Bernhard Peter
Der Vermehrungszyklus von HIV

Vermehrungszyklus von HI-Viren
Die Vermehrung von HI-Viren kann man in mehrere Schritte unterteilen:
1. Anlagerung an die Zielzelle
2. Fusion der Lipidhülle mit der Membran der Zielzelle
3. Uncoating
4. Reverse Transkription
5. Integration
6. RNA-Replikation
7. Translation viraler Proteine
8. Prozessierung
9. Assembly – Zusammenbau neuer Virionen
10. Freisetzung und Reifung

Schritt 1: Anlagerung an die Zielzelle
Entscheidend für den Erfolg einer Infektion ist das „Matching“ zwischen Virus und Zielzelle. In seine Lipidhülle eingebaut trägt das Virus Glykoproteine, die ihm spezifische Oberflächeneigenschaften verleiht. Erst wenn es zu einer Wechselwirkung mit passenden Oberflächenstrukturen einer Zelle kommt, kann sich der Virus anlagern und im nächsten Schritt aufgenommen werden.

Im Detail müssen zusammenpassen: Seitens des Virions das Glykopeptid gp120 sowie seitens der Zelle CD4-Peptid (zuerst) und CCR5-Chemokin-Rezeptor (danach). Dieses Prinzip erklärt, warum die Viren nur ganz bestimmte Zielzellen befallen, im Falle des HIV eine bestimmte Sorte der T-Helferzellen, nämlich die mit dem Eiweiß namens CD4, sowie die Monozyten mit den selben Oberflächen-Strukturen.

CD4 befindet sich auf der Oberfläche von ca. 60% aller T-Lymphozyten, von T-Vorläuferzellen in den immunogenen Organen, dazu auf Makrophagen, Monozyten, eosinophilen Leukozyten, Mikrogliazellen, dendritischen Zellen etc. Die erste Kontaktaufnahme zwischen Virion und menschlicher Zelle erfolgt über eine Wechselwirkung von dem CD4-Protein mit dem gp120-Glykoprotein. Doch dieser Prozeß leitet die Bindung erst ein, denn für eine vollständige Bindung ist eine zweite Wechselwirkung notwendig, nämlich die des gp120-Glycoproteins mit einem Korezeptor, in den meisten Fällen ist es der CCR5-Chemokin-Rezeptor für die M-tropen Viren (monozytotropen Viren), dagegen der CXCR4-Korezeptor bei T-tropen Viren (T-zell-tropen Viren).

Schritt 2: Fusion der Lipidhülle mit der Membran der Zielzelle
Retroviren sind behüllte Viren – eine Lipiddoppelmembran umgibt die Kapside wie ein Ballon oder wie eine Seifenblase. Das Grundmaterial für die Lipiddoppelmembran, die die Viren umgibt, ist genau das gleiche wie das der Wirtszelle, einmal von den spezifischen, in die Membran eingebauten Glycoproteinen abgesehen. So wie zwei Seifenblasen miteinander zu einer größeren fusionieren können, so fusionieren auch Viren-Lipid-Membran und Wirtszell-Lipid-Membran.

Im Detail ist das ein wenig komplexer: Wenn das virale Glycoprotein gp120 an die zelleigenen Transmembranproteine CD4 und CCR5 gebunden hat, dann kommt es zu einer Konformationsänderung der Glycoproteine. Das gp120 weicht zur Seite, das bisher darunter verborgene gp41 kommt hervor und verhakt sich mit seinem N-terminalen Ende in der Zelloberfläche. Dann sorgt das virale Glycoprotein gp41 dafür, daß sich Virus und Zelle so nahe kommen, daß die Fusion stattfindet, indem zwei Abschnitte von gp41 freigelegt werden, die sich miteinander verbinden. Erst infolge dieser Konformationsänderung kann die virale Membran mit der der Zielzelle fusionieren. Im Ergebnis findet sich das Viruskapsid mit dem genetischen Material im Zellinnern wieder, aber ohne Hülle.

