Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2393
Lauterbach (Vogelsbergkreis)

evangelische Stadtkirche Lauterbach

In der Altstadt von Lauterbach befindet sich die evangelische Stadtkirche südlich des Schloßbereiches. Evangelisch ist Lauterbach seit 1526, als Hermann IV. Riedesel, ein Freund des Landgrafen Philipp von Hessen, hier die Reformation einführte. Die Kirche, eine der schönsten Rokoko-Kirchen Hessens, ist mit dem Chor nach Nordwesten und mit der Turmfassade nach Südosten zum Marktplatz hin ausgerichtet. Die sehr sorgfältig aus Sandsteinquadern erbaute Saalkirche mit einem mächtigen, schiefergedeckten Mansarddach steht frei an leicht abfallendem Gelände, was die Turmfassade besonders eindrucksvoll über dem engen Marktplatz aufragen läßt.

Einst stand hier eine gotische Vorgängerkirche als Vorläuferbau, der seinerzeit einen romanischen ersten Bau ersetzt hatte. Nur eine Grundrißzeichnung aus dem Jahr 1745 verrät, wie die alte Marienkirche (es gab um 1500 einen Wechsel des Patroziniums von Johannes dem Täufer zu Maria) aus dem 14. Jh. ausgesehen hat: Sie war zweischiffig (Hauptschiff im Süden und Seitenschiff im Norden) und vierjochig, annähernd quadratisch und besaß im Osten einen zweijochigen Chor mit 5/8-Schluß. Der Turm stand im Norden zwischen Seitenschiff und Sakristei. Weil diese Kirche sowohl baufällig als auch viel zu klein geworden war, und vor allem weil das in die Jahre gekommene Gebäude nicht mehr dem Zeitgeschmack und dem Repräsentationsbedürfnis für eine Residenz entsprach, entschloß man sich spätestens um 1744 unter Erbmarschall Hermann von Riedesel (gest. 1745) zu einem Neubau und riß die gotische Kirche 1763 ab. Lediglich eine steinerne Madonnenskulptur aus dem 14. Jh. und ein Kreuzabnahmerelief aus der Zeit um 1500 haben sich erhalten. Der spätgotische Marienaltar der Vorgängerkirche wird heute im Hohhaus-Museum Lauterbach aufbewahrt. Weiterhin wurden die elf Renaissance-Epitaphien aus der Zeit zwischen 1530 und 1610 in den neuen Bau übernommen; in der Marienkirche hatten sie im Chor gestanden, seit 1906 stehen sie an den Längswänden des Kirchensaales.

 

Bei der beengten Bebauung war es gar nicht so leicht, mehr Platz zu gewinnen. Die Idee, einen anderen Bauplatz zu suchen, wurde verworfen. Ebenso verworfen wurde ein ovales Grundrißkonzept. Deshalb wurde die Kirche 1763-1768 zwar am alten Platz errichtet, aber gegenüber dem alten Konzept um 90 Grad gedreht. Nun konnte man das neue Gebäude nach Nordwesten unter Nutzung des bisherigen Kirchhofes aus der Kernstadt hinaus verlängern, und den Turm setzte man mittig der platzseitigen Schaufassade auf. Für die Bürgerschaft war die Baumaßnahme trotz finanzieller Beteiligung der Freiherren von Riedesel eine große Last, es hätte im Prinzip auch eine weniger repräsentative Kirche genügt, doch die Stadtherren, die Riedesel von Eisenbach, wünschten eine Residenzkirche zu bekommen, die sich sehen lassen konnte und die einer die Reformation sehr fördernden Familie angemessen war. Die Baumeister sind namentlich bekannt, es handelte sich um Georg Koch aus Rodach bei Coburg und seinen Sohn Georg Veit Koch. Ersterer machte die Pläne, letzterem oblag die Ausführung. Das erklärt auch die stilistische Verwandtschaft zur Stadtkirche in Rodach und dem dortigen Jagdschloß, die beide ebenfalls von Vater und Sohn errichtet worden waren. Stilistisch standen die sogenannten Markgrafenkirchen des Ansbacher Architekten Johann David Steingruber Pate, von denen die Baumeister eine in Coburg zum Vorbild hatten (Morizkirche). 1768 erfolgte die Weihe der neuen Kirche. 1778 wurde die Dachkonstruktion noch einmal verstärkt; und 1926-1929 wurde das Dachgebälk erneuert.

Es wurde eine geräumige Saalkirche, deren Seitenwände je sieben Fensterachsen und zwei Portalen aufweisen, von denen die mittleren Fenster durch Größe und Verdachung gegenüber den seitlichen hervorgehoben sind. Kolossalpilaster unter Triglyphen an allen Gebäudekanten tragen ein starkes, verkröpftes Kranzgesims. Die Fenster sind zu zweien übereinander angeordnet und haben einen segmentbogenförmigen oberen Abschluß. Der Chor ist eingezogen und wird polygonal abgeschlossen. Die Marktfassade ist relativ schmal und bekommt dadurch eine dichtere Pilasterstellung. Der das Hauptportal überhöhende, dreigeschossige, durch kräftige Gurtgesimse horizontal gegliederte Turm ist fast vollständig in den Baukörper integriert, aber zum Marktplatz hin risalitartig vorgezogen. Eigentlich war der Turm noch höher geplant, jedoch wurden die Arbeiten 1766 beendet, und schlimmer noch, wegen Bauschäden mußte der obere Teil des Turmes Anfang des 19. Jh. abgetragen werden, um 1821 von Andreas Finck wieder stabiler und schlichter aufgebaut zu werden. Der achteckige Aufsatz entspricht also nicht der spätbarocken Planung, sondern ist eine Notlösung des 19. Jh. Das Prunkportal zum Marktplatz hin ist das aufwendigste der ganzen Kirche; korinthische Pilaster tragen ein kräftiges Gebälk auf Konsölchenfries; darüber rahmen zwei Voluten das zentrale Wappen der Ortsherren, die ab 1429 die Grundherrschaft in Lauterbach ausübten und das Patronatsrecht ausübten.

