Bernhard Peter
Was läuft besser in Japan, was nicht?


Was fällt im Ländervergleich positiv auf in Japan, wovon können wir uns eine Scheibe abschneiden?

Pünktlichkeit: Man kann sich auf Zeitangaben verlassen! Züge und Busse fahren genau zur bestimmten Uhrzeit ab. Man kann in Züge genau nach der Zeit einsteigen und abfahren, es ist der richtige, auch wenn man sonst nichts lesen kann. Nicht wie bei uns, wenn man mit etwas Glück den verspäteten Zug von einer Stunde vorher bekommt. Auch bei kurzen Umsteigezeiten kann man sich sicher sein, daß es klappt. In Deutschland würde sich doch niemand auf eine Zugverbindung verlassen, die nur 5 Minuten Umsteigezeit für einen wichtigen Anschlußzug beinhaltet, sondern lieber 65 Minuten einplanen, um den Zug die Stunde danach sicher zu bekommen. Alles verschwendete Lebenszeit, und Japan macht vor, daß es besser geht. Auch privat und geschäftlich werden Termine und Verabredungen pünktlich wahrgenommen, und es wäre ein ganz, ganz schlechter Start einer Geschäftsbeziehung, zu spät zu kommen. In Deutschland ist derjenige, der pünktlich kommt, der Verlierer: Man darf ständig auf andere, Freunde, Verwandte, Kunden, Geschäftspartner etc. warten, die, wenn sie nett sind, vorher anrufen, daß es später wird - was soll das? Schön, daß man informiert wird, aber die Zeit des Wartens kann man nicht mehr für andere Dinge einplanen, sondern man steht da und verliert Lebenszeit. Es wird durch einen Anruf nicht besser, sondern durch Disziplin: Pünktlichkeit ist eine Form des Respektes gegenüber dem anderen, der genau für mich dort steht und wartet.

Verläßlichkeit: Zusagen werden eingehalten, Versprechen sind verbindlich. Z. B. packt den Reisenden schon eine gewisse Unsicherheit, ein Zimmer zu buchen, bei dem man nach der Bezahlung nur einen Code für ein Schließfach bekommt, in dem der Schlüssel liegen wird - man hat Panikattacken, am Ende ohne Bett für die Nacht in einer Millionenstadt zu stehen. Alles unbegründet, es wird klappen, der Schlüssel wird dasein, der Code wird geschickt werden! Oder z. B. Internetgeschäfte: Es ist nicht jedermanns Sache, größere Summen ins Ausland im voraus zu bezahlen, wo man den Handelspartner nicht mit dem Arm des deutschen Rechtssystems erreichen kann. Keine Sorge - manchmal habe ich den Eindruck, der Japaner sitzt wartend vor dem PC, und sobald er den Zahlungseingang sieht, greift er das vorbereitete Päckchen, läßt alles andere stehen und liegen und rast mit Hochgeschwindigkeit zum Postamt, um schnellstmöglich seiner Pflicht nachzukommen. Getrödelt wird dann erst beim deutschen Zoll.

Serviceverständnis: Der Kunde ist in Japan wirklich noch König. In den Geschäften fällt das stets fröhliche und lautstarke Willkommen auf, die Angestellten kümmern sich um einen, trotz Sprachbarriere. Es wird versucht, so lange zu wuseln, bis der Kunde das hat, womit er zufrieden ist. Das mag natürlich geschäftsmäßig sein und einfach der strengen internen Schulung und den Regeln des jeweiligen Hauses entsprechen, der Verkäufer mag sich durchaus seinen Teil denken, aber wichtig ist: Der Kunde wird echt und wirklich betreut, seine Wünsche werden ernst genommen, er erfährt Engagement. Das gibt es natürlich auch in Deutschland, wird aber hier dann langsam eng, wenn es eben nicht das Fachgeschäft ist, sondern ein Bus- oder Bahnunternehmen oder vielleicht eine Behörde. Bei und wird recht schnell gesagt: Gibt's nicht, geht nicht, kennen wir nicht, war noch nie. In Japan wird nicht eher geruht, bis es eine Lösung gibt, mit der der Kunde leben kann. Z. B. Als wegen eines Taifuns der Bahnhof in Kochi geschlossen war und für den Tag kein Zug mehr fuhr und ich quasi gestrandet war, rief schließlich die an der Ticketschranke postierte Angestellte einen Kollegen zur Ablösung und brachte mich persönlich zum ca. 100 m weiter außerhalb befindlichen Buskartenschalter, also zur Konkurrenz quasi, und führte selber alle Verhandlungen, um mir wenigstens noch einen Bus so weit wie möglich zu ermöglichen. Ich kam damit zwar immer noch nicht von Shikoku nach Honshu zurück, weil die Brücken gesperrt waren, aber es war in der Situation das maximal Mögliche, das noch ging, und es war eine Lösung. Zur hohen Servicebereitschaft des Einzelhandels gehören auch die Öffnungszeiten der Kombinis und Supermärkte: die allgegenwärtigen und überall vorhandenen Kombinis, also die kleinen Mini-Supermärkte, in denen man alles vom Duschgel bis zur Banane kaufen kann, haben meistens rund um die Uhr offen, und auch Supermärkte haben bis nachts oder sonntags und manchmal auch 24/7 geöffnet.