Schritt 3: Uncoating
In diesem Schritt wird das Virion weiter zerlegt, das Kapsid wird abgetrennt, letztendlich bleibt nur die Information und die Funktion übrig: Die Virus-RNA und die Virus-Enzyme.

Schritt 4: Reverse Transkription - Retroviren kehren das zentrale Dogma der Biologie um
Bis zum Bekanntwerden war für Molekularbiologen die Welt noch in Ordnung: Man hatte ein „zentrales Dogma“, welches besagte, daß der Informationsfluß in der Zelle ganz klar in der Hierarchie gerichtet ist: Die DNA ist die Erbinformation, deren Information von RNA übermittelt wird, damit Proteine (Eiweiße) in der Zelle synthetisiert werden. Der Informationsfluß erfolgt also von der Leitzentrale über die Boten zu den Ausführenden, von der DNA über die RNA zu den Eiweißen.

Und das war mit einem Mal nicht mehr gültig! Die Retroviren durchbrachen dieses sog. zentrale Dogma der Molekularbiologie: Der Virus schleust RNA ein – wie viele andere Viren auch, aber diese anderen herkömmlichen RNA-Viren beschränken sich darauf, über ihre RNA den Eiweißstoffwechsel der Zelle in ihrem Sinne zu verändern. Retroviren dagegen verfügen über ein spezielles Enzym, welches das bisher für unmöglich Gehaltene wahr macht: Die sog. Reverse Transkriptase schreibt die Einzelstrang-RNA des Virus in eine DNA um! Damit ist die Richtung des Informationsflusses umgekehrt worden.

Im darauffolgenden Schritt agiert die Reverse Transkriptase wie eine Nuklease: Der RNA-Strang wird entfernt, und zur der bislang einzelsträngigen neuen DNA wird ein komplementärer Strang synthetisiert, so daß man doppelsträngige provirale DNA erhält.

Exkurs: Endogene Retroviren:
Retroviren sind sogar ein ganz normaler und meist unauffälliger Bestandteil des menschlichen Genoms. Sie sind als gesammelte Spuren früherer Infektionen, die während der Evolution Zellen der Keimbahn betrafen, übriggeblieben, und sie werden als „Datenmüll“ seitdem in der Regel folgenlos weitervererbt – insgesamt ca. 8 % (!) des menschlichen Erbgutes, 26 verschiedenen Linien zuzuordnen, die jeweils auf einzelne Infektionen zurückgehen. Die Erinnerung daran wird die Spezies Mensch nie mehr los.

Schritt 5: Integration
Ein weiteres Enzym, welches der Virus mitbringt, ist die Integrase. Die sorgt dafür, daß die neue DNA nach Transport in den Zellkern in die DNA-Erbinformation der entsprechenden Chromosomen der Wirtszelle eingebaut wird. Der Einbau ist notwendig, damit die Virus-DNA wie bei der normalen DNA abgelesen und Messenger-RNA hergestellt werden kann. Zu beiden Seiten des Virus-Gens befindet sich eine sog LTR-Zone (long terminal repeat) – das sind die Schnittstellen, die beidseitig mit der DNA des Wirtes verbunden werden. Erst die Aktivierung der CD4-Zelle ermöglicht die Integration. Das eigentlich Fatale an dem Einbau ist: Die Wirtszelle kann sich nie mehr von der Virus-DNA trennen, weil diese fester Bestandteil der eigenen Erbinformation geworden ist! Schlimmer noch: Die Zelle kann auch nicht erkennen, welche Abschnitte eigene und welche fremde Informationen enthalten! Der Zellstoffwechsel kann jetzt vom Virus fremdgesteuert werden.

lebenslange Reservoire
Solange die CD4-Zelle aber nicht aktiviert ist, erfolgt keine Integration. Das HIV-Genom liegt als provirale, nicht-integrierte Virus-DNA vor. Latent infizierte und ruhende CD4-Zellen mit nicht integrierter DNA stellen ein lebenslanges Reservoir dar und machen die medikamentöse Bekämpfung des Virus zu einer nie endenden Sisyphusarbeit. Auch Makrophagen, Monozyten und Mikrogliazellen etc. stellen ein lebenslanges Reservoir dar, das z. T. unerreichbar ist.

