Stephanie Brach und Bernhard Peter
Die Chemie des Baldrians

Stammpflanzen:

Natürliche Inhaltstoffe von Valeriana officinalis:

1.) Ätherisches Öl, je nach Autor bis 1.5 %,[1, 5] 0.5-1.5%[4], durchschnittlich 0.4-0.6%[5] bzw. 0.3-0.7%[2] Das ätherische Öl ist in der Rhizodermis und vor allem in der Hypodermis der Wurzel lokalisiert.[4] Die Zusammensetzung des ätherischen Öles ist je nach Chemotyp des Baldrians sehr unterschiedlich.[6] Bornylacetat ist meist die Hauptkomponente,[2] weiterhin enthält das ätherische Öl Ester der Isovaleriansäure mit a-Hydroxyisovaleriansäure, mit Eugenol und Isoeugenol. Dazu kommen Ameisensäure-, Buttersäure-, Essigsäure- und Isovaleriansäureester des (-)-Borneols, Myrtenols und Cymols[1, 4, 5] und Ester der a-Hydroxyisovaleriansäure.[5] Der typische Geruch wird vorwiegend durch das (-)-Borneylisovalerianat und freie Isovaleriansäure bestimmt.[6]

Ferner enthält das äth. Öl Monoterpene wie a-Pinen, b-Pinen, (-)-Camphen, (-)-Limonen, p-Cymol.[1, 2, 4]

 Im äth. Öl sind ebenfalls Sesquiterpene zu finden wie Caryophyllen und b-Bisabolen[1, 2, 4] und die Alkohole Valerol, Maaliol[4] und Cryptofaurinol (5-12% des äth. Öles)[6]

     

Ebenfalls kommen Sesquiterpen-Carbonyl-Verbindungen vor wie Valeranon (syn. Jatamanson[4], 10-20% des äth. Öles[6]) und Valerenal (1-5% des äth. Öles).[1, 4, 6]

2.) Schwer flüchtige Sesquiterpencarbonsäuren, je nach Autor 0.1-0.3%,[1, 5] 0.1-0.9%[6] bzw. 0.08-0.3%[2]. Charakteristische Inhaltsstoffe des offizinellen Baldrians ("Leitsubstanzen"), die in anderen Valeriana-Arten nicht vorkommen, sind die Sesquiterpene Valerensäure und Acetoxyvalerensäure, dazu etwas Hydroxyvalerensäure (speziesspezifisch).[2, 3, 4]

3.) kurzkettige Carbonsäuren[1, 5] wie Buttersäure, Isovaleriansäure, Weinsäure, Bernsteinsäure, Citronensäure:

4.) Freie Fettsäuren[1, 5] wie Ölsäure, Stearinsäure, Linolsäure, Linolensäure, Behensäure, Arachidonsäure:

5.) Iridoidester mit Epoxid-Struktur = Valepotriate: [1, 2, 3, 5] Valepotriate sind labile, nichtflüchtige, lipophile Stoffe, die vorwiegend in Rindenzellen gebildet werden.[3] Die Valeriana-officinalis-Wurzel enthält je nach Autor 0.5-1.2%[1], 0.5-2%[2] bzw. 1-2%[4] Valepotriate (in anderen Arten mehr!), davon ca. 80% Valtrate (Valtrat zu Isovaltrat ca. 4:1).[1] Die Zusammensetzung ist je nach Kleinart sehr verschieden, mengenmäßig herrschen aber Valtrat und Isovaltrat vor, daneben kommen kleine Mengen Didrovaltrat und IVHD-Valtrat (Isovaleroxyhydroxydidrovaltrat) und das Glykosid Valerosidat (kein Valepotriat) vor.[2,3] Valerosidat ist ein wasserlösliches Iridoidesterglykosid und enthält keinen Epoxidring.[4] Die Valepotriate stellen Ester eines terpenoiden, dreiwertigen Alkohols dar, der sich von dem iridoiden Cyclopenta-(c)-pyran ableitet und zusätzlich einen Epoxidring enthält. An der Veresterung sind Essigsäure, Isovaleriansäure, Acetoxyisovaleriansäure, Isovaleroxy-hydroxy-isovaleriansäure und Isocapronsäure beteiligt. Der iridoide Grundkörper kann als Monoen oder als Dien vorliegen.[4] Entsprechend der Variationsmöglichkeiten der Acylsubstitution sind bis heute 12 Strukturvarianten der Valepotriate bekannt.[4]

a) Monoentyp (geben keine Halazuchromreaktion, bilden mit Salzsäure und Essigsäure nur unspezifische Braunfärbungen, Ausnahme: IVHD-Valtrat)[4]

b) Valerosidat: Iridoid-Esterglykosid (kein Valepotriat, da kein Epoxidring und kein Triester)[4]

 

c) Dientyp (analytisch nachweisbar durch die Halazuchromreaktion, bilden mit Salzsäure und Essigsäure blaue Farbsalze)[4]

6.) Aromatische Carbonsäuren:[1, 5] Chlorogensäure, Kaffeesäure, Isoferulasäure (= trans-Hesperidinsäure)

7.) Aminosäuren:[1, 5] Tyrosin, Glutamin, GABA

8.) Kohlenhydrate:[1, 5] Stärke und hohe Anteile an Glucose (1.5%), Fruktose (1%), Saccharose (5%) und Raffinose (3%).