Sauberkeit und Hygiene: In Deutschland ist es für manche Teile der Gesellschaft anscheinend schon schwer genug, sein bißchen Müll zum nächsten öffentlichen Mülleimer zu tragen, und Straßen und Parks sehen manchmal zum Gotterbarmen aus: Zerschlagene Flaschen, weggeworfene Kippen und der übliche Müll am Boden. Wie viel schlimmer wäre das alles, wenn es noch nicht mal öffentliche Mülleimer gäbe? Im Vergleich zu Japan sind die Durchschnittsdeutschen Ferkel: Dort gibt es keine öffentlichen Mülleimer, allenfalls auf Bahnhöfen, und der öffentliche Raum ist trotzdem sauber. Japaner nehmen ihren Müll brav mit nach Hause und trennen ihn dort. Raucher haben einen tragbaren Aschenbecher, den sie während des Rauchens in der Öffentlichkeit in der Hand halten. Unterirdische Bahnsteige sind so sauber, daß man von ihnen essen könnte. Anscheinend hat es doch einen positiven Effekt, wenn die Jugend von Anfang an lernt, daß weggeworfener Müll auch wieder weggemacht werden muß: In Schulen ist es üblich, daß die Schüler die Klassenräume selber putzen. Jedes Kind weiß: Wenn ich Sauerei mache, dauert es länger, bis ich nach Hause komme. Natürlich folgt hierzulande bei dieser Idee gleich der Aufschrei der antiautoritären Erziehung - aber man schaue sich das Ergebnis an: Es hilft anscheinend doch, ein verantwortungsbewußtes Mitglied der Gesellschaft zu werden, wenn man seinen eigenen Dreck selber wegzumachen lernt. Genauso würde man in Deutschland öffentliche Toiletten in Parks etc. nur ab gefühlten 5 bar Überdruck in der Blase aufsuchen, und manche Leute werden aus Ekel vor öffentlichen Toiletten dann doch zum Wildpinkler. In Japan sind öffentliche Toiletten wirklich sauber! Die hinter einer Bezahlschranke (Ticket-Gates) befindlichen Toiletten in Bahnhöfen und U-Bahn-Höfen sind noch sauberer, und auch Toiletten in Tempeln oder an anderen Sehenswürdigkeiten kann man bedenkenlos benutzen, sich sogar setzen, ohne danach zwanzig Krankheiten zu haben. Wer im Flugzeug in der Endphase eines 11-Stunden-Fluges die Toilette aufsucht (die berüchtigten Stehpinkler bei kleinen Turbulenzen...), darf sich freuen: So eine versiffte Toilette wird er in ganz Japan vergeblich suchen, weil gefühlt spätestens nach jedem zehnten Benutzer die Putzkolonne kommt. Was auch undenkbar wäre in Japan, ist die Versauung der öffentlichen Umgebung durch mutwillige Beschädigung, Graffiti etc. Beschmierte U-Bahn-Waggons, zerschlitzte Sitze in Bussen, besprühte Unterführungen und Graffiti auf öffentlichem oder privatem Eigentum - ich glaube, es bringt schon was, wenn sich jeder Einzelne als Teil der Gesellschaft verantwortlich für die Außenwirkung der Gruppe fühlt und das von klein auf lernt.