Die gesamte Kirche wurde 1988-1992 für etwa 1,75 Millionen Euro grundlegend restauriert. Die Fassaden wurden gereinigt, die Farbfassung im Innern wurde weitestgehend der originalen angepaßt; die Stuckdecke wurde renoviert und im Dachstuhl wurde ein zusätzliches Dachtragwerk eingebaut. Dachstuhl und Decke wurden noch einmal 2004-2008 saniert.

Wie die anderen Bildhauerarbeiten auch wurde das Prunkwappen der Marktfassade von Adam Weber aus Fulda angefertigt. Das Wappen der Freiherren Riedesel von Eisenbach ist geviert mit Herzschild, Feld 1 und 4: in Gold ein schwarzer, hersehender Eselskopf mit einem dreiblättrigen Riedgras im Maule (Stammwappen Riedesel), Feld 2 und 3: in Rot zwei schräggekreuzte goldene Turnierlanzen (wegen Eisenbach), Herzschild: in Schwarz drei (1:2) silberne Zinnentürme (Alt-Eisenbach). Die Anordnung der Türme ist hier 1:2, wie auch in Frischborn an der Kirche zu sehen ist. In Angersbach an der Pfarrkirche ist es hingegen eine 2:1-Anordnung, ebenso in Wernges. Die Tinkturen des Herzschildes werden nach einer Zeichnung von Rudolf Karasek als schwarz-silbern angegeben, ebenso im Rietstap und im Siebmacher Band: He Seite: 22 Tafel: 24 sowie Band. Pr Seite: 60 Tafel: 77. Es gibt aber auch alternative Angaben, im Siebmacher Band: Sa Seite: 15 Tafel: 14 ist die Feldfarbe fälschlicherweise grün, ebenso in einem Tyroff-Druck, eine Zeichnung von Alexander von Dachenhausen hat eine blaue Feldfarbe, was ebenfalls nicht korrekt ist.

Dazu werden zwei Helme geführt, Helm 1 (rechts): auf dem Helm mit schwarz-goldenen Decken ein schwarzer Flug, beiderseits mit einem goldenen Schildchen mit dem schwarzen, hersehenden Eselskopf und den grünen Riedgrasblättern im Maul belegt (Stammhelm Riedesel, Schildchen folgen hier in ihrem Umriß der Silhouette des Eselskopfes), Helm 2 (links): auf dem gekrönten Helm mit rot-goldenen Decken zwei schräggekreuzte goldene Turnierlanzen (wegen Eisenbach, die Lanzen sind wegen der besseren Stabilität aus Metall gefertigt worden).

Literatur, Links und Quellen:
Lauterbach: https://de.wikipedia.org/wiki/Lauterbach_(Hessen)
Stadtkirche Lauterbach:
http://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/66164
Stadtkirche Lauterbach:
http://www.ev-kirche-lauterbach.de/stadtkirche.html
Stadtkirche Lauterbach:
http://www.lauterbach-hessen.de/tourismus/stadtfuehrungen/ev-stadtkirche.html
Stadtkirche Lauterbach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtkirche_Lauterbach
Mittelalterliche Retabel in Lauterbach:
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/3507/1/Lauterbach_Marienaltar_20385531.pdf
Lauterbach im Historischen Ortslexikon:
http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/9837
Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Hessen. Deutscher Kunstverlag, München 1966
Riedesel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Riedesel - http://www.riedesel.org/
Rudolf Buttlar-Elberberg: Stammtafeln Riedesel I-V, in: Stammbuch der Althessischen Ritterschaft. 1888, S. 129-137 -
http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?PID=PPN513401067
Ernst Heinrich Kneschke: Neues allgemeines deutsches Adels-Lexicon, Band 7, Friedrich Voigt's Buchhandlung, Leipzig 1867, Seite 500-502 -
https://books.google.de/books?id=hNMEAAAAIAAJ&pg=PA500#v=onepage&q&f=false
Max von Spießen (Hrsg.): Wappenbuch des Westfälischen Adels, mit Zeichnungen von Professor Ad. M. Hildebrandt, 1. Band, Görlitz 1901-1903.
Alfred F. Wolfert, Aschaffenburger Wappenbuch, Veröffentlichung des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg e. V., Aschaffenburg 1983, Tafel 45 Seite 63, 124
Otto Hupp, Münchener Kalender 1917
vermehrtes Wappen Riedesel:
http://wiki-de.genealogy.net/Datei:Wappen_Riedesel_II_Althessische_Ritterschaft.png - http://www.riedesel.org/wp-content/uploads/wappenfze.jpg
Genealogie der von Riedesel:
http://www.riedesel.org/search/ - http://www.riedesel.org/wp-content/uploads/stammbaum.gif

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