Bernhard
Peter
Architektur
unter Timur Lenk
Projekt
Stadterneuerung für ein Weltreich
Unter Timur wurde das
zentralasiatische Reich zur überregionalen Macht, und die
wichtigen Städte seines Reiches, allen voran Samarqand, wurden
durch ein gewaltiges Bauprogramm umgestaltet. Zu Timurs Zeiten
müssen seine Städte Großbaustellen geglichen haben, in
rastloser Entwicklung wie sein Reich, immer prächtiger,
größer, schöner sollten die Residenzstädte ausgestattet
werden, und vor allem schnell sollte es gehen. In Samarqand
sollen nach den Quellen im Jahre 1404 beispielsweise ca. 150 000
Arbeiter auf den imperialen Baustellen im Einsatz gewesen sein.
Der Preis für die gewaltigen Bauvorhaben war aber auch die
Zerstörung der alten Viertel: Ganze Stadtteile wurden ohne
Rücksicht auf die Bewohner niedergerissen, um Platz zu schaffen
für gewaltige Basare und öffentliche Bauten.
Triebkräfte der
beispiellosen Blüte der Architektur im Timuridenreich waren:
- das Bestreben, der neuen Hauptstadt
Samarqand ein angemessenes und repräsentatives Aussehen
zu geben. Es galt, in relativ kurzer Zeit repräsentative
Profan-Architektur zu schaffen. Timurs grenzenlose Macht
sollte sich in der Architektur und insbesondere in ihrer
Monumentalität widerspiegeln. Besonders gut bringt das
die Inschrift am Portal des Aq Sarai in Shahrisabz zum
Ausdruck: Zweifelst Du an unserer Macht, dann schau
auf unsere Bauwerke genau das war die
gesellschaftliche Dimension der timuridischen
Architektur.
- Die Führerschaft der islamischen Welt
oder zumindest der Anspruch darauf sollte durch
repräsentative Sakralbauten (oder eher sakrale
Repräsentationsbauten?) deutlich gemacht werden.
- Desgleichen sollte dem kulturellen
Anspruch, zentralasiatische und persische Traditionen zu
verbinden, sichtbar Gestalt verliehen werden. Baumeister
und Künstler von überall aus den eroberten Gebieten
kamen zum Einsatz: Aus Persien, Kleinasien, Indien,
Aserbaidschan, Kaukasien etc. wurden sie meist
unfreiwillig mitgebracht (Leiturgie-Prinzip).
Dies führte zur Synthese eines eigentümlich
islamisch-internationalen Stiles, der ganz
unterschiedliche künstlerische Traditionen miteinander
verbindet. Die Schaffung eines neuen Stiles
war zugleich politisches Programm und spiegelt das
Selbstbewußtsein des timuridischen Reiches wider.
Entsprechend waren die
beeinduckenden Bauten aus Timurs Zeit, die wir heute bewundern,
Reichsarchitektur, Machtarchitektur, Auftragsarchitektur des
Staates. Es war eine Zeit der großen Prachtentfaltung, aber nur
geringen geistigen Gehaltes. Die meisten Bauwerke verraten ein
unstillbares Verlangen nach Glanz und Größe und verbinden sich
mit dem überreichen Dekor zu einem theatralischen
Gesamteindruck. Schade nur, daß sich Timur nur so selten der
Pracht seiner neuen Hauptstadt erfreuen konnte: Timur weilte nur
in den Jahren 1382, 1383, 1384, 1388, 1396-98, 1399 und 1404 in
seiner Residenzstadt, die übrige Zeit verbrachte er auf
Feldzügen. Und die wenigsten Bauwerke hat er vollendet gesehen,
bevor er starb. Und dennoch trägt jedes einzelne unter seiner
Herrschaft errichtete Bauwerk seine Handschrift: Was Form, Ort
und Dimension anbelangt, zählte nur der Wille Timurs: Sein
persönliches Eingreifen in den Bauvorgang war Standard und wenn
ihm etwas nicht paßte, ließ er gnadenlos abreißen und nach
seinen Vorstellungen neu bauen!