Höflichkeit und Respekt: Die japanische Höflichkeit ist legendär: Das beginnt mit dem Verbeugen und den unterschiedlichen Höflichkeitsstufen der Sprache und endet beim gesichtswahrenden Umgang mit Konflikten. Das beinhaltet so viele angenehme Züge des menschlichen Miteinanders wie Schlange bilden beim Anstehen, fluchtartig den Raum oder das Zugabteil verlassen zum Handy-Telefonieren, die angenehme Ruhe in Zugabteilen, Gesichtsmaske zum Schutz der anderen bei Erkältung. Japaner sind stets darauf bedacht, das durchaus sehr enge Zusammenleben angenehm zu gestalten und Rücksicht zu nehmen. Das muß man auch, bei traditioneller Bauweise waren es die Papierwände, in heutiger Bauweise sind es die geringen Grenzabstände der Häuser: Ohne ein erhöhtes Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme und einer Sensibilität für die Bedürfnisse der Anderen nach Ungestörtheit geht so etwas nicht. Schreien oder lauter öffentlicher Streit vor Dritten ist das schlimmste Benehmen in den Augen von Japanern, denen es wichtig ist, nicht nur Gesicht zu wahren, sondern auch Gesicht zu geben. Kaum zurück in Deutschland, sah ich, wie zwei Autofahrer auf öffentlicher Straße (Bundesstraße!) anhielten und sich lautstark anpöbelten, während sich dahinter die Schlange bildete - okay, wieder zu Hause: Ist das einfach nur authentische Meinungsäußerung oder gibt es hier offensichtlich Nachholbedarf? Solche Rücksichtlosigkeit, solches öffentliches Gesichtverlieren wäre in Japan undenkbar, und die Fremdschämgrenze ist reizempfindlicher. Ein Aspekt der Höflichkeit und des Respektes ist auch allgemein das ordentliche Auftreten, der konservative Kleidungsstil. Schlampiges Auftreten ist mangelnder Respekt vor Dritten. Selbst Obdachlose bemühen sich, daß man ihnen die Not nicht ansieht. Deshalb auch im Urlaub lieber etwas overdressed herumlaufen: Die am schlampigsten gekleideten Personen in Japan sind in der Tat leider westliche Backpacker-Touristen. Zum Thema paßt auch eine große Toleranz, nicht zuletzt auch bei Fehlern des sprach- und sittenunkundigen Touristen. Natürlich kann man nicht alles richtig machen als Tourist, aber man wird nicht sofort darauf angesprochen, wenn man z. B. im falschen Waggon der Eisenbahn sitzt. Auch in religiösen, politischen und weltanschaulichen Dingen ist die japanische Gesellschaft eine sehr tolerante. Die japanische Mentalität ist das Gegenteil zu der deutsch-spießigen Unsitte, sich persönlich für das Seelenheil und den richtigen Lebenswandel des Nachbarn verantwortlich zu fühlen.

Organisation des öffentlichen Personenverkehrs: Die Frequenz des ÖPV ist in und zwischen den Städten wirklich so hoch, daß man in traumhaft kurzen Intervallen Transportmöglichkeiten erhält. Das Netz ist so dicht, daß es auch wirklich genutzt wird und in den großen Städten das Auto überflüssig macht. Die Organisation mit Ticket-Gates vor dem Zugang zu Bahnsteigen macht Schaffner überflüssig (dafür braucht man aber Leute an den Gates), es gibt weniger Schwarzfahren, und die Bahnsteige nicht voll mit unnützen Begleitpersonen. Das Aus- und Einsteigen läuft geregelt und diszipliniert ab, in weniger als einer Minute kann man einen ganzen Shinkansen ent- und wieder beladen. Es geht wirklich! Auch die Flughäfen sind mustergültig effizient; man braucht erheblich weniger Zeit vom Eingang zum Gate bzw. in Gegenrichtung als z. B. in Frankfurt.

