Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (50): Hanko und Inkan



Hanko
       
Inkan

Hier in Deutschland unterschreiben wir Dokumente mit unterem guten Namen, mit der Unterschrift und möglichst mit einem dokumentenechten Schreibgerät. In Japan läuft das ganz anders: Man benutzt einen Namensstempel (Hanko = Siegelstempel, also der Stempelblock selbst, bzw. Inkan = Unterschriftenstempelabdruck auf dem Papier) zur Signierung von Dokumenten. Und nicht ergänzend, sondern anstelle der Unterschrift. Das Siegelstempelwesen ist ein fester Teil der japanischen Kultur. Und das ist für uns erst einmal schwer zu verstehen, weil es an der Eigenhändigkeit mangelt. Denn der eigenhändig ausgeführte Namensschriftzug ist die Basis des Vertrauens in die Gültigkeit des Unterzeichneten. Zugegeben, auch das ist in Deutschland gerade in Gefahr, es sei nur an das unsägliche "das Schreiben wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig" erinnert. Oder an die Herausforderungen digitaler Signaturen etwa bei e-Rezepten, online-Einsatz eines digital genutzten Personalausweises etc. Anders in Nippon: Es ist überraschend für uns, welchen Stellenwert diese Siegelstempel auch heute noch haben. Natürlich kennen wir diese Stempel aus dem Bereich der Kunst als Künstlersignatur, als Stempelabdrücke auf Hängerollbildern, auf Kalligraphien etc. Aber es erstaunt uns, daß wir selber einen solchen Stempel für die Organisation des täglichen Lebens brauchen, wenn wir länger in Japan weilen und z. B. einen Führerschein brauchen oder ein Bankkonto eröffnen wollen. oder eine Kreditkarte beantragen etc. Und natürlich auch, falls man heiratet: Ohne Stempel gibt es keine Frau oder keinen Mann.

Wer in Japan unterschriftsfähig sein will, geht zuerst zu einem Stempelschneider und läßt sich einen Stempel in Handarbeit anfertigen. Das entsprechende Fachgeschäft heißt Hanko-ya. Traditionell werden diese aus Holz, z. B. aus Buchsbaumholz oder Ebenholz, geschnitzt. Der Stempelhersteller, wenn er denn gut ist, versucht, aus den einzelnen Schriftzeichen des Namens eine kalligraphisch ansprechende und künstlerisch wertvolle, auf jeden Fall aber einzigartige Komposition zu gestalten und schneidet sie dann seitenverkehrt in das Material. Die Schriftzeichen sind meist erhaben, das Feld vertieft, aber auch umgekehrt ist möglich. Wertvollere Stempel oder solche, denen eine hohe Gebrauchsfrequenz vorhergesagt wird, werden auch aus Stein geschnitten; im Prinzip ist jedes feine und langlebige Material möglich, auch Knochen, Elfenbein, Wasserbüffelhorn oder Speckstein. Für behördlich registrierte Stempel ist Gummi als Material, wie wir es für Stempel in Arztpraxen, Apotheken oder Geschäften kennen, nicht zugelassen. Individuell ist jeder Stempel, selbst wenn es namengleiche Personen gibt, durch die exakte Anordnung der Zeichen, durch die Handarbeit des Handwerkskünstlers und auch durch das Material selber mit seinen winzigen Unebenheiten, seiner Textur, winzigen Unregelmäßigkeiten.

Wenn der Stempel fertig ist, geht der Besitzer damit und mit einem Reisepaß oder Führerschein zur für ihn zuständigen Meldebehörde und läßt sich dort seinen Stempelabdruck registrieren. Man erhält dort einen Nachweis in Form eines "inkan touroku shou", einen zertifizierten Siegelabdruck. So eine Bescheinigung hat heute meist die Form einer Plastikkarte und enthält eine Registrierungsnummer. Dann ist es amtlich, weil sich jederzeit durch Vergleich mit dem amtlich hinterlegten Abdruck nachweisen läßt, ob ein fraglicher Siegelstempel damit gestempelt worden ist oder nicht. Deshalb gibt es auch exakte Vorschriften für das Material, für die Größe, selbst für die Herstellungsmethode und den Inhalt des Textes. Es sind z. B. nur natürliche, keine künstlich hergestellten Materialien erlaubt. Diese Vorschriften kennt der Stempelschneider, dem man sich anvertraut: Man muß ihm natürlich sagen, daß es ein behördlich registrierter Siegelstempel werden soll. Diese behördlich registrierten Siegelstempel nennt man Jitsu-in = echter Stempel. Und dann trägt man den Siegelstempel zusammen mit einem kleinen roten Stempelkissen mit sich, um für den Bedarfsfall gerüstet zu sein. Auch Ausländer können sich einen solchen Stempel registrieren lassen, das setzt aber voraus, daß sie selber behördlich registriert sind und eine Meldeadresse haben. Das geht also nicht bei einer Einreise mit Touristenstempel im Paß, sondern nur mit echter, z. B. familiärer, berufsbedingter oder studienbedingter Aufenthaltserlaubnis, die über 90 Tage hinausreicht. Und als Ausländer darf man auch je nach Name Kanji, Hiragana, Katakana und sogar Romaji-Zeichen verwenden. Wer als Ausländer einen Stempel bei seiner Meldebehörde registrieren lassen will, muß seine Aufenthaltswerlaubnis und seinen Reisepaß mitbringen und vorlegen.

