Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2574
Tübingen

Münzgasse 16

In der Münzgasse 16 befindet sich einer der seltenen Wappensteine der historischen Altstadthäuser an dem Freihof des Hans Konrad von Fürst. Es handelt sich um ein aus zwei einander zugewandten Schilden bestehendes Ehewappen an einem auf das Jahr 1548 datierten profilierten Gewände des Rundbogenportals. Dieser ehemalige Adelssitz, der neben der Nr. 16 auch die Nr. 14 umfaßt und aus zwei dreigeschossigen, giebelständigen Gebäuden besteht, wurde um 1500 errichtet und besitzt einen schönen Innenhof. Das Erdgeschoß beider Häuser ist massiv aus Steinen gemauert, die oberen Etagen bestehen aus verputztem Fachwerk, wie an den Geschoßvorkragungen sichtbar wird. Zwischen beiden Einzelgebäuden liegt auf der Nordseite zur Straße hin ein traufständiges, fensterloses Zwischenstück. Nach Süden hin werden die beiden Hauptgebäude durch ein eingeschossiges Nebengebäude verbunden. Straßenseitig werden die einzelnen Abschnitte des Adelshofes optisch dadurch zusammengefaßt, daß das Erdgeschoß durchgehend rustiziert ist. Es handelt sich bei diesem Anwesen um den letzten erhaltenen Tübinger Patrizier- bzw. Adelshof. Aufgrund seiner Größe prägt er nach Süden hin die Altstadtansicht vom Neckar her. Das an dem spätgotischen Portal, das durch dieses Zwischenstück in den Innenhof führt, angebrachte Wappen ist konkret Hans Konrad von Fürst und seiner um 1538 geehelichten Frau Anna von Neuneck zuzuordnen.

Das Wappen der von Fürst (von First, Fyrst, Virst) zeigt in Rot einen silbernen Sparren. Die hier nicht dargestellte Helmzier wäre zu rot-silbernen Decken eine silbern-rot geteilte Spitze, oben mit einer silbernen Kugel mit schwarzem Hahnenfederbusch besteckt. Das Wappen wird beschrieben im Siebmacher Band: WüA Seite: 5, 157 Tafel: 12, 85, im Kindler von Knobloch S. 358 und im Alberti S. 206. Im Scheiblerschen Wappenbuch wird es auf Folio 193 ebenfalls abgebildet, wobei die Helmzier mit einer Spitze weit oben geteilt ist; im Wappenbuch des Abts Ulrich in St. Gallen sind die Tinkturen umgekehrt dargestellt. Im Berliner Wappenbuch ist die Helmzier ein schlanker Schaft, mit Abschluß wie beschrieben.

Die Familie von Fürst wird mit Crafft von First 1288 erstmals schriftlich erwähnt und saß auf der württembergischen Burg First (abgegangen, wurde 1756 abgebrochen) im Landkreis Tübingen, am Rande der Schwäbischen Alb etwa zwischen Mössingen und Mössingen-Öschingen. Daneben hatte sie noch andere Besitzungen wie z. B. die 1473 verkaufte Burg Hölenstein mit den Dörfern Stetten und Herschwag im Lautertal. Später kamen noch die Herrschaft Egelstal-Mühlen und zwei Herrschaften im österreichischen Burgenland hinzu. Die Familie wurde zeitweise zu den zehn wohlhabendsten Adelsgeschlechtern im Neckarviertel gerechnet. Mehrere Mitglieder der Familie tauchen als Tübinger Burgvogt auf, so der um 1494 verstorbene Konrad von Fürst (im Amt 1464-1472) und später Ernst von Fürst. Der vorerwähnte Konrad von Fürst war Inhaber von Fürst in der Markung von Öschingen bei Tübingen, ein württembergisches Lehen.

Konrads Söhne mit Ursula Swelher (Schweller) von Schwülhart waren: 1.) Ernst von Fürst wurde wie sein Vater Burgvogt auf Hohentübingen. Anläßlich der 1511 prunkvoll inszenierten Hochzeit zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und Sabina von Bayern war Ernst von First Oberbefehlshaber der 800 Mann starken Bürgerwehr. Ernst von Fürst war auch einer der Anführer der Bewaffneten, die die Stadt Tübingen dem Herzog zur Niederschlagung des Armen Konrad zur Hilfe sandte. 2.) Wilhelm von Fürst wurde ebenfalls Jurist und stieg zum kaiserlichen Rat und Kammeradvokaten auf. 3.) Veit von Fürst (-1515), Dr iuris utriusque, wurde 1493/1494 zum Rektor der Universität Tübingen gewählt. 1497 ging er nach Wien und wurde kaiserlicher Rat und Vertrauter von Maximilian I. Zur Belohnung für seine Verdienste wurde ihm die burgenländische Herrschaft Eisenstadt verpfändet, außerdem wurde er 1511 zum Statthalter des Reichslehens Modena erhoben. 4.) Kleinhans von Fürst. Konrad hatte auch noch eine Tochter: Margarethe genannt Mergel von Fürst (-1510) hatte in ihren drei Ehen nacheinander Wilhelm Böcklin II. von Egelstal, Michael Schütz d. J. von Eutingertal und Hans Bletz von Rothenstein geheiratet. Ernst von Fürst erbte 1510 von seiner Schwester die Herrschaft Egelstal-Mühlen und 1515 von seinem Bruder Veit die Herrschaften Hornstein und Seibersdorf im Burgenland.