Das Vorkommen von Alkaloiden wird in der Literatur kontrovers diskutiert, es gibt Literatur pro[6, 12] und contra.[1, 5]

 

Zersetzungsprodukte in Valeriana sp.:
Durch die Instabilität der Valepotriate bedingt, entstehen insbesondere bei unsachgemäßer Lagerung oder ungeeigneten Trocknungsbedingungen Baldrinale (s. u.).

 

Unterschiede im Inhaltsstoffmuster zwischen den einzelnen Baldrian-Arten:

Pakistanischer Baldrian und mexikanischer Baldrian werden zur industriellen Gewinnung der Valepotriate verwendet. Beide haben einen wesentlich höheren Gehalt an Valepotriaten als der offizinelle Baldrian: V. wallichii: 5.42+/-0.16%, V. mexicana 4.06+/-0.17% und V. officinalis 0.97+/-0.04%.[1, 5]

Mexikanischer Baldrian zeigt im typischen Fall das folgende Verteilungsmuster: Isovaltrat ca. 40%, Didrovaltrat ca. 32%, Acevaltrat ca. 1%, IVHD-Valtrat ca. 10%.[1] Typisch ist ein hoher Gesamtgehalt an Valepotriaten und ein Vorherrschen von Valtrat und Isovaltrat (V. mexicana hat den höchsten Valtratgehalt).[3, 4]

Afghanischer bzw. Indischer Baldrian gelangt in zwei Sorten in den Handel, einer Didrovaltratrasse und einer Valtrat/Acevaltratrasse, je nachdem, welche Valepotriate im Gemisch überwiegen.[1, 3, 4, 5, 7]

V. officinalis hat Valtrat als Hauptkomponente.[4, 7] Charakteristische Inhaltsstoffe des offizinellen Baldrians ("Leitsubstanzen"), die in anderen Valeriana-Arten nicht vorkommen, sind die Sesquiterpene Valerensäure und Acetoxyvalerensäure, dazu etwas Hydroxyvalerensäure.[2] Ebenfalls als Leitsubstanz zu bezeichnen ist die trans-Hesperidinsäure.[2] Valerenal und die Valerensäuren kommen in allen Varietäten und Sorten des europäischen Baldrians vor. Valeranon kommt hingegen nur in bestimmten westeuropäischen Baldrianarten vor.[1] Isoeugenolylisovalerat ist für den offizinellen europäischen Baldrian typisch.[1]

Maaliol fehlt in europäischem Baldrian, kommt aber im japanischen Baldrian, Valeriana officinalis var. angustifolia vor.[1] Japanischer Baldrian enthält im Gegensatz zum offizinellen Baldrian Kessylalkohol.[4] Die beiden Bornylester werden in europäischem und im japanischen Baldrian gefunden.[1]

Art Monoterpene Sesquiterpene Valepotriate[7] Sonstige
V. officinalis Bornylester, Valeriansäure, Isovaleriansäure Valerensäure

Acetoxyvalerensäure

Hydroxyvalerensäure

Valtrat/Isovaltrat 0.4-2%

Didrovaltrat           0.1%

Acevaltrat             0.1%

andere                  0.1%

Isoeugenolylisovalerat

trans-Hesperidinsäure

V. wallichii,

Valtrat-Rasse

--- Patchoulialkohol, Calaren, a-Curcumen, Maaliol[13] Valtrat/Isovaltrat     2%

Didrovaltrat           0.1%

Acevaltrat              0.4%

andere                   0.1%

---
V. wallichii,

Didrovaltrat-Rasse

--- Patchoulialkohol, Calaren, a-Curcumen, Maaliol[13] Valtrat/Isovaltrat    0.7%

Didrovaltrat        1.5-3%

Acevaltrat             0.4%

andere                  0.1%

---
V. edulis

ssp. procera

  Spuren Valtrat/Isovaltrat    3.5%

Didrovaltrat        1.5-4%

Acevaltrat             0.1%

andere                  1.0%

---
V. off. var. angustifolia Bornylester Maaliol keine Angaben Kessylalkohol

Stabilität von Baldrian:
Die Valepotriate sind thermo-, säure- und alkalilabil. Hauptabbauprodukte sind in jedem Fall undefinierte Polymerisate. Daneben können sich geringe Mengen Baldrinale bilden. Die Baldrinale unterscheiden sich von den Valepotriaten durch den Ersatz der Epoxidgruppe, durch eine Aldehydgruppe und durch Abspaltung (Eliminierung) von zwei der drei Esterseitenketten unter Ausbildung zweier neuer Doppelbindungen. Bei längerer Lagerung der Wurzel, von Tinktur oder Präparaten entstehen ebenfalls ge­ringe Mengen von Baldrinalen.[1, 4]