Und man paßt sehr gut auf diesen Stempel auf, denn in fremden Händen können so rechtsgültige Verträge zum Nachteil des rechtmäßigen Besitzers entstehen: Wo ein Graphologe eine gefälschte Unterschrift noch diagnostizieren könnte, ist das bei einem Stempel unmöglich, denn er enthält keinerlei sozusagen biometrische Komponente: Wer das Original besitzt, kann damit ununterscheidbare Abdrücke erstellen. Gerade wegen der Rechtsverbindlichkeit dieser Stempelungen ist es wichtig, seinen Siegelstempel gut zu schützen, unter Verschluß aufzubewahren und gut zu pflegen, vor mechanischen Beschädigungen zu bewahren und nach jedem Gebrauch zu säubern. Denn eine Beschädigung der Stempelfläche würde diesen ungültig machen. Ein einziger Kratzer reicht, um nochmal die ganze Herstellungs- und Registrierungsprozedur durchlaufen zu müssen. Solche Stempel können Privatpersonen führen oder auch Institutionen, Tempel, Schreine, Gesellschaften, Behörden. Die rote Stempelfarbe wird übrigens traditionell durch Beimischung von Zinnoberpulver zu diversen fetten Ölen und Bindemitteln erzielt, alles andere als gesundheitsfördernd.

Solche "echten" Stempel sind so rechtsverbindlich eine beglaubigte Unterschrift, wie eine Unterschrift vor einem Notar. Für wichtige Verträge, großvolumige Geschäfte, Immobilienkäufe, Autokäufe, Kontoeröffnungen etc. sind solche echten Stempel zwingend. Pro Person oder Institution kann immer nur genau 1 Stempel registriert werden. Wenn solche Verträge geschlossen werden, heftet man dem Vertrag ein weiteres Blatt an, das man bei der Meldebehörde anfordert und auf dem die Zuordnung von Person und Stempel bestätigt wird. Man geht allein mit seiner Registrierungskarte ("inkan touroku shou") zur Behörde und verlangt ein mit Gebühren belegtes Registrierungszertifikat ("inkan touroku shoumeisho"). Die Vorlage des Stempels selbst ist nicht notwendig. Das heißt: Stempelabdruck UND Beleg der Meldebehörde ZUSAMMEN stehen juristisch für die Person selbst und ersetzen diese. Das hat dann so etwa den Status wie eine Unterschrift vor dem Notar bei uns in Deutschland. Wenn man also Registrierungskarte und Stempel zusammen ungeschützt aufbewahrt, ist man so leichtsinnig, wie jemand, der seine PIN mit Edding auf seine Giro-Karte schreibt. Wer beides hat, kann rechtsverbindlich Verträge schließen, z. B. einen Kreditvertrag. Man tut also gut daran, beides sehr sicher und getrennt voneinander aufzubewahren.

Auch Firmen führen solche Stempel. Ein solcher Firmenstempel heißt entsprechend "Kaisha-jitsu-in", "Kaisha-in", oder nur "Sha-in". Typisch für Firmen- oder Institutions-Stempel sind ihre Größe und ihre quadratische Form. Personenstempel sind meist viel kleiner (8-20 mm) und rund im Querschnitt. Ein repräsentativer quadratischer Stempel steht für die Firma selbst. Ist ein solcher Stempel für eine bestimmte Person in der Firma, hat er eine runde Form und ist in einen äußeren Ring und ein Zentralfeld geteilt, einmal für den Firmannamen, einmal für die Position innerhalb der Firma. Die Größe des Stempels beinhaltet auch eine Art von Bedeutungsmaßstab: Chefs in einer Firma haben größere Stempel als ihre Angestellten, Männer haben größere Stempel als Frauen. Auch Tempel und Schreine verwenden quadratische Stempel repräsentativer Größe, solche Stempel werden für die Erstellung von Goshuin verwendet.

 

Abb.: In diesem Laden in Banshu Ako (Präf. Hyogo) werden vorgefertigte Stempel von der Stange für die häufigsten Familiennamen angeboten. Einen Hauskauf kann man damit nicht tätigen, aber eine Quittung im Geschäft abstempeln oder eine Lieferung von Waren gegenzeichnen.