Johann Kleinhans von Fürst, vermählt mit Margaretha von Bosenstein, hatte als Söhne Moritz von Fürst (-1552) und Hans Konrad von Fürst (-1561) und als Tochter Rosina von Fürst, vermählt mit Philipp Megenzer von Velldorf. Moritz von Fürst war Anhänger des Herzogs Ulrich und kämpfte 1519 für ihn gegen die anrückenden Truppen des Schwäbischen Bundes. Nachdem diese Sache vorerst verloren war, ging er fort auf die burgenländischen Besitzungen seines verstorbenen Onkels Veit und wurde in habsburgischen Diensten Festungskommandant von Eisenstadt, wo er durch die Verteidigung gegen die anrückenden Osmanen 1529 Verdienste erwarb. Zur Belohnung bekam er die Herrschaft Eisenstadt pfandweise übertragen. Da Moritz kinderlos war, kumulierte des gesamte Familienbesitz in den Händen seines Bruders Hans Konrad von Fürst, dem letzten Sproß der Familie.

Mit dem 1561 in Tübingen verstorbenen Hans Konrad von Fürst, einem weiteren entschiedenen Parteigänger des Herzogs Ulrich, verlieren sich die Spuren dieser Familie. Er ist derjenige, welcher um 1538 Anna von Neuneck geheiratet hatte und hier am Torbogen verewigt ist. Und er ist auch derjenige der Familie, der sich mit seinem Landesherrn der Reformation anschloß und sein Dorf Mühlen am Ausgang des Eutinger Tales bei Horb reformierte, eine evangelische Enklave. Seit 1540 nannte er sich Herr zu Egelstal. Im Schmalkaldischen Krieg stellte sich Hans Konrad von Fürst auf die herzogliche Seite und nahm an dem militärischen Aufgebot in Göppingen teil. Die Sache ging verloren, kaiserliche Truppen besetzten 1547 auch die Besitzungen des Hans Konrad von Fürst in Egelstal und Mühlen und beschlagnahmten die Einkünfte. Während dieser Zeit lebte er in Tübingen, die Jahreszahl zeigt, daß er ein Jahr nach der Besetzung seiner Güter hier bauliche Verbesserungen an seinem städtischen Freihof vornahm. Mit dem Passauer Vertrag und letztendlich dem Augsburger Religionsfrieden erhielt Hans Konrad von Fürst seine Besitzungen in Egelstal und Mühlen zurück. Burg Egelstal baute er zeitgemäß mit neuen Befestigungen aus. Da er auch seine burgenländischen Herrschaften wiedererhielt, nannte er sich nun "Hans Konrad zu First und Egelstal, Herr zu Hornstein und Seibersdorf". Seine Ehe war jedoch kinderlos. Eine Verwandte der Anna von Neuneck wurde adoptiert; sie heiratete den Tübinger Obervogt Hans Kaspar von Anweil.

In Tübingen gibt es noch weitere heraldische Spuren der Familie: In der Tübinger Stiftskirche gibt es eine eigene Stifterkapelle an der Nordwestseite des Schiffes, und am Fenster ist über der Darstellung des hl. Georg das Wappen zu sehen. Das Epitaph des Hans Konrad von Fürst mit gestürztem Wappen befindet sich in der Vorhalle der Tübinger Stiftskirche. Damit ist das Geschlecht als erloschen gekennzeichnet. Ein weiteres Wappen der Familie ist am Gut Egelstal zu sehen, datiert auf 1557. Die Kombination der Wappen von Fürst / von Neuneck ist zudem an zahlreichen Grenzsteinen seiner Herrschaft eingeschlagen. Im Kommunalwappen von Öschingen taucht der Sparren wie beschrieben in der rechten Spalthälfte auf.

Das Wappen der von Neuneck zeigt in Rot einen goldenen Balken, überhöht von einem silbernen Stern. Die hier nicht dargestellte Helmzier wäre zu rot-goldenen Decken ein roter Flug, beiderseits belegt mit einem goldenen Balken, dieser überhöht von einem silbernen Stern. So wird das Wappen beschrieben im Aschaffenburger Wappenbuch, Tafel 3, Seite 50, 51, und im Siebmacher Band: WüA Seite: 14, 21, 226, 251 Tafel: 6, 142. Das Scheiblersche Wappenbuch bildet auf Folio 63 nur einen Flügel ab. Alternative Kleinode werden angegeben: Das Berliner Wappenbuch zeigt zu rot-goldenen Decken einen wachsenden, rotgekleideten Jungfrauenrumpf, anstelle der Arme zwei silbern-schwarz geteilte Büffelhörner. Das Wappenbuch des St. Gallener Abts Ulrich zeigt ebenfalls den wachsenden Jungfrauenrumpf. Weitere Nachweise: Alberti S. 552, Kindler OB 3 (234), Conrad Grünenberg's Wappenbuch (1414), Wappenbücher von St. Christoph auf dem Arlberg (320n5), Ingeram Kodex (528). Von dieser Familie gab es eine Neunecker Linie und eine Linie zu Glatt (zu Sulz am Neckar, Landkreis Rottweil).

