Bernhard
Peter
Typisch
japanische Dinge: Suiteki oder die richtige Dosierung von Wasser
![]() |
Sui-teki |
Der Name "Suiteki" wird mit zwei Kanji geschrieben. Das erste wird "sui" bzw. "mizu" gelesen und bedeutet "Wasser", "Quelle" etc., vom Mineralwasser in der Flasche bis zur Felsenquelle im Wald. Das zweite Kanji wird "teki" (on-Lesung) oder "shizuku" (kun-Lesung) gelesen und bedeutet "fallen" oder "tropfen". Man verwendet dieses Kanji, wenn man Tautropfen beschreibt, Wasser, das bei Regen von der Dachtraufe herabtropft, regennasse Fenster, aber auch für medizinische Augentropfen geht es. Und wenn den Sportlern der Schweiß von der Stirn rinnt, nimmt man dieses Kanji ebenfalls. Wenn man die Wasserfestigkeit und Regenundurchlässigkeit von Materialien bescheibt, trifft man dieses Kanji wieder. Zusammen ergeben die beiden Kanji in der Lesung "Sui-teki" die Bedeutung "fallendes Wasser" bzw. "Wassertropfen".
Hier steht das Produkt für das Instrument selbst: Es handelt sich um einen Wassertropfer, also ein Gefäß, das dazu gedacht ist, Wasser nur in wohldosierten Tropfen freizugeben. So etwas braucht man in der Kalligraphie zum Anreiben von Tusche. Wir erinnern uns, daß man vor dem kalligraphischen Schreiben einen Anreibestein (suzuri) nimmt, der wie ein flaches, zu einer Seite hin abfallendes Becken geformt ist, und einen festen Tuscheblock. Mit ein paar Wassertropfen wird nun eine Tuschesuspension erzeugt, indem man den Tuscheblock solange über den feuchten Stein reibt, bis die Tusche die richtige Konsistenz hat, dick genug, um zu decken, dünn genug, um am Pinsel zu fließen, aber nicht zu dünn, damit die Schrift keinen hellen "Schatten" bekommt. Und genau dafür braucht man einen Wasserbehälter, der kleine Mengen faßt und zugleich eine Dosierhilfe besitzt, damit das Wasser nur tropfenweise austritt.
Dafür genügte eigentlich jedes Gefäß, das ein Loch an der Seite als Ausguß und ein Loch oben als Luftloch zum Druckausgleich besitzt, wobei letzteres groß genug zum Auffüllen mit frischem Wasser sein sollte. Aber in Japan wird ein solches Utensil selber zum Kunstwerk. Denn nur wer der Herstellung der Tusche genügend Aufmerksamkeit entgegenbringt, kann auch die Kalligraphie selbst entsprechend bewußt kunstfertig ausführen. Oder andersherum ausgedrückt: Die Verwandlung eines Alltagsutensils in Kunst ist ein Zeichen dafür, daß der Weg zur Erschaffung eines Kunstwerks so wichtig ist wie das Ergebnis selbst. Wer bei der Herstellung wie ein Holzfäller arbeitet, kann nicht erwarten, daß am Ende Kunst herauskommt. Deshalb mahnt die Kunstfertigkeit jedes einzelnen Utensils die nötige Achtsamkeit auf dem Weg zur Erzeugung eines Kunstwerks an, um auf dem ganzen Weg im rechten Geiste zu arbeiten.
Abb.: Sui-teki aus Kupfer in Form eines flachen Kürbisses, Mitte 20. Jh.
Entsprechend ist die Entwicklung vom Alltagsgegenstand zum Kunstwerk zu beobachten. Anfangs nahm man zum Schreiben das, was man hatte, und dann spezialisierte man das Gerät immer weiter. Wie bei so vielen Dingen kam die Idee aus China in Form von bronzenen Tierfiguren oder Phantasiekreaturen oder Keramik-Miniatur-Teekannen und wurde in Japan perfektioniert. Im Houryuu-ji in Ikaruga (Präf. Nara) wird ein Nara-zeitliches Set aus einem bronzenen Wassertropfer, einem Löffel und einem Tablett zum Halten des Tuschestifts aufbewahrt. In der späten Heian-Zeit wurden spezielle Schreibkästen (Suzuri-bako) beliebt, die alle Utensilien für die Kalligraphie enthielten: Pinsel, Anreibestein, Tuscheblock-Stift und Wasserspender. Die kunstsinnigen Literaten der Edo-Zeit perfektionieren ihre Schreibutensilien, und genau wie beim Teeweg jedes einzelne Utensil zum eigenständigen Kunstwerk entwickelt wurde, so galt das auch für Schreibutensilien und insbesondere für Suiteki.
