Bernhard Peter
Typisch japanische Dinge (40): Shokuhin Sanpuru


In japanischen Restaurants essen zu gehen ist phantastisch einfach: Jedes Gericht gibt es zum Anschauen, nicht nur als Photo, sondern richtig dreidimensional als Nachbildung aus Kunststoff. Die Schaufenster von Restaurants sind voller appetitlich angerichteter Speisen mit Preisen, so daß man sich gar nicht mit Begriffen herumschlagen muß, raten muß oder auf gut Glück bestellen muß: Im Zweifelsfall deutet man auf das, was einem gefällt, mit einem "Kore, onegai shimasu." - das hier bitte! Und so bekommt man garantiert das, was man sich ausgesucht hat, ohne die sonst üblichen lustigen Überraschungen, wenn man der Sprache einer Speisekarte nicht mächtig ist. Für diese überall anzutreffenden Kunststoffmodelle von Essen gibt es den Begriff "Shokuhin Sanpuru" (gesprochen "sampuru") - Lebensmittel-Probe.

Wovon wir heute als Touristen profitieren, entstand eigentlich genau andersherum: Den entscheidenden Anstoß zu dieser Praxis gaben die fremdartigen Gerichte, die mit der außenpolitischen Öffnung des Landes insbesondere aus den USA und aus Europa Einzug hielten, und um den Japanern zu erklären, was das jeweils sein sollte, entstand 1917 die Idee, Modelle aus Wachs hinzustellen. Zu der Zeit waren Speisekarten auch noch völlig unüblich in japanischen Restaurants. Zuerst fand die Idee in einigen Restaurants in Tokyo Anklang. 1932 begann Iwasaki Ryuzo, in Osaka Essens-Repliken zu verkaufen, und er wurde einer der Pioniere in diesem Geschäft. Eine der größten Fabriken entstand in Gujo, Präfektur Gifu. Sie ist auch heute noch das Herz der Produktion, während die ganzen verstreut im Land liegenden Dependancen sich meistens auf ein ganz bestimmtes Produkt spezialisiert haben. Das heißt, daß die Einzelteile in Gujo hergestellt werden, dann aber erst in den lokalen Fabriken in für den Landstrich, das bestimmte Lokal etc. typischer Weise individuell kombiniert und arrangiert werden. Denn es ist wichtig, daß alles genau so arrangiert ist wie es später im Restaurant auch serviert wird, alle Abweichungen wären eine Täuschung von Gästen, und der Gastronom könnte seine Pforten zusperren, wenn die Gäste nicht genau das bekommen, was sie vorher gesehen haben. Deshalb bringen die Gastwirte das von ihnen selbst hergestellte Essen als Vorlage in die Fabrik mit, nur so ist die Authentizität und Individualität garantiert. Deshalb ist das auch eine Industrie, die zum Großteil auf Bestellung funktioniert.

In Japan ist das Herstellen von Plastikessen mittlerweile ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der japanischen Eßkultur und zudem eine riesige Industrie, denn jedes einzelne Modell kostet mehr als die tatsächliche Speise. In einem aufwendigen Verfahren wird von echtem Essen ein Silikon-Abguß gemacht, der dann gesäubert und mit Vinylchlorid o. ä. ausgegossen wird, dann wird der Polymerisierungsprozeß durch Erhitzen auf ca. 150 °C eingeleitet, anschließend wird das Essen noch bemalt, von Hand und / oder in Airbrush-Technik. Dann kommt noch eine abschließende Glasur über das Ganze, das schützt vor Staub und glänzt frisch. Ein Essen aus vielen Einzelkomponenten wird so Stück für Stück zusammengesetzt. Manches Essen wird wie echtes Essen zubereitet, statt echter Möhren liegt eben der Kunststoff unter dem Messer. Es ist extrem aufwendig, täuschend echte Kopien herzustellen. Dafür halten die Modelle ewig. Und die wahre Kunst ist es, das Ergebnis frisch und lecker aussehen zu lassen. Die Anforderungen an das Können sind so hoch, daß es sich mittlerweile um einen eigenständigen Ausbildungsberuf handelt. Erst nach drei Jahren ist die Ausbildung beendet. Die Firma in Gujo hat ca. 300 Mitarbeiter. Übrigens - in der Firma in Gujo kann man sogar Kurse belegen im Herstellen von Shokuhin Sanpuru, dabei greift man aber auf Wachs als Material zurück, weil es einfacher zu recyclen ist. In Tokyo gibt es einen eigenen Bezirk, Kappabashi, der sich auf Kochen und Essen spezialisiert hat, hier ist auch die Herstellung von Essens-Attrappen vertreten, und hier können ebenso Kurse besucht werden.

