Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 82
Würzburg (Unterfranken)

Bischöfliches Priesterseminar, Tagungs- und Gästehaus des Bistums Würzburg

Das Priesterseminar (Domerschulstraße 18) bildet ein Trapez zwischen der Alten Universität im Westen und der Seminarkirche St. Michael im Osten. Der 90 m lange Südflügel (Borgiasbau) des Priesterseminars bildet die Verlängerung der Neubaukirche entlang der Neubaustraße; der schräggestellte, 98 m lange und dreigeschossige Nordflügel (Langer Bau, beeindruckende 29 straßenseitige Fensterachsen) zieht sich entlang der Domerschulstraße. Letzterer besitzt zum Hof hin einen breiten Mittelrisalit und versetzt dazu den Haupteingang gegenüber der Einmündung der Bibrastraße. Zwei kurze Zwischenstücke binden den Westflügel (Regentenbau) an, ein weiteres kurzes Zwischenstück schließt den Versatz zwischen Nordflügel und Seminarkirche.

Die Institution ging aus einem 1567 gegründeten Jesuitenkolleg hervor. Die Jesuiten kamen zunächst im ehemaligen Agnetenkloster unter. Das Konzil von Trient forderte für jedes Bistum das Vorhandensein eines geistlichen Seminars, und dieser Forderung kam Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn 1589 durch eine entsprechendes Edikt nach. Er ließ ab 1590 den Südflügel (Borgiasbau) für das neue Kolleg errichten. Als Regens wurde 1595 Eucharius Sang (1555-11.3.1620) berufen, später Professor für Moraltheologie, Rektor der Universität und Weihbischof in Würzburg. Die Agneskirche wurde abgerissen und 1607-1610 durch eine neue Seminarkirche im Stil der Echtergotik ersetzt, die aber auch nicht mehr existiert. Während des Dreißigjährigen Krieges zog das Seminar für einen begrenzten Zeitraum in andere Räumlichkeiten um und kehrte 1655 zurück.

Unter Fürstbischof Johann Philipp von Greiffenclau-Vollraths und unter dem Regens und Generalvikar Philipp Braun (22.3.1654-1.6.1735), Professor für Kanonisches Recht, wurde der Nordflügel 1715-1719 durch den Hofbaumeister Joseph Greissing erbaut. Neben dem Baumeister, der für Entwurf und Ausführung verantwortlich war, waren der Bildhauer Jacob van der Auwera, Franz Hardt und der Maurermeister Franz beteiligt, letzterer vermutlich Franz Graser. Hier wurde ein prächtiger Portalrisalit aus rotem Sandstein errichtet, der aufgrund der Enge des Bauplatzes und der geringen Breite der davorliegenden Gasse wenig räumliche Tiefe erlaubte. Die Bibrastraße ist die einzige Möglichkeit, zur Wahrnehmung der Fassade etwas zurückzutreten. Greissing schaffte es trotz der relativ flachen Fassade durch perspektivische Raffinessen Tiefe zu erzeugen und den Risalit so zu gestalten, daß er alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

 