Die namengebende Burg Neuneck ist heute eine Ruine im Kreis Freudenstadt und gehört zu Glatten; sie mußte 1570 veräußert werden. In Glatt besaß die andere Linie der Familie ein Renaissance-Wasserschloß. Dieser Linie gehörte auch bis 1625 Burg Vörbach in Pfalzgrafenweiler. Die Familie ist 1671 mit Hans Kaspar von Neuneck im Mannesstamm erloschen. Insgesamt erlosch die Familie 1677 mit der in Speyer verstorbenenm Agnes Apollonia Elisabeth von Neuneck, Kanonissin in der belgischen Abtei Münsterbilsen. Weitere Wappen dieser Familie kann man an Schloß und Pfarrhaus Glatt sehen, an Grabdenkmälern in der Kirche St. Gallus in Glatt, im Eichstätter Mortuarium als Teil einer Ahnenprobe sowie an der Grabplatte des Augsburger und Eichstätter Kanonikers Johannes Wilhelm von Neuneck und in der Aschaffenburger Stiftskirche St. Peter und Alexander, als Teil eines Ehewappens. Der Ort Neuneck (Gemeinde Glatten, Landkreis Freudenstadt) führt ein ähnliches Schildbild als Kommunalwappen, aber dort sind Balken und Stern beide golden. Weitere Kommunalwappen im Landkreis Freudenstadt greifen ebenfalls den Stern als Motiv auf.

Anna von Neuneck (-25.4.1570) war die Tochter des Heinrich von Neuneck (-1553) zu Glatt und dessen erster Ehefrau, Veronika Reich von Reichenstein. Dieser Ehe entsprossen 4 Söhne und 6 Töchter. Ihr Vater heiratete in zweiter Ehe Els von Gültlingen. Annas Großeltern waren Anton von Neuneck und Agathe Gremlich von Zustorf.

Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@48.5197318,9.0546564,20.07z - https://www.google.de/maps/@48.5197318,9.0546564,68m/data=!3m1!1e3
Alexandra Baier: Denkmalpflegerischer Werteplan Gesamtanlage Tübingen, vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, 2016, S. 497
Burg First und die Familie von Fürst:
https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_First
von Neuneck:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuneck_(Adelsgeschlecht)
Schloß Glatt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserschloss_Glatt
Alfred F. Wolfert, Aschaffenburger Wappenbuch, Veröffentlichung des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg e. V., Aschaffenburg 1983
Siebmachers Wappenbücher wie angegeben
Scheiblersches Wappenbuch (Bayerische Staatsbibliothek Cod.icon. 312 c)
Herwig John: Kreis- und Gemeindewappen in Baden-Württemberg. Band 2: Die Kreis- und Gemeindewappen im Regierungsbezirk Karlsruhe (unter Mitwirkung von Hiltburg Köckert und Gabriele Wüst). Landesarchivdirektion Baden-Württemberg (Hrsg.), Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1990
Klemens Stadler: Deutsche Wappen. Band VIII: Baden-Württemberg. Mit Zeichnungen von Max Reinhart. Angelsachsen-Verlag, Bremen 1971
Klaus-Ulrich Röber, Walter Kneule: Was Wappen des Landkreises berichten. In: Der Landkreis Freudenstadt, 1984, 1985, 1986
Christian Pfister: Eberhard im Bart, erster Herzog zu Wirtemberg: aus echten, großenteils handschriftlichen, Geschichtquellen. H. Laupp, 1822, Seite 83 von 362 S.
Genealogie der von Neuneck: in Julius Kindler von Knobloch, Badische Historische Kommission (Hrsg.): Oberbadisches Geschlechterbuch (Band 3): M - R, Heidelberg, 1919,
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1919bd3/0232/image
Artikel über die von Fürst: in Julius Kindler von Knobloch, Badische Historische Kommission (Hrsg.): Oberbadisches Geschlechterbuch (Band 1): A-Ha, Heidelberg, 1898, SW. 356-358
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898bd1/0360/image und https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kindlervonknobloch1898bd1/0362/image
Joachim Lipp: Wie Mühlen evangelisch wurde und blieb, Artikel in: Schwarzwälder-Bote, vom 19.1.2016
https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.horb-a-n-wie-muehlen-evangelisch-wurde-und-blieb.920b706d-735b-4ad3-8c10-2657f1d332bd.html
Joachim Lipp: Wie die Mühlener "Heanle" evangelisch wurden und blieben, Artikel im Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Mühlen am Neckar, Ausgabe 3/2017, S. 7-9

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