Plastik-Essen in Otsu an einem Restaurant

Plastik-Essen in Otsu an einem Restaurant

Dieses leckere Eis schmilzt auch im August bei 38° im Schatten nicht, gesehen in Himeji.

Ein Imbiß in Himeji: Links Tenpura-Udon, also Nudel-Suppe mit Frittiertem darauf. Rechts: Himeji-Ramen mit Tomatengeschmack, sagt jedenfalls das Schild.

Imbißbude in Himeji. Der Laden Honke-Kamadoya scheint gut zu gehen, denn das Schild im Fenster rechts unten verkündet: Jetzt werden Teilzeitkräfte eingestellt!

Schauen wir doch einmal, was die Sprechblase "Empfohlener Artikel" uns da anpreist: In beiden Fällen handelt es sich um Aal (Unagi) auf Nudeln, links sogar um Meeraal. Gesehen in Himeji.

Plastikessen an einem Verkaufsstand für Bento-Boxen in Kyoto. Linke: Hyogo Tamatebako-Bento, Mitte: eine lebendige Mahlzeit für die Reise, rechts: sommerliches buntes Bento. Alle Preise inclusive Steuern.

Plastikessen an einem Verkaufsstand für Bento-Boxen in Kyoto. Links: Krabbenreis, rechts: Seeigel-Box-Mahlzeit.

Plastikessen an einem Verkaufsstand für Bento-Boxen in Kyoto. Links: Kobe Teppanyaki Bento, Mitte: Kagoshima Kurobuta Tonkatsu-Rindfleisch-Bento.

Plastikessen an einem Verkaufsstand für Bento-Boxen in Kyoto. Links: Kyoto - japanisches Restaurant-Menü. Rechts: achteckiges Bento. Oben links das Schildchen heißt: Probe.

Plastikessen an einem Verkaufsstand für Bento-Boxen in Kyoto. Links: mit gegrilltem Lachs und mit luxuriösem Lachsrogen-Sushi. Mitte: Lunch-Box mit Seeigel und Lachsrogen.

Plastikessen an einem Restaurant in Arashiyama, Kyoto: Udon-Nudeln mit Rindfleisch und gekochtem Ei

Plastikessen an einem Restaurant in Arashiyama, Kyoto: Udon-Nudeln mit Namafu (Reismehl-Weizengluten-Kuchen) und Yuba (Soja-Milchhaut)

Plastikessen an einem Restaurant in Arashiyama, Kyoto: Udon-Nudeln mit frittierten Garnelen

Plastikessen an einem Restaurant in Arashiyama, Kyoto: Udon-Nudeln mit Ente und Frühlingszwiebeln

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: Menu aus Tenpura und llokalem Fisch-Sashimi

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: Menü aus gebratenem lokalem Fisch und Sashimi

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: Meeresfrüchte-Oyakodon-Menü

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: Menü aus verschiedenen Tenpura

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: große Garnelen-Tenpura-Schüssel

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: Schüssel mit lokalen Fischen und Meeresfrüchten

Plastikessen an einem Restaurant in Odawara: alle oben gezeigten Menüs zusammen in der Auslage


Literatur, Links und Quellen:
Kunstoffessen auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Shokuhin-Sanpuru - https://en.wikipedia.org/wiki/Food_model
Kunstoffessen in Japan:
http://www.japanzine.jp/article/jz/1891/fake-plastic-food-inside-japans-fake-food-factories
Kunstoffessen in Japan:
http://www.bigempire.com/sake/sample_food.html
Kunstoffessen in Japan:
www.jsnw.org.uk/Newsletters/JSNW_Newsletter_16.pdf
Seite eines Herstellers:
https://www.ganso-sample.com/en
Kunstoffessen in Japan:
https://www.de.emb-japan.go.jp/NaJ/NaJ1303/shokuhin.html


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