Bernhard
Peter
Kyoto
(Präf. Kyoto), Arashiyama, Tempel Gio-ji (Giou-ji)
Lage und
Touristisches
Der Tempel Gio-ji (Giou-ji)
liegt im nordwestlichen Arashiyama (Adresse: 32 Sagatoriimoto
Kozakacho, Ukyo Ward, Kyoto, 616-8435) an den Hängen des Berges
Ogura. Arashiyama selbst wird am besten entweder über den
JR-Bahnhof Saga Arashiyama der Sagano Line oder über den
Keifuku-Bahnhof Arashiyama der Arashiyama Line erreicht. Von dort
sind es bis zum Tempel 1,4 km Luftlinie, ca. 1,7 km Fußweg oder
25 min. in nordwestlicher Richtung. Theoretisch könnte man an
der Haltestelle Saga Arashiyama Eki mae den Bus Nr. 91 bekommen
und von dort bis zur Haltestelle Saga Shakado mae fahren,
Kostenpunkt die üblichen 230 Yen. Alternativ geht auch die
Bus-Linie 28. Das ist jedoch keine wirkliche Zeitersparnis und
deckt weniger als die Hälfte des Weges ab. In der Regel stellt
die dien Frage nach dem Bus aber nicht, weil die ganze Gegend
voller Tempel ist und man sowieso die ganze Gruppe anschaut und
von einem zum anderen läuft, gerade hier würde sich die Reihe
Jojakko-ji, Nison-in, Danrin-ji und nach dem Giou-ji noch
Adashino Nenbutsu-ji und Otagi Nenbutsu-ji anbieten. Für die
Rückfahrt kann man dann an der Haltestelle Toriimoto den Bus
zurück zum Bahnhof nehmen. Oder man mietet sich für den Tag in
Arashiyama gleich ein Fahrrad, was am praktischsten ist.
Der Giou-ji ist ein sehr kleiner Tempel in einer phantastischen, verwunschen wirkenden Naturumgebung. Vom Tempel selbst darf man nicht zu viel erwarten: Es gibt ein Tor, ein Kassenhäuschen und eine einzige Halle. Es ist also eher eine Einsiedelei als ein Tempel. Das ist definitiv nicht, das den Besuch lohnen würde. Was den Besuch aber zur Augenweide macht, ist der in allen Grüntönen leuchtende Tempelgarten, in den das alles eingebettet ist: dicke Moospolster, etagenweiser Aufbau der Baumzone, die mystisch-verwunschene Atmosphäre bei gedämpftem Licht unter den Bäumen, dazu die hohe Feuchtigkeit - der Garten wirkt wie eine Grotte aus Wald. Die Fläche ist nicht groß, und es gibt nur einen einzigen Rundweg, aber nach jedem Meter haben sich die Kulissen wieder verschoben, fällt das spärliche Licht durch die Ahornbäume wieder anders, ergeben sich wieder ganz andere Perspektiven. Dieser Tempel lebt von den ständig wechselnden und vielfältigen Blicken durch eine wunderschöne Natur, vom Spiel des Lichts und der Schatten der unten kahlen Baumstämme. Wie man den Tempel erlebt, hängt ganz von den Erwartungen ab: Wer Architektur liebt, wird enttäuscht sein. Wer schöne Tempelhallen mit kunstgeschichtlich wertvollem Statuenbestand sucht, ist hier fehl am Platze. Wer Natur liebt, wird den Giou-ji als schönsten Moosgarten überhaupt erleben, in dem einem die Augen übergehen. Aus diesem Grund darf man den Giou-ji als wenig bekanntes Juwel für Liebhaber verwunschener Moosgärten bezeichnen. Und der Giou-ji ist viel weniger bekannt als vergleichsweise der Koke-dera (den zu besichtigen bekanntermaßen nicht ganz einfach ist). Jedenfalls ist der Tempelgarten eine stille Welt für sich, eine abgeschiedene, urig-feuchte und moosige Zone voller Dämpfigkeit und Waldgeruch über den teppichdicken, marmorierten Polstern mit einem kleinen Bach, der durch das Gelände verläuft. Die Vielfalt der hier kultivierten 17 verschiedenen Moossorten belebt die Flächen unter den Bäumen. Viele Touristen verträgt der wenig bekannte Tempel nicht, aber zum Glück ist es hier meistens still, außer zur Zeit der Herbstlaubfärbung (Momiji). Abgesehen von diesem farblichen jahreszeitlichen Höhepunkt dominiert im Rest des Jahres das Spektrum der Grüntöne, fast scheint es so, als wäre das hier der grünste, feuchteste und verwunschenste Tempel der Stadt.
Geschichte
und Bedeutung
Gegründet wurde der Tempel
unter dem Namen Oujo-in, und damals gehörte er noch zur
Jodo-Schule (Joudo-shuu), der Schule des Reinen Landes mit Fokus
auf dem Amida-Kult. Dieser vom Priester Ryochin (ein Schüler von
Honen Shonin, dem Stifter der Joudo-shuu) gegründete Oujo-in war
ein Frauen-Tempel, und er war einst viel größer, und wenig ist
davon übrig geblieben.
