Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (51): Okimono


   
Oki-mono
   

Betrachten wir zunächst das aus zwei Kanji bestehende Wort Okimono: Das hintere Kanji "-mono" bezeichnet eine Gruppe von Dingen. Viele verallgemeinernde Wörter sind so gebaut: Tabe-mono = Essen (taberu = essen, -> Eß-Dinge), Nomi-mono = Getränke (nomu = trinken, -> Trink-Dinge), Kai-mono = Einkäufe (kau = einkaufen, -> Einkaufs-Dinge), Kuda-mono = Obst, Engimono = Glücksbringer (eigentlich: en = Schicksal, Vorzeichen, gi = passieren, eintreten, mono = Ding, also eigentlich "Dinge in Zusammenhang mit eingetretenem Schicksal" oder "vom Schicksal bestimmte und eingetretene Dinge", der Ausdruck wurde später allgemein für Glücksbringer verwendet) etc. Das vordere Kanji wird entweder "chi" oder "o" gelesen und bezeichnet einen Ort, an den man etwas hinstellt: o-ku = hinstellen. Davon leitet sich als Verbform o-ki ab, und ein O-ki-mono ist damit ein "Hinstell-Ding". Ein Okimono ist also all das, was man sich aufgrund seiner Besonderheit oder Schönheit oder Kunstfertigkeit gerne ins Blickfeld stellt, um es zu genießen oder von Gästen genießen zu lassen, und es erfüllt keinen anderen Zweck, als schön zu sein. Ein Okimono ist damit kein Gebrauchsgegenstand, den man irgendwo ablegt, der aber sonst eine Funktion im Haushalt o. ä. hat, sondern ein Okimono ist ein Ding, das nur dafür geschaffen wurde, hingestellt, gesehen und bewundert zu werden: Ziergegenstände oder dekorative Skulpturen. Typische Okimono sind zwischen 10 und 40 cm groß.

Die Positionierung schöner Dinge im Raum hat in Japan Tradition und wird auch in der Architektur der Räume durch die Tokonoma, die Schmucknische mit einem etwas erhöhtem Boden, unterstützt. Es ist üblich, in der Tokonoma nicht nur ein besonders schönes Hängebild oder eine Kalligraphie an der Wand zu positionieren, sondern auch auf dem gegenüber dem Zimmerboden erhöhten Holzboden der Nische schöne Dinge wie eine Blumenvase, ein Ikebana-Arrangement, oder ein Kunstwerk auf einem Ständer zu präsentieren. Und genau dort wurden schon immer schöne Dinge hingestellt, deren einziger Zweck es war, gesehen und ob seiner Kunstfertigkeit und Qualität wertgeschätzt zu werden und die stets harmoniebedürftigen Augen der Besitzer und der Gäste zu erfreuen. Und dann nahm das Ganze in der zweiten Hälfte des 19. Jh. einen beispiellosen Aufschwung: Die Zeit von 1868 bis 1900 ist die Blütezeit der Okimono. Die Meiji-Reformen brachten einschneidende Veränderungen im Leben der Japaner: Der Samurai-Stand wurde abgeschafft, das Tragen von Schwertern wurde verboten, die Japaner schwenkten um auf europäischen Kleidungsstil. Tsuba, Fuchi-Kashira, Kozuka, Kogai, Inro, Netsuke etc., all das, womit bisher ein Japaner äußerlich Kunstsinnigkeit und Stil ausdrückte, verschwand innerhalb kürzester Zeit aus dem Alltagsleben. Und noch schlimmer: Die ganzen Handwerker, die diese kunstsinnigen Dinge bisher hergestellt hatten, waren ohne Arbeit, die Buntmetall-Schmiede, die Schnitzer von Holz und Elfenbein etc.

