Bernhard Peter
Der Lyabi Hauz in Bukhara

Der Platz hat viele Ähnlichkeiten mit anderen Stadtplätzen in Bukhara, und doch ist er etwas Besonderes. Die drei rechtwinklig zueinander angeordneten alten Gebäude, die beiden korrespondierenden Iwane, offen nach Süden, dort nur jenseits der Straße eine niedrige Häuserzeile. So ähnlich sind viele Plätze aufgebaut, doch eines haben sie nicht, was den Lyabi-Hauz einzigartig macht: Die gemütlich heitere Atmosphäre, die heute auf dem einst wichtigen städtischen Handelszentrum herrscht. Der Lyabi-Hauz ist eine Oase geselligen Müßigganges. Er bietet das Kostbarste in einer Stadtoase, die ringsum von glühender Steppe umgeben ist: Schatten, Wasser, rauschende alte Bäume, hinter denen die alte Nadir Devon Begi Medrese und die Kukeldash Medrese fast verschwinden. Zwischen den Bäumen grüßt Mullah Nasruddin von seinem Esel, der weltweit bekannte orientalische Eulenspiegel, der Protagonist unzähliger Geschichten voller vordergründigem Witz und hintergründiger Weisheit. Hier sitzt er im Schatten auf seinem Esel, die Welt daran erinnernd, das Leben nicht immer so ernst zu nehmen, oder auch gerade erst durch den Unernst zur Weisheit zu gelangen, viel eher als durch verbissene Anstrengung. Ein gesundes und absichtliches Sich-neben-sich-Stellen ist weitaus förderlicher für die Erreichung eines geistigen Zieles als die akademische Anstrengung mit Tunnelblick. Für diese Botschaft steht die Person des Mullah Nasruddin – durch Narrheit zur Weisheit. Die Dinge der Welt leichter und einfacher zu nehmen, mal probeweise auf den Kopf zu stellen und sie dennoch auf den Punkt genau zu treffen, das ist typisch für alle Geschichten, die sich um ihn ranken.

Am Ufer des mit Stufen eingefaßten Wasserbeckens entlang zieht eine bronzefarben angestrichene Kamelkarawane aus fünf Kamelen mit Führer, alle aus Zement gegossen, beliebte Reittiere bei Kindern. Im Schatten unter den alten Bäumen haben es sich schon nachmittags fünf ältere Herrschaften auf einer hölzernen Sitzplattform bequem gemacht zum Dominospielen. Gegenüber, vor der alten Khanqah, hocken zwei Schachspieler auf den zum Verkauf angebotenen Turkmenenteppichen, Nutzung und Feilbieten gehen fließend ineinander über.

Die oberste Zone rings um das etwas exzentrisch gelegene Wasserbassin gehört den fliegenden Händlern und den Jugendlichen, die sich hier abends mit ihrer Clique treffen, am Ufer selbst sind rings um das Becken dicht an dicht die Tische und Sitzplattformen der Teehäuser und einfachen Restaurants, eine der faszinierendsten Formen orientalischer Gastlichkeit, wo Gemütlichkeit, Müßiggang, Backgammon, Schach, Domino, Essen, Lokalpolitik, Stammtisch und Teerunde eine Einheit bilden, von allen gleichermaßen frequentiert, von Touristen, Tadschiken, Usbeken, Russen, von jung und alt, die polyglotteste Ecke Bukharas. Usbekische Schönheiten irgendwo zwischen Märchenprinzessin aus 1001 Nacht und körperbetonten billigen Nylonfetzen, mit denen sich manche Europäerin noch nicht mal als Nachthemd ins Bett trauen würde, wie mir meine Nachbarin aus Spanien konsterniert versichert. Dazwischen verschleierte Frauen, die die islamischen Kleidervorschriften für sich neu entdeckt haben, klischeehaft aufgedonnerte Fünfzehnjährige und die typischen kraft- und hormonstrotzenden Cliquen Jugendlicher wie in jeder Großstadt, Jungen mit Baseball-Caps, viereckigen gestickten usbekischen Mützchen oder weißem islamischen Gebetskäppchen, Baggy-Pants und MP3-Player, andere wiederum das Klischee amerikanischer Jugendkultur noch überzeichnend, eine junge Gesellschaft im Selbstfindungsprozeß zwischen allen möglichen Spielarten der Eigendefinition, alle friedlich vereint, um hier Schatten, Gesellschaft und erfrischende Kühle zu finden.

Die unterste Etage darf nicht vergessen werden: Mindestens fünf verschiedene Katzen, drei weiße Hausenten und ein ziemlich zerzauster Welpe kümmern sich um Reste unter den Tischen und schauen einen erwartungsvoll an, ob vielleicht was Besseres noch vom Teller abfallen könnte... O.k., ein Herz für Hunde ist immer da, und der Welpe ist ganz begeistert von einem Stück Gulasch. Auch fällt es mir leicht, mich von weiteren Zutaten meines Plovs aus Reis, Fleischstücken, gelben Möhren und Rosinen zu trennen, denn mit einem Detail usbekischer Küche konnte ich mich auch während 4 Wochen meines Aufenthaltes nicht anfreunden: Hammelfett. Damit es einem Usbeken so richtig schmeckt, muß Hammelfett ans Essen. Eine grausame Behandlung für mich! In einem Teehaus fragte ich mal nach, was denn alles so im Angebot sei. Schließlich bot mir der Inhaber einen Hähnchenspieß an – Gerne! Und was kam – ein Spieß, ja, aber mit abwechselnd Hähnchen, Hammelfett, Hähnchen, Hammelfett.... Doch zurück zu dem kleinen struppigen Welpen, der immer noch neben mir sitzt und mich mit großen schwarzen Augen auffordernd anstarrt, während ich meinen Gedanken nachhänge und mich beim Gedanken an den Verzehr von triefendem Hammelfett schüttele. Was tun, das restliche Gulasch ist mittlerweile in meinem eigenen Magen. Aber ich habe noch was von diesem leckeren Fladenbrot, ich denke daran, wie begeistert mein eigener Hund zu Hause davon wäre und lege dem Kleinen ein Stück schönes Brot vor die Füße. Großes Entsetzen in den runden Hundeaugen, wie kann man nur! Und auch mich packt das Entsetzen, was ich gerade getan habe – Brot, die heilige Speise Zentralasiens, einfach auf den Boden geworfen! Brot, das Symbol der Gastfreundschaft, das man stets mit Achtung behandelt – jetzt wie ein Schandfleck zwischen den Tischen auf dem Boden liegend, anklagende Blicke nicht nur von dem Welpen, sondern auch vom Nachbartisch. Wie peinlich! Wie gut, daß sich die Enten um solche Fälle nur wenig später kümmern.

Mittlerweile ist es dunkel geworden am Lyabi-Hauz, von drei Seiten tönt Musik aus den Lautsprechern, Tajik-Mania mischt sich mit Russen-Pop und Michael Jackson, die Fledermäuse zeichnen sich im Nachthimmel vor der burgartigen Silhouette der Khanqah ab, und der Welpe kugelt sich im Spiel mit einem Ast oben auf den zur Khanqah führenden Stufen. Lyabi-Hauz, das ist in Bukhara Symbol für feierabendlichen Frieden und geselligen Müßiggang, ein Ort, wo man gerne abends nach dem Kunstgenuß entspannt.

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© Copyright Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2006
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