Unbegrenzte
Ressourcen für gewaltige Projekte
Die Rahmenbedingungen für die
Blüte der Architektur konnten optimaler nicht sein:
- Den Bauprojekten standen praktisch
unbegrenzte Mittel zur Verfügung
- Den Bauprojekten standen ob
freiwillig oder unfreiwillig, sei hier einmal nicht
diskutiert - unbegrenzt die besten Künstler und
Handwerker zur Verfügung
- Da die Künstler und Handwerker aus
den unterschiedlichsten Regionen stammten, verfügte die
Bauleitung über breit gefächerte künstlerische
Traditionen und über vielfältiges handwerkliches
Know-how.
Islamische
Architektur
Natürlich handelt es sich um
islamische Architektur, mit ihren charakteristischen
Unterschieden zur christlichen Architektur:
- Innenzentriertheit
- Fassade hat wenig mit der
Innenaufteilung zu tun
- Keine wesentliche Weiterentwicklung
der Bautypen, Festhalten an wenigen Ursprungsformen
- Keine Bilddarstellung des Propheten
- reiche abstrakte Dekoration
- Ornamentik entwickelt sich nicht aus
der Bauform, sondern wird wie eine zweite Haut
nachträglich aufgesetzt
- Ausrichtung der sakralen Gebäude nach
Mekka (ungefähr WSW)
Das
Typische der Architektur unter Timur
Typische Elemente der
timuridischen Architektur sind:
- Streben nach Monumentalität,
majestätische äußere Gestalt, Errichten von gewaltigen
Komplexen mit riesigen Ausmaßen
- gewaltige Fassadenelemente,
imponierende Portale
- Aufbau der überkuppelten
Hauptgebäude aus klar formulierten geometrischen
Raumeinheiten, die übergangslos wie Bauklötze
aufeinandergesetzt werden
- Gewichtsreduzierung durch Leerbögen,
Auflockerung der Flächen mit Blendbögen und Rahmen
- schlanke Proportionen, Minarette und
Tamboure strecken das Bauwerk in die Vertikale. Die
Vorliebe für die Vertikale könnte ein Einfluß der
Architektur der Ilkhane sein. Überhöhte Strukturen
werden das Markenzeichen der timuridischen Architektur.
- Die Höfe der Moscheen werden von
überkuppelten Galerien umgeben, die mit ihrer
Längenwirkung einen beeindruckenden Kontrast schaffen zu
den Vertikalelementen
- Die Hauptachsen der Moscheen werden im
Hof durch axiale Elemente hervorgehoben: Zierportale,
Tambour, Kuppeln o.ä.
- Moscheen und Medresen greifen das
Vier-Iwan-Schema, wie es auch in der iranischen
Architektur bekannt ist, auf. Weil der Vier-Iwan-Hof
dabei eigentlich optisch richtungslos wird, werden bei
Moscheen in der Hauptrichtung hochaufragende Bauten vor
den Eingangs-Iwan und den Qibla-Iwan gesetzt. Diese
axiale Ausrichtung hebt die Gleichförmigkeit der inneren
Fassade zum Hof hin wieder auf.
- wenig funktionelle Charakteristika der
einzelnen Bautypen, ähnliche Formensprache für
Paläste, Moscheen und Medresen
- Flankierungstürme auf polygonalem
oder rundem Grundriß akzentuieren die Fassaden. Typisch
für die timuridische Baukunst ist, daß die Minarette
nicht wie früher in der ilkhanidischen Baukunst auf den
Pishtaq, sondern als Weiterentwicklung dieses Stiles
neben ihn gesetzt wurden, was dem Ganzen einen
festungsähnlicheren Charakter gab.
- Auch in der Grabarchitektur ist die
Monumentalität zu sehen: Das traditionelle Mausoleum ist
eher ein kleiner quadratischer Bau mit einer Kuppel. In
timuridischer Zeit entstanden wesentlich großzügigere
und prunkvollere Mausoleen, deren Gurkhana (zentraler
Saal) von vielen Nebenräumen begleitet wurde.
- Abschluß der Baukörper mit
Schau-Kuppeln, glatten Kuppeln oder manchmal auch
Rippenkuppeln (z. B. Gur-i Amir in Samarqand, Grabmal des
Khodja Ahmad Yasawi in Jassy), auf hohen
Tambour-Elementen. Zweiteilige Konstruktion: Eine
dekorative Außenkuppel ist mit einer konstruktiven
Innenkuppel verstrebt. Die Außenkuppeln sind nur
dekorativ, sie sind nicht mit dem Innenraum verbunden.