Öffentliche Sicherheit: Der Durchschnittstourist braucht sich keine Gedanken um Kriminalität zu machen. Die Vorliebe für Bargeld statt Kartenzahlung bringt es mit sich, daß man als Urlauber auch größere Mengen Bargeld mit sich herumschleppt. Dies habe ich nie als Risiko empfunden, ich habe mich nie auch nur eine Sekunde irgendwo mulmig gefühlt, auch nachts nicht, und auch nicht auf einsamen Waldwegen in den Hügeln rings um die Großstadt: Japan ist eines der sichersten Reiseländer der Welt. Mit der Yakusa hat der Tourist keine Berührungspunkte, er paßt nicht in deren Geschäftsmodelle und ist keine Zielgruppe. Natürlich sollte man nie leichtsinnig oder fahrlässig sein, aber in Japan passiert es eher, daß Leute einem Liegengebliebenes rennend nachtragen als daß es jemand einsteckt. Zudem gibt es sehr viele kleine Polizeiposten in der Öffentlichkeit, diese dezentrale Präsenz bietet Unregelmäßigkeiten wenig Raum zur Entfaltung. Rechtsfreier Raum in manchen Vierteln, No-go-Areas, das gibt es in japanischen Städten nicht. Auch nicht, daß man die eine Straße gehen kann, die andere nicht. Auch nicht, daß man abends von Gruppen angepöbelt wird.

Preis ist Preis: Es gibt kein Trinkgeld; das wird nicht erwartet und nicht gegeben. Trinkgeld wäre eine Beleidigung für denjenigen, für den Service zum Selbstverständnis gehört. Seinen Job gut zu machen, ist eine Frage der Ehre. Ein Ehrenmensch braucht keine Almosen. Genauso gehört Handeln und Feilschen nicht zum Verhalten beim Einkaufen. Guter Service und Leistung bzw. gute Ware hat ihren Preis, man zahlt ihn oder nicht, nicht mehr und nicht weniger. Das ist sehr angenehm, weil es eine hohe Verläßlichkeit mit sich bringt und dem ewigen Heischen und Fordern anderer Länder keine Plattform bietet.

Restriktive Einwanderungspolitik: Japan sieht im Gegensatz zu Deutschland Einwanderung mit dem Auge gesellschaftlicher Vernunft und handhabt die Aufnahme fremder Problem-Nationalitäten restriktiv. Gäste sind herzlich willkommen, Ausnutzer nicht. Man kann in den Innenstädten erheblich entspannter unterwegs sein als in Berlin, Köln oder Essen, vor allem abends. Und das ist sehr angenehm! Es gibt auch im ganzen Land keine No-go-Areas in den Städten. Deutschland wäre, wenn es Zuwanderung möchte, besser beraten gewesen, damals für Fukushima-Flüchtlinge offen zu sein, an solchen Zuwanderern hätten wir uns noch in vielerlei Hinsicht ein Vorbild nehmen können.


Was fällt im Ländervergleich negativ auf in Japan, was bekommen wir in Deutschland irgendwie besser hin?

Verpackung und Müllproblematik: Die Japaner sind Verpackungsmeister. Nicht nur bei Geschenken ist die Verpackung so wichtig wie der Inhalt. Auch in Geschäften ist die Ware verpackt, verpackt, verpackt. Loses Obst ist in Kombinis und Supermärkten die Ausnahme: Jeder Apfel, jede Banane ist einzeln im Plastiktütchen. Das wird an der Kasse nochmal in ein Plastiktütchen gepackt. Und alles zusammen nochmal in eine große Plastik-Tragetasche. Während wir uns in Deutschland jüngst von der Umsonst-Plastiktüte immer weiter verabschieden, bekommt man sie in Japan in Massen hinterhergeschmissen, auch wenn man einen fast leeren Tagesrucksack dabei hat und überhaupt keine benötigt. Wenn es regnet, bietet Geschäfte vor der Tür Plastikhüllen für den regennassen Schirm, damit der nicht das Geschäft volltropft. Diese Tüten werden nachher draußen wieder in einem Behälter gesammelt, aber ganz bestimmt nicht wiederverwendet. Lediglich an Sehenswürdigkeiten werden die Schuhtüten wieder eingesammelt und erneut verwendet. Aber ansonsten erzeugt der gedankenlose Verbrauch von Plastiktüten eine Unmenge vermeidbaren Plastikmülls.