Die Fassade besteht im wesentlichen aus rotem Sandstein, aber alle Kapitelle, Figuren, Brüstungsfelder, Reliefs und die Muschelnische in der Mittelachse bilden durch das gelbe Material einen wirkungsvollen Kontrast. Das Erdgeschoß besitzt eine Rustizierung durch Fugen. Vier Kolossalpilaster, die ihrerseits auf Wandvorlagen liegen, gliedern die Fassade vertikal. Die schmäleren Seitenteile besitzen auf jeder der drei Etagen ein Rechteckfenster. Der breitere Mittelteil hat nur im zweiten Obergeschoß ein Doppelfenster und ein weiteres im Aufsatz darüber auf der Dachebene. Die Rahmung des Portals besteht aus abwechselnd gesetzten und radial geschnittenen Steinen aus rotem und gelbem Sandstein. Diese Rahmung bzw. Laibung ist nicht flach, sondern nach innen angeschrägt, so daß ein perspektivischer Tunneleffekt entsteht und Tiefe suggeriert. Der Keilstein trägt ein Akanthus-Ornament und trägt oben eine nach vorne eingerollte Schnecke. Die profilierte Linie über den Kapitellen ist über den Zwickeln jeweils im Bogen nach unten gezogen, was eine weitere Tiefenwirkung erzeugt. Dieser im Bogen nach unten gezogene Architrav über dem Hauptportal ist einer der Tricks, mit dem der Baumeister der Fassade scheinbare räumliche Tiefe verlieh. Der Giebel ist ein gesprengter Segmentbogengiebel, dessen Basislinie dreieckig nach oben gezogen ist. Das Gesims ist also direkt zu einem Dreiecksgiebel ausgezogen und bildet in dramatischer Staffelung seinerseits den Unterbau eines gesprengten Giebels. Die drei Linien übereinander erzeugen mit der Abfolge 1.) nach unten gebogen, 2.) nach oben aufgeworfen und 3.) gesprengt eine vertikale architektonische Dramatik auf nur ca. zwei Metern. Die Fassade ist so komponiert, daß sich die architektonischen Elemente ideal vor dem berechneten Standpunkt des Betrachters zu maximal plastischer Wirkung staffeln und mehr Tiefe suggerieren als vorhanden ist.

Im Zwischenraum unter diesem Dreieck befindet sich das Wappen des amtierenden Fürstbischofs Johann Philipp von Greiffenclau-Vollraths, es ist geviert, Feld 1: "Fränkischer Rechen" = von Rot und Silber mit drei aufsteigenden Spitzen geteilt, Herzogtum zu Franken, Feld 2 und 3: von Greiffenclau-Vollraths, erneut geviert, Feld a und d: silbern-blau geteilt, darüber ein goldenes Glevenrad, Stammwappen der von Greiffenclau-Vollraths, Feld b und c: in Schwarz ein silberner Schräglinksbalken, Ippelbrunn (Eppelborn), Feld 4: "Rennfähnlein" = in Blau eine (von der Stange aus gesehen) rot-silbern gevierte, schräggestellte und an den beiden senkrechten Seiten je zweimal eingekerbte Standarte mit goldenem Schaft, Hochstift Würzburg. Die Kartusche wird vom Fürstenhut überhöht. Das gestürzte Schwert und der Krummstab jeweils als Symbole weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit ragen hinter der üppig verzierten ovalen Kartusche mit ausladendem Rand hervor. Zu beiden Seiten sieht man je zwei geflügelte Putten, die zwischen sich jeweils eine leere ovale Kartusche oder einen Spiegel halten. Unter der zentralen Wappenkartusche sind Blumengirlanden zu beiden Seiten hin gezogen. 

Im Giebel des mittigen Aufsatzes der Fassade befindet sich innerhalb eines Wolkenkranzes das Christus-Monogramm IHS, der mittlere Buchstabe nach oben zu einem Kreuz ausgezogen. Die Kapitelle der Fassade sind äußerst phantasievoll gestaltet. Durch die Doppelung der Wandvorlage hat jedes Kapitell der oberen Ebene vier Kanten, die alle entweder mit geflügelten Engelsköpfen oder mit dem Wappentier des Fürstbischofs, dem Greifen, verziert sind. Die Kapitelle der unteren Ebene sind anders gestaltet, aber auch hier tauchen auf den beiden äußeren die Greifenmotive auf. Über den Fenstern sehen wir als weiteren Schmuck geraffte Tuchgirlanden mit geflügeltem Engelskopf in der Mitte. In den gesprengten Segmentbogengiebel ist eine gerahmte Muschelnische eingestellt. Dort stand ursprünglich eine Figur des Gründers des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, eine Arbeit von Jakob van der Auwera. Zwei weitere Figuren lagern seitlich auf den Bogensegmenten, die linke mit aufgeschlagenem Buch und Kreuz, die rechte mit flammendem Herz, Allegorien der Fides und der Caritas.

