahl 1619, das letzte als Angabe 1874. Nur er selbst ist in der Serie nicht mit einem Wappen vertreten. Anläßlich einer weiteren Renovierung wurden die Wappen farblich neu gefaßt.

 

Die Wappen im einzelnen: Ganz oben im Giebelbereich ist das Wappen des Reiches angebracht, der schwarze Adler in goldenem Feld für das römisch-deutsche Königtum. Darunter befinden sich die Wappen der Grafschaft Regenstein (in Silber eine schräggelegte rote Hirschstange), der Markgrafschaft Brandenburg (in Silber ein roter, golden bewehrter Adler) und des Stifts Quedlinburg (in rotem Feld zwei schräggekreuzte silberne, goldengegriffte Kredenzmesser). Das Stift Quedlinburg belehnte zunächst die Grafen von Regenstein mit dem Hof. Diese verkauften ihn 1287 an den Magistrat der Altstadt. 1320-1335 war ein ehemaliger Lehnsmann der Regensteiner Grafen, Tyle von Selten, Besitzer des Hofs. Danach kaufte die an den Lagerkapazitäten der Scheune interessierte Äbtissin Jutta von Kranichfeld den Hof zurück für das Stift Quedlinburg, wo er 1335-1619 verblieb.

Unter dem Hauptgesims ist eine Reihe von 11 Wappenschilden für die Besitzer nach 1619 angebracht. Für die meisten, insbesondere die bürgerlichen Wappen gibt es keinen Eintrag im Siebmacher oder Abweichungen, deshalb wird hier lediglich der Ist-Befund nach Augenschein blasoniert, vorbehaltlich Literaturabgleich (Hinweise willkommen). Im einzelnen sind das in der ersten Gruppe von optisch links nach rechts die Schilde der Familien Lauch mit redendem Wappen (hier in Silber ein schwarzes Bündel von drei Lauchstangen, mit goldenem Bund), Pathe (hier geteilt, oben silbern-schwarz geschacht, unten in Silber vier schwarze Balken), Morgenstern (nach Befund in Blau drei fünfzackige Sterne schräglinksbalkenweise) und von Münchhausen (hier in Gold ein Mönch in silberner Kutte, mit schwarzem Scapulier, in der Linken einen Hirtenstab haltend, in der Rechten ein Brevier haltend in rotem Futteral, hier als Novum ein auf der rechten Schulter sitzender Rabe, außerhalb der künstlerischen Freiheit und nicht Bestandteil des Münchhausen-Wappens). Der Münzmeister Hans Lauch besaß den Hof 1619-1624, der Stiftsschösser = Steuerbeamte Botho Pathe 1624-1649. Danach kam der Hof in den Besitz von Obristleutnant Joachim Morgenstern und dessen Sohn, den Rittmeister Ernst Morgenstern. 1691 wechselte der Besitz erneut, diesmal kam Heinrich Burchard von Münchhausen, fürstlich-braunschweig-lüneburgischer Amtmann, an den Hof und behielt ihn bis 1693.

Die größere Gruppe auf der optisch rechten Seite listet die Wappen der von Windheim (hier in Silber drei (1:2) schwarze, miteinander verschränkte Ringe, bestätigt durch Siebmacher Band: Pr Seite: 451 Tafel: 492, Band: MeA Seite: 117 Tafel: 66), Smalian (hier in Blau ein liegendes goldenes Aststück, aus dem nach oben und nach unten ein dreifiedriges goldenes Blatt herauswächst, nicht wie Siebmacher Band: Bg13 Seite: 91, nicht wie Niedersächsische Wappenrolle 2-1006), Stockhausen hier (in Rot ein silberner, mit drei roten Rosen belegter Balken, begleitet von drei (2:1) silbernen Häuschen mit schwarzen Fenstern und Türen) und Kemmerich hier (in Blau ein goldener Löwe, in der rechten Vorderpranke einen silbernen Schlüssel haltend, der Bart nach vorne und oben gekehrt, Siebmacher Band: Bg6 Seite: 48 Tafel: 50, beachte auch ADW Nr. 7836). 1693-1742 war der Hof in Besitz von Stats-Harbarth von Windheim und seinen Erbinnen, denn seine Tochter Catharina-Juliane hatte einen Herrn von Smalian und seine Tochter Christine-Eleonore hatte einen Herrn Stockhausen geehelicht. 1742 kam der Hof an den Amtmann Andreas Nicolaus Kemmerich, der ihn seiner Tochter hinterließ, welche den Kriegsrat Sandrart geheiratet hatte. Dort verblieb der Hof bis 1776.