Vending machines: Ja, es ist praktisch, genau zu wissen, daß man eigentlich kein zusätzliches Kilogramm Flüssigkeit in den Tagesrucksack packen muß, weil überall Vending machines für Getränke stehen. Es ist bequem, immer und überall Getränke in Plastikflaschen kaufen zu können, die auch noch gekühlt sind. Doch bequem ist nicht gut: Ob eine Vending machine am Bahnsteig steht, macht keinen Unterschied. Doch auf dem Gelände eines zum Weltkulturerbe zählenden, uralten, stimmungsvollen Schreines oder Tempels eine schrillfarbene Vending machine zwischen all den schönen alten Holzbalken ist nicht wirklich schön, noch weniger sind es die Flaschenrücknahmebehälter daneben. Und wenn man einen Ausflug in die einsame Natur macht, garantiert ist am Ziel die Vending machine schon da. Das erinnert ein bißchen an den Kiosk auf dem Matterhorn für Reinhold Messner. Es ist zum einen die gedankenlose Konsumorientiertheit, die stört, zum andern die ökologische Unsinnigkeit, Tausende von Kühlschränken in die pralle Sonne zu stellen. Wie viel sinnvoller wäre es doch, zu Hause den 5 l Wasserkanister zu haben, und sich dann den Tagesbedarf in eine Mehrwegflasche abzufüllen?

Leben in einer Blase: Die höflichen Umgangsformen, der stete Respekt vor dem Gegenüber führen dazu, daß man sich quasi wie in einer Blase bewegt, daß man oft das Gefühl hat, keine Chance zu haben, wirklich zu dem Menschen vorzudringen, sein Herz zu berühren, seine wirkliche, echte, eigene Meinung zu erfahren, Konflikte ehrlich lösen können. Auch die Verkäufer in den Geschäften bilden durch Einhalten der unzähligen vielen internen Regeln eine Art angenehme Blase, überströmend höflich und engagiert, aber wenig authentisch. Der Individualismus ist in der Gesellschaft gering ausgeprägt, die eigene Meinung ist vor den Interessen der Gruppe nicht so wichtig, insofern müssen wir immer zwischen den Zeilen lesen, um mehr über den einen Menschen, der unser jeweiliges Gegenüber ist, zu erfahren. Die Sprachbarriere kommt hinzu, um dieses Gefühl des sich in einer Blase Bewegen zu verstärken.

Reservierungen: Spontane Reiseentscheidungen, einfach mal irgendwo hin fahren und gucken, was draus wird, das könnte scheitern oder sehr teuer werden. In Japan wird viel und frühzeitig reserviert, und kurzfristig kann es daher zu Kapazitätsengpässen kommen, sei es bei Zügen, sei es bei Unterkünften. Insbesondere bei saisonalen Reisehöhepunkten, Goldene Woche, Kirschblüte, Herbstlaubzeit o. ä. läuft ohne frühzeitige Reservierung gar nichts mehr. Selbst bei Taxis kann man nicht davon ausgehen, kurzfristig mit einem kleinen Anruf einen Wagen zu bekommen; besser ist es, zumindest für einen wichtigen Transfer, vorher zu reservieren. Das nimmt der Reisegestaltung viel Spontaneität.

Preisniveau: Die Preise für Lebensmittel, insbesondere Obst, sind drastisch hoch im Ländervergleich. Das liegt zum einen an den geringen eigenen Anbauflächen und der hohen Importquote, zum anderen an der Selektion, weil der japanische Kunde einfach perfektes Obst haben möchte ohne den kleinsten Makel oder Fleck, und sei er auch noch so natürlich. Das treibt die Preise. Umgekehrt kann man im Supermarkt nach Obst mit kleinen Fehlern Ausschau halten, das günstiger angeboten wird. Oder kurz vor Ladenschluß reduzierte Fertiggerichte kaufen. Ausessengehen ist im Urlaub eine der wichtigsten Stellschrauben für die Gesamtkosten. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel schlägt auch ordentlich zu Buche. Zum einen sind das die Preise für wirklich schnelle Verbindungen: Bei wenigen beabsichtigten Shinkansen-Strecken kann sich schon ein JR Rail-Paß lohnen. Zum anderen macht in den großen Städten Kleinvieh auch Mist, weil man für jedes Unternehmen einzeln zahlen muß. Das Preisniveau wird bei den "hübschen und netten Dingen" auch von der üblichen Mitbringsel-, Geschenke- und Gegengeschenke-Kultur getrieben: Nirgends sonst werden so viele völlig überteuerte hübsche Dinge angeboten, deren Ziel allein die Befriedigung der Geschenk-Zwänge ist. Außerdem ist Japan ein sehr merkantil ausgerichtetes Land; es gibt nichts, was nichts kostet, und die Preisforderungen können durchaus schamlos ausfallen.

