Bernhard Peter
Die Tillja-Kari-Medrese in Samarqand (Tilla Kori)

Zwischen den einander genau gegenüber liegenden Medresen, der Ulugh Beg Medrese und der Shir Dor Medrese, liegt das dritte bedeutende Bauwerk des Registan-Ensembles, das jüngste von den dreien, die Tillja Kari Madrasa (Tillakori madrasasi). In Architektur und Funktion weicht es deutlich von den beiden anderen ab. Zu Ulugh Begs Zeiten war an dieser Stelle eigentlich eine Karawanserei (die Mirzoi-Karawanserei), von der sich aber keine sichtbaren Spuren erhalten haben. Die Tillja Kari-Medrese wurde rund 220-240 Jahre nach der Ulugh Beg Medrese gebaut, nämlich 1646-1660. Noch mehr Jahre waren vergangen, seit Timur die Freitagsmoschee von Samarqand, die Bibi Khanum Moschee hat errichten lassen. Diese war schon lange ein Opfer ihrer überhasteten Errichtung, ihrer gewaltigen Dimensionen und ihrer instabilen Bautechnik geworden – sie war seit längerem schon eine Ruine, und Samarqand hatte keine intakte Freitagsmoschee, keine Hauptmoschee, denn auch die Alikeh Kukeltash Moschee war unbrauchbar geworden. Dies sollte sich unter dem Usbeken-Herrscher Alchin Yalangtush Bahadur aus dem Geschlecht der Shaibaniden ändern, das ist derselbe Herrscher, unter dem eine Dekade früher die Shir Dor Medrese erbaut wurde. Er verfolgte mit dem Bau der Tillja Kari ein duales Konzept: Das Bauwerk sollte sowohl als Medrese als auch als Freitagsmoschee dienen. Das spiegelt auch die Architektur wieder: Der gesamte Westflügel ist eine große Hallenmoschee mit zentralem Kuppelraum und nördlich und südlich daran angrenzenden großen überkuppelten Hallen, die sich auf den Hof hin öffnen. Und um dem Andrang der Gläubigen beim freitaglichen Gemeinschaftsgebet Herr zu werden, wurde der gesamte Hof mitbenutzt. Die Gebäudeflügel im Norden Osten und Süden dagegen sind Medresenflügel mit den typischen kleinen Studentenzellen. Zur Funktion als Freitagsmoschee paßt auch die Position am Kopfende des Registan-Platzes, die Lage des Eingangsportales im Fluchtpunkt der Gesamtgeometrie des Ensembles.

Der Pishtaq ist ähnlich wie bei der Shir Dor Medrese verziert, über dem Bogen befindet sich ein kleinteiliges Majolika-Mosaik.

Exzentrische Kuppel
Das optische Zentrum der Medrese ist die exzentrisch und in Bezug auf die Gesamtanlage asymmetrisch über einem hohen Tambour auf dem Westflügel ruhende Kuppel, die nach einer großangelegten Restaurierung in den 70er Jahren wiederhergestellt ist und in strahlendem Türkis leuchtet. Die hohe Kuppel ruht auf einem vierstufigen Unterbau: Der Basisbau ist kubisch, auf diesem würfelförmigen Kernbau erhebt sich eine quadratische Zone mit gekappten Ecken, erst in der dritten Zone darüber werden die Ecken zum echten Achteck eingezogen, insgesamt wie zwei niedrige Terrassen. Alle Zonen sind mit jeweils anderen Keramik-Ornamenten verziert. Der kubische Unterbau hat geometrische Ornamente und den kufischen Schriftzug „Allahu ahad – Gott ist einzig“, das den Kubus abschließende Schriftband liest sich „Al-mulk lillahi ... – Die Herrschaft gehört Gott....“. Die oberen Zonen sind mehr geometrisch und enthalten nur die kufischen Spielereien mit den Namen „Allah“ und „Muhammad“. Den Tambour zieren unter der Kuppel umlaufende kleinmaßstäbliche kalligraphische Friese. Die Kuppel selbst ist glatt und besticht durch die wunderbaren Nuancen der Farbe Türkis.

Unter der hohen Kuppel befindet sich der zentrale Raum der Moschee, der durch Bögen mit den seitlich angrenzenden überkuppelten Hallen in Verbindung steht. Der eigentliche Raum darunter ist bei weitem nicht so hoch, wie die Kuppel von außen suggeriert. Das timuridische Prinzip einer hohen zweiten Kuppel außen über einem niedrigeren tatsächlichen Raumabschluß wird hier noch radikaler als bei den Vorgängerbauten verwirklicht, denn der Kuppeleffekt im Innern ist eigentlich ein trompe l'oeil aus drei Ebenen aus Muqarnas über den Bogenstellungen und keine echte Kuppel. Die Verzierungstechniken sind im Innern „Kundal“, reich vergoldete Relief-Ornamentierung und „Kashi“, einer eingelegten Verzierung mit glasierter Mosaik-Fayence, benannt nach ihrem Herkunftsort Kashan (Iran). Der dominierende Farbeindruck ist gold und blau. Der Mihrab ist ein besonders exquisites Beispiel für die berühmten Verzierungstechniken.

Was ist ähnlich wie bei den beiden anderen Medresen?

Was ist neu in der architektonischen Gestaltung?

War die nur wenige Jahre früher errichtete Shir Dor Medrese noch eine Reverenz an die timuridische Architektur, stand sie noch tief unter dem gestalterischen Einfluß der gegenüberliegenden Ulugh Beg Medrese, haben wir es hier bei der Tillja Kari Medrese mit einem schlagartig anderen Konzept zu tun – viel mehr spiegelt sich hier der Einfluß der bukharischen Medrese des 16./17. Jh. wieder.

Abb.: West-Ost-Schnitt durch das Registan-Ensemble mit Blick auf die Südfassade der Tillja-Kori-Medrese.

Die "Goldgeschmückte"
Der Name „Tillja-Kari“ bedeutet soviel wie „die Goldgeschmückte“ und bezieht sich auf den verschwenderisch reichen Dekor der Innenausstattung, in den 70er Jahren des 20. Jh. hervorragend restauriert. Gold ist die vorherrschende Farbe. Der gesamte Innenraum ist mit Mustern wie mit Teppichen überzogen. In der Tat ist sie die am stärksten verzierte Medrese des Registan-Ensembles.

Die Tillja Kari-Medrese war Objekt umfangreicher Restaurierungs-Kampagnen, die uns eine der schönsten Medresen des zentralasiatischen Orients wiedergegeben haben. In den 1920ern, den 1930ern und den 1950ern fanden umfangreiche Arbeiten statt. Die ursprünglich unvollständige Kuppel wurde geschlossen, Eckminarette und Hauptportal wurden komplett abgebaut und wiedererrichtet. In den 1970er Jahren wurden die Innenräume restauriert. Aber auch heute noch ist dieses wundervolle Bauwerk bedroht, wie so viele andere: Sickerwasser bedroht die Fundamente, Wasserschäden sind schon wieder zu sehen, die extremen Temperaturschwankungen führen zum Abplatzen der keramischen Verkleidung, Versalzung führt zu Ausblühungen auf dem Mauerwerk, Finanzmangel ist trotz Status als Weltkulturerbe chronisch.

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© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
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