Neben den "echten" Stempeln gibt es noch andere Siegelstempel geringeren offiziellen Charakters. Sogenannte Ginkou-in = Bankstempel werden für weniger wichtige, folgenschwere oder offizielle Zwecke eingesetzt. Diese werden auch nicht behördlich registriert. Sie heißen Bankstempel, weil man sie z. B. beim Erstkontakt intern bei der Bank speichert und bei den Folgeeinsetzen immer nur intern abgleicht. Die Bank registriert diese Stempel also selber und gleicht sie selber ab ohne Mitwirkung einer Registraturbehörde. Dieses Verfahren wird aber heute zunehmend von Bankkarte, Bankautomat und PIN verdrängt. Und dann gibt es noch eine Ebene tiefer die Mitome-in = Privatstempel. Diese sind auch nicht registriert, und es gibt auch keinerlei Vorschriften hinsichtlich der Ausführung. Sie sind meist klein und anspruchslos gestaltet und weniger fälschungssicher als die "großen" Stempel. Meist tragen sie nur den Familiennamen, und man benutzt sie zum Abzeichnen von Quittungen etc. Solche Stempelchen kommen z. B. zum Einsatz, wenn man sich in Geschäften die Quittung für mehrwertsteuerfrei eingekaufte Waren zur Ausfuhr in den Paß kleben läßt. Da diese kleinen Stempel ohnehin nur den Familiennamen tragen, werden sie sogar vorgefertigt z. B. in Schreibwarenläden oder 100 Yen-Läden angeboten, oft aus minderwertigem Material wie Plastik, was eigentlich der ursprünglichen Forderung nach Individualität jedes Stempels völlig widerspricht. Für den Alltag reicht so was, wenn man z. B. beim Paketboten den Empfang einer Lieferung quittiert. Sie sind auch gänzlich ungeeignet für Vorgänge, in denen die tatsächliche Beteiligung der Person zwingend nachgewiesen werden muß. Wer auf sich hält und Stil hat, geht zum Stempelschneider und wählt langlebiges und hochwertiges Material. Und es gilt: Je wichtiger der Stempel ist, desto höher sind die Anforderungen an die Qualität von Material, Gestaltung und Ausführung.

Abb. oben und unten: Stempel aus dem Angebot des Ladens in Banshu Ako. Vom Typ her sind das Stempel für den Privatgebrauch, die nicht für eine offizielle Registrierung taugen. Das Angebot deckt die häufigsten, jeweils aus zwei Kanji bestehenden Familiennamen ab, die im Stempel spiegelverkehrt übereinander gesetzt werden.

Die Umstellung vieler Verfahren auf papierlose Vorgänge, elektronische Signaturen, Homeoffice in Pandemie-Zeiten etc. läßt im modernen Japan auch Zweifel aufkommen, ob das System zukunftstauglich ist, denn all die genannten Fälle lassen sich nicht mit einem physischen Stempelabdruck lösen. Noch ist es aus Japan nicht wegzudenken. Es bleibt abzuwarten, wohin man sich entwickelt, oder ob in einigen Jahrzehnten Stempel nur noch bei der Goshuin-Vergabe zum Einsatz kommen werden. Übrigens: Es gibt schon jetzt eine einzige Verwendung, bei denen Japaner von Hand ihren Namen in Form einer Unterschrift schreiben: Im Reisepaß, ein Zugeständnis an international übliche Gepflogenheiten und Anforderungen von Reisedokumenten. Selbstverständlich unterschreibt die ausstellende Behörde nicht, sondern stempelt.


Literatur, Links und Quellen:
Kei Ishii: Japanische Unterschriftenstempel - Gegenwart und Geschichte, Gutachten für die Projektgruppe Digitale Signaturen bei der Europäischen Akademie Bad Neuenahr unter der Leitung von O. Ulrich und C. J. Langenbach, Einst IG, Informatik & Gesellschaft, TU Berlin, 1984-2015, 09/2000:
https://einst-ig.de/files/Ishii2000-Hanko.pdf
Hanko auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hanko_(Stempel)
Blog in Japan-Welt:
https://www.japanwelt.de/blog/hanko-inkan-namensstempel-japan
Über Namensstempel:
https://www.sng.ac.jp/de/sng-news/hanko-inkan-ein-siegel-als-unterschrift-in-japan/
Über Namensstempel:
https://tokyocheapo.com/shopping-2/hanko-japanese-personal-seals/
Hanko auf Japan Digest:
https://www.japandigest.de/alltag/langfristig-in-japan/japanische-hanko/


Andere Artikel über Japan lesen
Andere Länder-Essays lesen
Home

© Copyright bzw. Urheberrecht an Text, Graphik und Photos: Bernhard Peter 2023
Impressum