Arbeitsleben: Von einer Work-Life-Balance, wie wir sie pflegen, können Japaner allenfalls träumen. Der im Berufsleben herrschende Druck, der Zeitaufwand, die Überstunden erzeugen Anwesenheitszeiten, die bei jeder deutschen Gewerkschaft Schnappatmung hervorrufen würden. Die Firma ist der absolute Mittelpunkt des Angestellten, und nach einem sehr langen Bürotag geht es noch zum Nominication, also zum gemeinsamen Umtrunk unter Kollegen, wobei man sich nicht ausschließen kann und sollte. Dort fließt Alkohol in reichlichen Mengen, es wird spät, die Nacht wird kurz. Das wiederum erzeugt Schlafentzug und physische und psychische Erschöpfung. Effektiv ist das nicht, wenn man am nächsten Tag übermüdet im Büro hängt. In Japan gibt es den eigenen Begriff für "Tod durch Überarbeitung". Aufgrund dieser permanenten Erschöpfung wird das Ergebnis aber nicht besser, denn Leistung ist immer noch Arbeit pro Zeit. Was nützt es, wenn die Arbeitnehmer körperlich und psychisch am Ende sind? Entsprechend bleiben dann Familie, Hobbies und sonstige Interessen auf der Strecke, weil die Firma der Lebensmittelpunkt ist. Das Arbeitsleben erfordert weiterhin eine hohe Konformität im Lebenslauf; Brüche oder kreative Auszeiten oder berufliche Umorientierungen, also alles das, was ein Berufsleben interessant und den Menschen dahinter einzigartig macht, werden kaum toleriert: Alles muß in der perfekten Reihenfolge ablaufen; die Stationen müssen sich nahtlos aneinanderreihen. Das alles gibt gerade jungen Menschen wenig Spielraum, in ihrem Lebenslauf auch mal etwas auszuprobieren. Beim Thema Arbeitsleben muß auch erwähnt werden, daß es im Job keine Gleichberechtigung gibt, de facto bekommt eine Frau für den gleichen Job weniger Gehalt.

Zersiedelung: Urbanes Gebiet und Land durchdringen sich kaum. Japan ist ein sehr waldreiches Land, aber auf dem Land leben kaum Leute. Alles kumuliert sich in den Küstenebenen, die wie ein geschlossenes Siedlungsgebiet erscheinen. Für diese urbanisierte Großfläche existiert aber anscheinend kein übergeordnetes Konzept, um es schön zu gestalten. Wir kennen in Deutschland Flächennutzungspläne, wir haben für jedes Wohngebiet Richtlinien, damit ein gestalterischer Zielkorridor eine lebenswerte Umgebung schafft. Die übergreifenden Konzept dichten Zusammenlebens scheinen in Japan vor allem den Verkehr zu betreffen. Deshalb sind die Verkehrsachsen das bestimmende Element und oft als Hochstraßen oder Hochtrassen angelegt, egal, wie es auf das Stadtbild wirkt. Die Häuser haben selbst in den besseren Vierteln extrem geringe Grenzabstände, und das Nebeneinander von Kleinstwohnungen, großzügigen Anwesen, Hochhäusern und Industrien erzeugt eine willkürliche Beliebigkeit ohne Eigencharakter eines Stadtteils oder einer Stadt, die abseits der historischen Sehenswürdigkeiten übergreifende gestalterische Schönheit schmerzlich vermissen läßt. Dazu kommt, daß Mietobjekte in Japan oft eine erschreckend schlechte Bausubstanz besitzen. Wozu auch in Qualität investieren, wenn irgendwann das näüchste Erdbeben kommt? Aber im Vergleich zu deutschen Mietskasernen sind sie wenigstens sauber und ohne Müll und Graffiti. Besser ist es bei Eigentum, aber auch dort wird gerne leicht und günstig gebaut: Papierdünne Wände, dünne Decken lassen einen die Nachbarn näher erleben als einem lieb ist.