Schritt 6: RNA-Replikation
Wie vom normalen Zellstoffwechsel gewohnt, wird die DNA abgelesen, es werden RNA-Moleküle gebaut. Darunter ist vor allem RNA, die identisch ist mit derjenigen, die die Zelle einst infiziert hat – die genetische Information des HI-Virus. Es werden größere Mengen davon als „Rohstoff“ für die Virusproduktion hergestellt, dabei wird auf die RNA-Polymerase der Wirtszelle zurückgegriffen, eine solche hat das Virion nicht mitgebracht.

Schritt 7: Translation viraler Proteine
Willig folgt die Zelle den auf dem neuen Abschnitt kodierten Befehlen, welche Eiweiße zu bauen sind – Virus-Eiweiße natürlich. Für neue Viren werden viele verschiedene Eiweiße benötigt. Zum einen sind das die Kapsid-Proteine, aus denen das Kapsid besteht, dann die Matrix-Proteine, mit denen die Hülle innen ausgekleidet ist, dann die Proteine, die später als Glycoproteine in der Lipidmembran der Hülle (envelope) eingebaut werden. Das waren jetzt 3 Sorten Struktur-Proteine. Es werden aber auch 3 Funktionsproteine gebraucht, die die neuen Viren mit auf ihre Reise zu neuen Zellen bekommen: Die Reverse Transkriptase, die Integrase und die Protease.

Schritt 8: Prozessierung
Die Protease wird gebraucht, um das Primärprodukt der Translation, die Vorläufer-Proteine in die einzelnen funktionsfähigen Stücke zu zerschneiden, denn die einzelnen Eiweiße werden erst einmal kontinuierlich gebaut und dann in die benötigten Einzelteile zerschnitten. Weitere Schritte sind notwendig, um aktive Bauteile für die neuen Viren zu erhalten, das nennt man Prozessierung der Primärprodukte.

Schritt 9: Assembly – Zusammenbau neuer Virionen
Viren sind meist so gebaut, daß ihr Kapsid aus wenigen repetitiven Einheiten besteht, die durch Selbstassoziation bestimmte Raumelemente wie in Modul-Bauweise bilden. Die hohe Regelmäßigkeit im Aufbau macht die Assoziation der einzelnen Elemente zu einem neuen Virus einfach.

Schritt 10: Freisetzung und Reifung
Retroviren sind behüllte Viren. Das Material für die Lipiddoppelmembran, die die Viren umgibt, stammt aus der Zellmembran der Wirtszelle. Bei der Freisetzung wird ein Abschnitt der Zellmembran ausgestülpt und abgeschnürt, so daß er wie ein Ballon das Viruskapsid umgibt. Vorher werden aber in die Lipidmembran bestimmte Glycoproteine eingebaut, die dem neuen Virus seine speziellen Oberflächeneigenschaften verleihen. Diese Glycoproteine sind in der Membran der Wirtszelle nicht vorhanden und werden in den Schritten 7 und 8 hergestellt. Erst durch diese Glycoproteine erhält der neue Virus seine spezifischen Oberflächenstrukturen, mit denen er neue Zellen erkennen und infizieren kann. Die Viren verlassen die Wirtszelle und infizieren weitere T-Helferzellen. Pro Tag können bis zu 10 Milliarden neuer Viren produziert werden – alles mit dem Stoffwechsel des Patienten.

Je nach Zelltyp ist der Prozeß des „Budding“ unterschiedlich: Bei den T-Zellen werden die Viren gleich nach außen abgegeben, sie sprossen alle auf der Zelloberfläche. Aber bei Monozyten und Makrophagen ist es genau so möglich, daß sie erst in Membransysteme des Zellplasmas (Endoplasmatisches Retikulum, Vesikel) hinein gebildet und angesammelt werden und schließlich als ganze Gruppe an den Extrazellularraum abgegeben werden.

Literatur:
www.hiv.net
Fritz H. Kayser et. al., Medizinische Mikrobiologie, 11. Auflage, Thieme Verlag ISBN 3-13-444811-4, S. 538-550

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