Und sie entdeckten notgedrungen ein neues Betätigungsfeld: Die neuen Objekte aus ihren Werkstätten behielten ihre Qualität, aber sie wurden größer und eigneten sich nun als Schauobjekt. Was vorher eine Netsuke (verhinderte als Gegenstück das Herausrutschen von mit einer Schnur unter dem Gürtel hindurchgezogenen Aufhängungen taschenähnlicher Gefäße) mit Löchern (Himotoshi) war, wurde nun ohne Löcher für die Schnur produziert und "hingestellt", meist etwas größer, und dem neuen Zweck entsprechend vielleicht noch mit einem Sockel. Diese Kunstschnitzarbeiten machen den größten Teil der Okimono aus. Ebenso wurden aus dem Buntmetall nun keine Beschläge für das Schwert gemacht, sondern Tierfiguren zum Hinstellen, meist in Kupfer- oder Bronzeguß im Wachsausschmelzverfahren, und das Know-how über besondere Patinierungen oder andere Oberflächenbehandlungen und vergoldete Details wurde in den neuen Kunstzweig eingebracht. Und das war die Lösung, das Handwerk auf hohem Niveau lebendig zu halten und die Erzeugnisse als Kulturträger weiterhin im Leben der Japaner präsent zu halten. Nur am Körper der nun europäisch gekleideten Japaner war kein Platz mehr, deshalb wurden die Dinge hin-gestellt und waren zu O-ki-mono geworden.

Auch vor der Meiji-Zeit wurden größere Objekte von den Handwerkern produziert. Ihre Kunden waren aber Schreine und Tempel, und die Erzeugnisse waren damit per se mit religiösem Bezug. Die Aufträge wohlhabender Samurai-Familien oder gar des kaiserlichen Haushalts bildeten eher die Ausnahme. Mit der auf einmal viel breiteren Kundschaft brachen nun ab der Meiji-Zeit alle Dämme bisheriger Einschränkungen, und im Prinzip wurde als Motiv alles möglich, was verkäuflich war. Nur die kleinen Netsuke waren vorher typisch weltlich, aber sie waren funktional. Das Neue in der Meiji-Zeit war der Verlust der Funktionalität und das Upscalen auf neue Größen, womit sich die beiden Entwicklungsstränge wieder trafen.

Die Materialien blieben; wie bei den Netsuke war es Elfenbein oder Buchsbaumholz, auch mal Horn oder Bambus, wie bei den Schwertzierraten waren es Buntmetalle und deren Legierungen, die verarbeitet wurden. Ganz grob sind 75 % aller je produzierten Okimono aus Elfenbein, und 15 % aus Holz, die restlichen 10 % aus Lack, Metall und anderen Materialien. Die Motive waren Tiere, Pflanzen, Menschen, ganze Szenen und Figurengruppen, Legenden und mythologische Figuren, buddhistische Heilige, Personen der japanischen Geschichte, Alltags-Momentaufnahmen etc. Dieser in der Meiji-Zeit neu entstandene Trend wurde durch die Öffnung des Landes und weltweite Kunstausstellungen noch befeuert, denn die Kunstobjekte fanden auf dem amerikanischen und europäischen Markt reißenden Absatz. Das stand im Gegensatz zur oft äußerst aufwendigen Herstellung. Die aufwendigsten Werke wurden nicht in Tagen, sondern in Monaten und manchmal Jahren geschaffen. Die erhöhte Nachfrage führte schließlich zu Qualitätseinbußen, insbesondere bei Export-Ware. Andererseits stachen aus der Menge wenige wirklich gute Künstler hervor, die berühmt und wohlhabend wurden. Klingende Namen in der Welt der Okimono sind beispielsweise die Meisterkünstler Ishikawa Komei, Hokyudo Itsumin, Masanao aus Yamada oder Masakazu aus Nagoya. Aber erst mit der Zerstörung des alten Japans im Zweiten Weltkrieg ging die Okimono-Welle wirklich zu Ende und wurde aus dem Alltag in die Sammlerschaft verlagert, und die wiederum wurde weltweit durch die Einschränkungen des Handels mit Elfenbein-Produkten erschwert, auch wenn es wenig Sinn macht bei historischen Objekten, die nun mal existieren und nach wie vor hervorragendes Kunsthandwerk sind.

Abb.: Okimono, Hundewelpe (im Stil eines Hirado-Welpen), Bronzeguß im Wachsausschmelzverfahren, massiv, 2,79 kg, 15 cm hoch, 10 cm tief, 15,5 cm breit, 20. Jh., Taisho-Stil.


Literatur, Links und Quellen:
Laura Bordignon: The golden age of Japanese Okimono: Dr. A. M. Kanter's Collection, Woodbridge, hrsg. vom Antique Collectors' Club, ACC Art Books 2010, 302 S., ISBN-10: 1851496092, ISBN-13: 978-1851496099
Okimono auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Okimono
Bernhard Scheid, Projekt: Religion in Japan, Universität Wien:
https://religion-in-japan.univie.ac.at/Kamigraphie/Okimono
Okimono:
https://steveslyjapaneseart.com/product-category/okimono/


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