Dieses Prinzip ist zwar im Wesen älter, wurde aber im
14./15. Jh. besonders beliebt in der timuridischen
Architektur. Dadurch konnten die äußeren Kuppeln erst
besonders voluminös und melonenförmig hervorquellen,
weil sie sich gegen die innere Kuppel stützen konnte.
- Eine weitere Idee des 15. Jh. war, die
Kuppel nicht mehr wie bisher auf ein Oktogon über
Trompen zu setzen, sondern auf zwei sich überschneidende
Bogenpaare aus Ziegelsteinen, die in der luftigen
Raumhöhe ein Quadrat als Kuppelbasis bilden. Der Vorteil
dieser Konstruktion ist, daß der Kuppeldurchmesser nicht
mehr identisch mit der Seitenlänge des Raumes sein muß,
sondern kleiner, so daß man den Raum größer und die
Kuppel mit Tambour schlanker machen kann. Die Zwickel
zwischen den Bögen wurden mit schildförmigen
Konkav-Elementen verschlossen.
- Dadurch wurde das Raumkonzept
erheblich verändert. War früher eine relativ statische
Abfolge verschiedener Elemente in der Höhe mit gleichen
Maßen (Seitenlänge, Durchmesser) bestimmend, so war
jetzt in der Höhe eine dynamische Verkleinerung der
Maße möglich, was den Raum leichter und höher scheinen
ließ.
- Je später die Bauwerke errichtet
wurden, desto höher und schlanker ist der Tambour mit
der dekorativen Kuppel.
- In timuridischer Zeit wurden erstmals
größere Baukomplexe im Ensemble geplant und
ausgeführt, bestehend aus mehreren architektonisch und
funktional aufeinander bezogenen Subeinheiten, ein Weg
der Stadtplanung, der für die timuridischen und
späteren Bauten richtungsweisend wurde.
Schmuck
für die Gebäude
Typische Dekorationen der
timuridischen Architektur sind:
- Vorliebe für mächtige, auffallend
bunte Wände
- übermäßige Pracht des Baudekors
- Die Verkleidung der Bauwerke aus
Ziegelsteinen mit Fayence-Mosaiken mit farbiger Glasur
ist eine Neuerung der timuridischen Architektur. In der
Architektur der vorangegangen Blüte im 11./12. Jh. war
eher die blanke Ästhetik des ornamental gesetzten
Backsteines charakteristisch.
- Diese Ummantelung hatte eine weitere
Konsequenz: Früher entsprachen die dekorativen
Außenlinien der Architektur den tektonischen Elementen.
Die klare Struktur der Raumkompartimente war auch nach
außen sichtbar. Die Ummantelung aber ermöglichte eine
Abkopplung der dekorierten Hülle von der eigentlichen
tektonischen Struktur, die nach außen nicht länger
sichtbar war.
- Auch im Innern wurden Verkleidungen
mit dekorativen Elementen die Regel: Ornamentale
Wandmalerei, Paneele aus glasierten Tafeln, Muqarnas -
Stalaktitendekorationen, zusammengesetzt aus modularen
gekehlten Elementen, Stuck-Gansch-Stalaktiten, vergoldete
Pappmaché-Ornamente überziehen Wände, Kuppeln und
Trompen von innen, dabei wird reliefartig gepreßtes
Papier mit blauer und goldener Farbe angemalt.
- Typische Dekor-Elemente sind
Gerich-Paneele (geometrische Sternornamente)
- Dekorative Elemente: Bemalte
Fayence-Tafeln, Majolika, Mosaiken aus farbigen
Glasurziegeln kalligraphische Bänder in Kufi, Naskhi und
Thuluth, florale und geometrische Muster, glasierte fein
modellierte Terrakotta-Elemente.
- großflächige Kalligraphien (squared
Kufi) durch Ziegelsetzungen in diagonalen, sternförmigen
oder maschenförmigen geometrischen Mustern erlebten
ihren Höhepunkt in ihrer Beliebtheit als Bauschmuck
Ein
hoher Preis für großartige Architektur
Bei allem, was wir heute an
der Größe der damaligen Architektur bewundern, sollten wir aber
auch an den Preis denken, der dafür bezahlt wurde:
- Ganze Landstriche wurden zur Gewinnung
der finanziellen Ressourcen geplündert und die dortigen
Strukturen in Schutt und Asche gelegt.
- Baumeister, Handwerker und
Arbeitskräfte wurden über Tausende von Kilometern
verschleppt, um in den gezwungenen Dienst der imperialen
Bauprojekte zu treten.