Die Reihe wird ganz rechts fortgesetzt mit den Wappen Sandrart (hier in Silber ein blauer, eingebogener Sparren, begleitet von drei (2:1) blauen Trauben, die oberen schräg nach innen gestellt, anders Siebmacher Band: Bg1 Seite: 30 Tafel: 37, Band: Pr Seite: 345 Tafel: 398), Hinsch (hier in Gold auf einem Boden drei gestielte und beblätterte Leinpflanzen jeweils mit einer blauen, golden bebutzten Blüte) und Schenken (hier geteilt, oben in Gold ein aus der Teilungslinie wachsender Mann (Brauer, Schankwirt) in silbernem Hemd, mit schwarzer Schürze, ebensolchem Hut und Bart, mit der Rechten einen roten Henkelkrug emporhaltend, die Linke eingestemmt, unten in Rot ein aufgeschlagenes Buch oder Heft). 1776 kam der Hof an den Stadtrichter Christian-Ferdinand Hinsch aus Köthen, 1783 gelangte der Hof in den Besitz des Quedlinburger Advokaten Johann-Andreas Philipp Schenken, vermählt mit Christiane Klopstock. Zu einem erneuten Besitzübergang kam es erst 1874, als der Bankier Georg Vogler das Anwesen bekam. Er ließ die gründerzeitliche Villa im Stil des Spätklassizismus anstelle des alten Wohnhauses errichten und behielt das Anwesen bis 1912.

Seine Tochter Else (Elisabeth) Vogler heiratete den General Ernst Gruson, sie erbte das Anwesen 1912, und so kam der Besitz an denjenigen, der die Wappen anbringen ließ. 1945 wurde das Herrenhaus beschlagnahmt, die Eigentümer durften nur in den Nebengebäuden wohnen. Ernst Gruson starb 1962; dann ging das gesamte Anwesen mit dem großen Herrenhaus an die Erbengemeinschaft seiner 5 bzw. seit 1963 nur noch 4 Kinder über. Je zwei davon lebten in Ost- bzw. Westdeutschland. Die in Ostdeutschland lebenden Miteigentümer waren Georg Gruson und Herta Gruson, verheiratete Winkler. Diese vier Erben waren die letzten privaten Eigentümer. 1972 wurden das Herrenhaus und ein Teil des Gartens wegen der zu hohen Unterhalts- und Erhaltungskosten von der Erbengemeinschaft an die Wohnungsgesellschaft der Stadt Quedlinburg verkauft. Das Gebäude wurde von der Volkssolidarität genutzt. 1989 kam es an die AWO, die 1999 auch die anderen Teile des Freihofes aufkaufte. Das Anwesen wurde für eine Einrichtung betreuten Wohnens und eine Begegnungsstätte genutzt, weiterhin als Sitz des AWO Kreisverbandes Harz e.V. Danach war das Haus wieder ein Vermietungsobjekt.

Literatur, Links und Quellen:
Position in Google Maps: https://www.google.de/maps/@51.7888889,11.1452687,19z - https://www.google.de/maps/@51.7888437,11.1454894,46m/data=!3m1!1e3
Freihof Mummental auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Mummental_1,_1a_(Quedlinburg)
Nutzungsgeschichte:
https://web.archive.org/web/20140323031701/http://www.bauwerk-architekt.de/index.php/Projekte/villa-mummental-die-bau-und-nutzungsgeschichte.html
Freihof Mummental:
http://www.quedlinburgweb.de/qlb/gast/geschichten/mummental.htm
Besitzer des Freihofes:
http://www.quedlinburgweb.de/qlb/gast/geschichten/mummental-besitzer.htm
Ernst Gruson:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Gruson
Rosemargrit Lohmann: Der Adelige Freyhof Mummental und seine Bewohner, Halberstadt, 2003
Ein herzliches Dankeschön an Frau Gabriele Schmidt, Tochter von Georg Gruson, für wertvolle Hinweise zur Präzisierung der jüngeren Besitzgeschichte.

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