Der einzelne Wassertropfen, der nicht der Tropfen zuviel und nicht der Tropfen zu wenig sein darf, hat eine besondere Bedeutung. Wir kennen in unserer Sprache den Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Unser Sprichwort "steter Tropfen höhlt den Stein" gibt es auch als japanische Entsprechung, "Amadare ishi o ugatsu", Regentropfen durchbohren den Stein - sinngemäß: Beharrlichkeit führt zum Ziel. Im Japanischen gibt es viele Sprichwörter rund um das Wasser: z. B. "Fuku sui bon ni kaerazu" - verschüttetes Wasser wird nicht aufs Tablett zurückkommen, sinngemäß: geschehen ist geschehen, Zerbrochenes kann man nicht wieder ganz machen. Oder: "Mizu wa hou-en no utsuwa ni shitagai, hito wa zenaku no tomo ni yoru" - das Wasser nimmt die Form eckiger oder runder Gefäße an, der Mensch den Charakter guter oder schlechter Freunde. Und das beruhigende "Mizu ni nagasu" - ins Wasser fließen, sinngemäß: Das ist vergeben und vergessen, das ist erledigt und Geschichte. Und überhaupt ist Wasser als Spender von Feuchtigkeit und Leben ein Symbol für das Werden und Bestehen von allem.
![]() |
Amadare ishi o ugatsu |
Die für Suiteki verwendeten Materialien sind vielfältig, es gibt Wassertropfer aus Keramik (insbesondere alte Seto-yaki und Oribe-yaki), aus Jade, aus Kupfer, aus Eisen, aus Stein, sogar ab dem 16. Jh. auch aus farbigem Cloisonné (Shippou) etc. Die Vielfalt der Motive ist unendlich, so gibt es z. B. Miniatur-Teekessel. Tiere mit ihrem Maul sind typische Vorbildformen. Darunter sind Frösche oder Kröten (Sen-jo) besonders beliebt, weil sie der Legende nach viel Wasser in ihrem dicken Bauch enthalten. Manchmal werden sogar nicht mehr im Originalkontext benötigte Kunstwerke zu einem Wassertropfer weiterverarbeitet, wie z. B. eine mit einem Boden und zwei Löchern versehene Griff-Endkappe eines Schwertes (Kashira), oder eine alte Tsuba als dekorative Deckplatte eines Wassertropfers.
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
|||
Sui-chuu | Sui-chuu-jou | Sui-jou | Sui-u |
Es gibt viele unterschiedliche Formen von Wasserspendern. Im engeren Sinne besitzt ein Suiteki nur zwei kleine Löcher und gibt nur wenige Tropfen frei. Je nach Größe und Form werden davon andere Wasserspender unterschieden: Ein Sui-chuu ist wie ein Krug oder eine Kanne geformt und besitzt einen Henkel auf der einen und eine Tülle als Ausguß auf der anderen Seite. Weitere Varianten sind Sui-chuu-jou oder Sui-jou. Und ein Sui-u (wörtlich "Wasser-Becken") ist auch wie ein Krug geformt, aber mit einer größeren Öffnung versehen.
Literatur,
Links und Quellen:
Sen'en Watanabe: Suiteki - the
art of bronze water droppers, Verlag Ribun Shuppan Co. Ltd.,
Tokyo 2005, 168 S., ISBN-10: 4898062296, ISBN-13: 978-4898062296
Artikel "Suiteki" im Lexikon JAANUS: https://www.aisf.or.jp/~jaanus/deta/s/suiteki.htm
Andere Artikel über Japan lesen
Andere Länder-Essays lesen
Home
©
Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard
Peter 2024
Impressum