- Die gewaltigen Zahlen der Arbeiter
hatten kaum angemessene und erträgliche
Lebensbedingungen.
- Unter enormem Zeitdruck wurden
sämtliche Beteiligten bis zur völligen Verausgabung an
die Arbeit getrieben.
- Die ausgedehnten Großbaustellen
sorgten rund um die Uhr für Lärm und Staub
angenehm war das Leben in den Städten gewiß nicht.
- Für die Großbauwerke wurden ganze
Viertel niedergerissen; die Bewohner konnten ohne
Ankündigung oder gar Entschädigung aus ihren Häusern
vertrieben werden, wenn sie im Weg standen.
- Bei der Willkür des Herrschers Timur
konnte kein Künstler oder Baumeister der Einhaltung
getroffener Vereinbarungen oder der Wertschätzung seiner
Arbeit sicher sein. Was dem Herrscher nicht gefiel, wurde
wieder abgerissen, und in Ungnade war man schnell
gefallen.
Zerstörungsanfälligkeit
eingebaut
Typische Probleme der
timuridischen Architektur sind:
- Der Boden und damit auch das
Ausgangsmaterial für alles, was aus Erde gebrannt wird,
ist extrem salzhaltig und muß vor der Verarbeitung
sorgfältig entsalzen werden, sonst riskiert man die
Bildung weißer Krusten. Genau dies hat man bei der
Restaurierung oft vernachlässigt.
- Leider ist auch ein Element der
timuridischen Architektur, daß man bei der
Vergrößerung der Dimensionen bei konventionellen
Bautechniken blieb, was sich bei den immens gesteigerten
Baumassen in einem erdbebengefährdeten Gebiet als
ungünstig für den Bestand der Bauwerke erwies. Und
selbst die aufwendige Generalüberholung vieler Bauwerke
im 20. Jh. kann diese grundsätzlichen Probleme nicht
heilen.
- Am wenigsten haben sich Elemente aus
Stein erhalten. Die Bauform "Steinsäule" ist
denkbar ungeeignet für ein erdbebengefährdetes Gebiet,
wo sich Spannungen der Plattentektonik häufiger mal
entladen. In der Bibi Khanum beispielsweise ist keine
einzige Steinsäule mehr an ihrem ursprünglichen Platz.
- Immense Baukonzepte wurden innerhalb
kürzester Zeit unter großem Druck von höchster Stelle
realisiert, hastig wurden gewaltige Baukörper
hochgezogen, es wurde in Tag- und Nachtschichten
gearbeitet, um die Hauptstadt des Großreiches so schnell
wie möglich repräsentativ mit öffentlichen Gebäuden
auszustatten, ohne daß sich das tragende Mauerwerk
setzen konnte, Spannungen und Risse sind schon früh ein
Problem geworden, und gewaltige Bauwerke wie die Bibi
Khanum Moschee wurden schon nach wenigen Jahrzehnten
baufällig.
Beispiele
der Architektur unter Timur:
- Palast Aq Sarai (weißer Palast) in
Shahri-Sabz
- Grabkomplex Dar as-Siadat (Haus
der Macht) in Shahri-Sabz
- Grabkomplex des Lokalheiligen Khodja
Ahmad Yasawi in Jassy (heute Turkestan in Kasachstan)
- Masdschd-i Dschami, gen. Bibi
Khanum-Moschee in Samarqand, 1399-1404 errichtet
- Shah-i Sinda-Komplex: Shad-i Mulk Aqa
Mausoleum, Amir Hussein ibn Tughluq Tekin Mausoleum, Amir
Burunduq Mausoleum, Shirin Bika Aqa Mausoleum, sog.
Ustad Alim-Mausoleum, sog. Ulugh Sultan
Begum-Mausoleum, sog. Amirzadeh Mausoleum, Tuman
Aqa Mausoleum, Tuman Aqa Masdschid
- Samarqand, Schrein des Burkhan-ud-Din
Sagarji, gen Ruhabad
- Samarqand, Madrasa und Masdschid Saray
Mulk Khanum
- Mausoleum bei der Bibi-Khanum-Moschee
in Samarqand
- Gur-i-Amir-Mausoleum, Medrese und
Khanqah in Samarqand
Andere Essays über usbekische
Architektur lesen
Andere Essays über Usbekistan lesen - Literatur
Andere Länderessays lesen
Home
©
Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
Impressum