Regeln, Regeln, Regeln: Klar, je dichter man zusammenlebt, desto wichtiger ist es, sich an Regeln zu halten. Keine Frage, ein paar mehr von allen respektierte Regeln wären in Deutschland auch angebracht, vor allem, daß man sich daran hält. Aber ist es nötig, die Regel-Verliebtheit so weit zu treiben, daß man sich fragt, welche Vorstellungen Japaner von der Vorbildung der Touristen haben? Kann man sich nicht auf das Wesentliche, Besondere für diesen Ort beschränken? Wie nett, wenn man in einem Tempel einen englischsprachigen Audio-Guide mitbekommt. Doch die Lust zuzuhören sinkt auf Null, wenn die ersten 10 Minuten nur Inhalte kommen, wie man sich benimmt, daß man keinen Müll in den Tempel wirft, daß man die Toiletten zum Pinken benutzt und nicht den heiligen Baum etc. Da fragt man sich zweierlei: Halten die uns Touristen wirklich für so unendlich blöd? Sind wir so unterentwickelt? Oder, die weitaus schlimmere Vorstellung, gab es wirklich mal Touristen, die diesen Hinweis nötig machten? Von den ganzen Regeln auf Schildern sind 90 % für einen durchschnittlich gut erzogenen Deutschen Selbstverständlichkeiten. Es langweilt unendlich, bis man zum wirklich Wichtigen beim Lesen vordringt. Diese ganzen überflüssigen Regeln nerven irgendwann einfach nur noch. Mit ein bißchen Grundanstand und Grundrespekt erschließt sich jedem vernünftigen Besucher von selbst, was richtig ist! Und die unvernünftigen bleiben am besten draußen. Und man kann es auch mit dem Verbieten übertreiben:

 

Kleines Beispiel: Dieses Verbotsschild gilt nicht für einen Banktresor oder das Stammheimer Gefängnis, sondern für die Außen(!)anlagen des Tempels Nanzen-ji in Kyoto, also außerhalb des eintrittsgeldpflichtigen Bereiches. Selbst das Zeichnen oder Malen, eine der beschaulichsten, harmlosesten und am wenigsten Schaden anrichtenden Tätigkeiten überhaupt, ist hier verboten, dazu so ganz schlimme Dinge wie Brautphotos durch Photographen machen lassen oder Selfiesticks benutzen. Und in der Sommerhitze an die Wasserflasche gehen geht auch überhaupt nicht! Wohlgemerkt, wir reden von den Parkanlagen, nicht von Innenräumen.

Nichtraucherzone auf der Straße: Wer hier im Außenbereich vor dem Bahnhof Tennoji beim Rauchen erwischt wird, zahlt eine Strafe von 1000 Yen (ca. 8 €). Das Umweltbüro der Stadt Osaka hat diese Bodenmarkierungen im öffentlichen Raum auf dem Gehweg anbringen lassen.

Photoneurosen: Photographieren ist immer auch eine Frage des Respektes, insbesondere bei religiösen Objekten. Das Photographieren in Innenräumen ist ganz klar eine Frage des Hausrechts, und auch in deutschen Museen muß man sich nach den Vorgaben des Hausherrn, also der Museumsleitung, richten. Meist geht das aber für den Privatgebrauch und ohne Blitzlicht klar, ggf. gegen eine Gebühr, zum beiderseitigen Nutzen. So enttäuschend ein Photoverbot für den Urlauber ist, wenn er weiß, daß er nie wieder hinkommt, das muß man in Japan genauso respektieren wie bei uns. Warum muß aber jedesmal der Automatismus greifen, daß ein historisches Objekt, sobald es Nationalschatz oder national wichtiges Kulturgut ist, mit einem kompletten Photoverbot belegt wird? Das ist irgendwie oft unbegründet und grenzt an eine Neurose: Ist es 1880 gemalt, darf man es knipsen, ist das im Raum nebenan 1650 gemalt, darf man es nicht knipsen. Warum kann man nicht am Eingang sagen: Photographiererlaubnis kostet, eine Probeaufnahme zum Beweis, daß der Blitz aus ist - das wäre doch eine pragmatische Lösung, und die Kasse zur Erhaltung der Kunstwerke freut sich. Schließlich ist der Blitz eine Bedrohung für das Kunstwerk, nicht das Ablichten. Das pauschale Photoverbot, sobald es spannend wird, nervt, und einige Tempel tun sich da ganz besonders kontrollwütig hervor.


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