Der Westflügel (Regentenflügel) mit den Räumen für den jeweiligen Regens wurde 1728-1731 durch Balthasar Neumann in nüchternen barocken Formen neu gebaut. Das Jesuitenkolleg bestand bis zur Aufhebung des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV.  im Jahr 1773. In den Jahren 1765-1798 wurde die Michaelskirche durch Johann Philipp Geigel und Johann Michael Fischer m Stil des frühen Klassizismus neu gebaut. Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal ließ 1788 den Südflügel aus der Echterzeit abbrechen und durch einen Neubau ersetzen, um das Aussehen der Flügel zu vereinheitlichen. Er richtete dann 1789 das Priesterseminar in den Gebäuden ein. Damals gab es eine Änderung am Figurenprogramm des Hauptportals im Nordflügel: Ignatius von Loyola war nicht mehr zeitgemäß, also wurde er entfernt und durch eine Figur des Hofbildhauers Johann Peter Wagner ersetzt, welche den Guten Hirten darstellt, passend zum Titel "Seminar zum Guten Hirten". Unter der Figur wurde eine Inschriftentafel angebracht mit dem Wortlaut: "SCHOLA PASTORUM / SUB MAGISTRO PASTORE BONO". Zwei Schafe und zwei geflügelte Putten begleiten den Hirten, der seine Rechte dem linken Putto zuwendet. Der neue Südflügel wurde erst nach der Säkularisation fertig.

Abb. oben und unten: Greifenschmuck seitlich

Das Priesterseminar wurde am 16.3.1945 schwer beschädigt und bis in die 1960er Jahre wiederaufgebaut. 1997-2003 erfolgte eine Generalsanierung der Gebäude. Das für Priesteramtskandidaten des Erzbistums Bamberg und des Bistums Würzburg zuständige und zuletzt sehr still gewordene Bischöfliche Priesterseminar wurde 2021 für Neuaufnahmen geschlossen, weil zu wenig Nachwuchs vorhanden war. Zuletzt waren es nur noch sieben Personen. Die Gesamtzahl der Priesteramtskandidaten lag 2020 bei neun für Würzburg und elf für Bamberg. Bereits seit 2015 wurden im Borgiasbau Zimmer an Studenten anderer Fachrichtungen vermietet. Die letzten Kandidaten wurden nach München ans Herzogliche Georgianum verlegt. Das Gebäude wird fortan für die pastorale Aus- und Fortbildung für alle Seelsorgeberufe und als Tagungs- und Gästehaus des Bistums Würzburg genutzt werden. Damit kann man in Bayern nur noch in München, Eichstätt und Regensburg Priester werden.

Zur Übersicht ein Ausschnitt aus der Liste der Würzburger Fürstbischöfe:
(hervorgehoben ist der mit seinem Wappen vertretene Fürstbischof während des Nordflügelbaus)

Literatur, Links und Quellen
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@49.7907706,9.933719,19z - https://www.google.de/maps/@49.7907706,9.933719,167m/data=!3m1!1e3
Webseite des Bischöflichen Priesterseminars:
https://www.priesterseminar-wuerzburg.de/
Priesterseminar auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Priesterseminar_Würzburg
Priesterseminar im Würzburg-Wiki:
https://wuerzburgwiki.de/wiki/Priesterseminar
Johannes Mack: Der Baumeister und Architekt Joseph Greissing, mainfränkischer Barock vor Balthasar Neumann, hrsg. von der Gesellschaft für fränkische Geschichte, VIII. Reihe: Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte, c/o Verlag Ph. C. W. Schmidt, 1. Auflage 2009, 797 S., ISBN-10: 3866528167, ISBN-13: 978-3866528161, S. 384-386, 535, 550, 646
Peter Kolb: Die Wappen der Würzburger Fürstbischöfe. Herausgegeben vom Bezirk Unterfranken, Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte e. V. und Würzburger Diözesangeschichtsverein. Würzburg, 1974, 192 S.

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