Pharmazeutische Verwendung:
Baldrian wird vor allem in Form der Tinktur, aber auch als Tee als Sedativum gebraucht und zur Beeinflussung psychovegetativer und psychosomatischer Störungen bei Unruhe, Angst- und Spannungszuständen und gegen Konzentrationsschwäche angewandt.[1, 3, 5] Weiterhin wird Baldrian angewandt bei nervös bedingten krampfartigen Schmerzen im Magen-Darm-Bereich.[5] Das Wirkprinzip bzw. die wirksamen Inhaltstoffe sind unbekannt.[1] Die Ansichten, welche Inhaltsstoffe oder Inhaltsstoffgruppen für die sedierende Wirkung verantwortlich sind, haben sich in den letzten 20 Jahren häufiger geändert.[2] Trotz intensiver Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, eine einzelne Substanz oder Substanzklasse als den sedativ wirksamen Stoff zu ermitteln. Eine Zeitlang hat man Valepotriate für den Effekt verantwortlich gemacht, aber in Teezubereitungen finden sich nur noch die Baldrinale. Man nimmt heute an, daß die sedierende Wirkung valepotriatfreier Zubereitungen auf dem Zusammenwirken verschiedener Inhaltsstoffe und Abbauprodukte beruht.[2] Valerensäure wirkt muskelrelaxierend, spasmolytisch und ZNS-dämpfend. Valerensäure und verwandte Sesquiterpene hemmen den Abbau des Transmitters GABA.[2] Tierversuche deuten darauf hin, daß die sedative Wirkung auf die Wechselwirkung mit Adenosinrezeptoren und/oder auf eine Ausschüttung von GABA sowie eine Hemmung ihrer Rückspeicherung im ZNS zurückzuführen ist.[6]

Sonstiges Vorkommen von Iridoiden
Iridoide sind im Pflanzenreich weit verbreitet, gehäuft treten sie auf bei den Apocynaceae, Gentianaceae, Lamiaceae, Loganiaceae, Menyanthaceae, Plantaginaceae, Rubiaceae, Pedaliaceae, Scrophulariaceae, Valerianaceae und Verbenaceae, also in den Ordnungen Gentianales und Lamiales.[11] Iridoide sind Teil vieler Alkaloide aus den genannten Familien. Auch von einigen Insekten werden sie gebildet.[11]

Analytik von Baldrianwurzel[12]

Die Identifizierung von Valeriana officinalis erfolgt über die drei Verbindungen, die nur in dieser Sammelart, nicht aber in den anderen Baldrianarten vorkommen: Valerensäure, Hydroxyvalerensäure und Isoferulasäure.

Reinheit: Dünnschichtchromatographisch durch Vergleich der Lage und Intensitäten der Banden mit Literaturdaten.

Gehalt: Die Gehaltsbestimmung mißt das ätherische Öl (Wasserdampfdestillation). Gefordert ist ein Mindestgehalt von 0.5% in V. officinalis.

Literatur:

[1]     E. Steinegger, R. Hänsel, Pharmakognosie, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992, S. 666 ff.

[2]     M. Wichtl (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, 3. Auflage, WVG, Stuttgart 1997, S. 603 ff.

[3]     H. Rimpler, Pharmazeutische Biologie II, Biogene Arzneistoffe, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1997, S. 259 ff.

[4]     H. Wagner, Pharmazeutische Biologie 2, Drogen und ihre Inhaltsstoffe, 5. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1993, S.91 ff.

[5]     R. Hänsel, J. Hölzl, Lehrbuch der pharmazeutischen Biologie, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 1996, S. 67 ff.

[6]     E. Teuscher, Biogene Arzneimittel, 5. Auflage, WVG, Stuttgart 1997, S. 116 ff.

[7]     H. Wagner, S. Bladt, E. M. Zgainski, Drogenanalyse, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, 1983, S. 263 ff.

[8]     P. Pachaly, DC-Atlas - Dünnschichtchromatographie in der Apotheke, WVG, Stuttgart 1991, 3. Lieferung 1994.

[9]     E. Teuscher, Biogene Arzneimittel, 5. Auflage, WVG, Stuttgart 1997, S. 115.

[10]   E. Teuscher, Biogene Arzneimittel, 5. Auflage, WVG, Stuttgart 1997, S. 116.

[11]   E. Teuscher, Biogene Arzneimittel, 5. Auflage, WVG, Stuttgart 1997, S. 114.

[12]   Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis, Band "Drogen", 5. Auflage, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1995, S. 1082 ff.

[13]   J. Hölz, DAZ, 136, 1996, 17.

[14]   R. Bos, H. J. Woerdenbag, H. Hendriks, Th. M. Malingré, Zeitschrift für Phytotherapie, 13, 1992, 26.

[15]   R. Hänsel, Zeitschrift für Phytotherapie, 11, 1990, 14.

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