Historisch spielt der Tempel eine Rolle als Rückzugsort von Gio (Giou), Tänzerin (Shirabyoushi) und Protagonistin einer tragischen Liebesgeschichte. Sie war die Konkubine von Taira no Kiyomori (1118-1181), General und oberster Regierungsminister und damit de facto Regent Japans. Er war zeitweise der mächtigste Mann im Lande, der mit den Kaisern wie mit Marionetten spielte, um seine Interessen durchzusetzen. Als er Giou und ihre Schwester begehrte, war Kiyomori allerdings erst 20 Jahre alt. Diese Vorgänge werden im Epos Heike Monogatari (Erzählungen von den Heike, Heike = Taira) erzählt. Giou wurde schließlich nach drei Jahren von ihrem Liebhaber verschmäht und zu Gunsten einer anderen, jüngeren verstoßen, die erst 16 Jahre alt war und ebenfalls Tänzerin, sie stammte aus Kaga. Giou wurde noch mehr gedemütigt, als sie von ihrem Ex gerufen wurde, um für ihn und seine Neue zu tanzen. Das war zu viel der Schmach. Sie zog sich statt dessen in diesen Tempel bis an ihr Lebensende als Nonne zurück. Daher stammt der neue Name des Tempels: Tempel der Giou. Mit ihr zogen ihre Schwester Ginyo und ihre Mutter Toji hier ein. Die neue Favoritin von Taira no Kiyomori war eine Tänzerin mit Künstlernamen Hotoke Gozen ("Frau Buddha"), aber nach einem Jahr teilte sie das Schicksal ihrer Vorgängerin und landete ebenfalls in diesem Tempel als Nonne, nun geläutert und um die Erkenntnis reicher, daß bestimmte Männer immer dieselben bleiben werden.
Der Giou-ji ist seit 1868 ein Subtempel des 1,2 km bzw. 20 min. zu Fuß entfernten Daikaku-ji. Das war damals die Zeit, als die religiösen Institutionen wie die Tempel viel Land verloren und umorganisiert und umgruppiert wurden. Tempel, die baulich und / oder personell in schlechtem Zustand waren, wurden von größeren Tempeln unter ihre Fittiche genommen. Der Daikaku-ji hatte ohnehin bereits die buddhistischen Statuen des obsolet gewordenen Giou-ji sowie seine Pagode übernommen, und seinerseits die Rekonstruktion und Wiederbelebung des Tempels angedacht. Damit gehört der Giou-ji seitdem ebenfalls zur Shingon-Schule (Shingon-shuu, Schule des wahren Wortes, esoterischer Buddhismus). Der Tempel vergibt keine ad hoc handgeschriebene Goshuin, man kann nur vorgefertigte Blätter erwerben. Es ist möglich, ein günstigeres Kombiticket zusammen mit dem des Daikaku-ji zu erwerben, wenn man beide zusammen besucht.
Rundgang
und Beschreibung:
Die klein dimensionierte
Haupthalle (Hondou) besitzt zwei Tatami-Matten-Räume und ein mit
Schilf gedecktes Dach. Das runde Fenster mit dem diagonalen Netz
aus Stäben in dem hinteren Raum wird Yoshiono-mado genannt, ein
ikonisches Fenster. Es wird auch Regenbogen-Fentser genannt. Die
runde Form wird von der Papierlampe an der Decke aufgegriffen,
wie Positiv und Negativ. In dem anderen Raum, den man zuerst
betritt, befinden sich linkerhand hinter bogenförmigen Blenden
das Hauptkultbild, ein Dainichi Nyorai, der Buddha des
unermeßlichen Lichts, der kosmische Buddha und der wichtigste
Buddha des esoterischen Buddhismus in Gestalt der Shingon-shuu,
hier eine Kopie der Figur im Chuson-ji in Hiraizumi, und vier
Figuren von mit dem Tempel verbundenen Personen, besagten
abgelegten Konkubinen und Schwester und Mutter der einen davon.
Die Figuren von Giou (zweite von links) und ihrer Schwester
(zweite von rechts) stammen aus der späten Kamakura-Zeit;
zeittypisch sind die mit Kristallen eingelegten Augen.
Rechterhand ist in diesem Raum eine Tokonoma zu sehen. Die
namengebende Giou wird auf den Ema des Tempels portraitiert.
Weiter hinten, für den Besucher nicht sichtbar, gibt es noch
eine Statue des machthungrigen Taira no Kiyomori.
Diese Meiji-zeitliche Haupthalle kam erst 1895 in den Tempel. Sie war ein Geschenk von Kitagaki Kunimichi (17.9.1836-16.1.1916), einem früheren Gouverneur von Kyoto, und sie war vorher Teil seiner Villa. Als er hörte, daß der Daikaku-ji eine Wiederbelebung des Giou-ji plante, begeisterte er sich für diese Idee und gab das Gebäude dazu. Dieser Politiker ist vor allem bekannt wegen des unter ihm gebauten Biwa-See-Kanals und des hydroelektrischen Kraftwerks Keage, mit dem die erste elektrische Stadtbahn betrieben wurde. Die Halle kann (natürlich auf Strümpfen!) betreten werden, und hier kann man es sich zum Betrachten gemütlich machen. Ansonsten gibt es im ganzen Garten keine Möglichkeiten, sich mal hinzusetzen, dazu ist er auch zu klein.
Durch den Moosgarten (Koke-niwa) führt ein Rundweg, der das Betrachten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erlaubt. Ein paar Steinlaternen (Tsuchigumo-tourou) bereichern das üppig grüne Ensemble, das sich in Schichten von unten nach oben aufbaut, von der Moosschicht über die Krautschicht zu den locker wachsenden Ahornen und dann zu den hohen Bäumen, die das Dach bilden. Das Licht des Himmels wird durch die oberen Etagen kräftig gefiltert, und die verbleibenden Strahlen zaubern wandernde helle Flecken auf die dunklen Moosteppiche. Ein kleiner Brunnen (Tsukibei) besteht aus einem Naturstein mit kreisrunder Vertiefung und einem Zuleitungsrohr aus Bambus. Entlang des Pfades sind im hinteren Eck Töpfe mit Mustern der verschiedenen hier kultivierten Moossorten ausgestellt. Auf dem Tempelgelände befinden sich im südlichen Teil zwei Pagoden, eine davon ist mit Sicherheit für die Nonne Giou und ihre Mitnonnen (Kuyou-tou). Die andere ist Taira no Kiyomori gewidmet (Taira-no-kiyomori-kuyou-tou), aber das ist bloße Erinnerung, tatsächlich ist er nicht hier, sondern im Tempel Houshakuzan Noufuku-ji in Koube (Präfektur Hyougo) begraben bzw. erst im dazugehörenden Taiheisan Hattou-ji, und dann wurde das Grab in den Muttertempel verlegt. Hier im Giou-ji ist es jedenfalls nicht. Den Hintergrund im Norden bildet ein dichter Bambuswald (Take-yabu, Bambus-Dickicht; Chikurin, Bambuswald) aus Moso-Bambus (Mousou-chiku). Im Südostzipfel des Geländes, rechts hinter dem Kassenhäuschen, gibt es noch ein sehr schönes Tor (Sanmon) mit schilfgedecktem Dach.
Photos aus dem Giou-ji
Literatur,
Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps:
https://www.google.de/maps/@35.0234328,135.6670202,20.67z?entry=ttu - https://www.google.de/maps/@35.0233953,135.6670147,71m/data=!3m1!1e3?entry=ttu
Webseite des Tempels: https://www.giouji.or.jp/ - https://www.giouji.or.jp/en/
Giou-ji auf Kyotofukoh: https://kyotofukoh.jp/report517.html
Der Giou-ji auf Japan-Kyoto: https://japan-kyoto.de/gioji-tempel-arashiyama-kyoto/
Giou-ji auf Traditional Kyoto: https://traditionalkyoto.com/traditional-areas/arashiyama-district/gio-ji/
Giou-ji auf Kyoto-Travel: https://kyoto.travel/en/shrine_temple/164.html
Arashiyama auf Discover Kyoto: https://www.discoverkyoto.com/places-go/arashiyama/
Taira no Kiyomori https://de.wikipedia.org/wiki/Taira_no_Kiyomori
Giou-ji auf Tale of genji: http://www.taleofgenji.org/gio-ji.html
Giou-ji auf Kanpai-Japan: https://www.kanpai-japan.com/kyoto/gio-ji
Giou-ji auf Inside Kyoto: https://www.insidekyoto.com/gio-ji-temple
Giou-ji auf Japan Experience: https://www.japan-experience.com/all-about-japan/kyoto/temples-shrines/gioji
Giou-ji auf Japanese Wiki: https://www.japanesewiki.com/person/Kunimichi%20KITAGAKI.html
Besucherfaltblatt des Tempels
Giou-ji auf Japan Travel: https://en.japantravel.com/places/kyoto/gioji-temple/650 - https://en.japantravel.com/kyoto/gio-ji-temple-kyoto-part-1-of-4/19536 - https://en.japantravel.com/kyoto/gio-ji-temple-kyoto-part-2-of-4/19537 - https://en.japantravel.com/kyoto/gio-ji-temple-kyoto-part-3-of-4/19538 - https://en.japantravel.com/kyoto/gio-ji-temple-kyoto-part-4-of-4/19539 - https://en.japantravel.com/kyoto/gioji-a-rustic-temple-in-okusaga/15434
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's
Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10:
4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 249-250
Ian Littlewood, Ayumi Oe Littlewood: Kyoto Without Crowds, A
Guide to the City's Most Peaceful Temples and Gardens, 264 S.,
CreateSpace Independent Publishing Platform, 1. Auflage 2018,
ISBN-10: 1978158998, ISBN-13: 978-1978158993, S. 184-186
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