Bernhard Peter
Ikaruga (Präf. Nara): Chugu-ji


Der Chugu-ji (Chuuguu-ji) profitiert von seiner Lage (Adresse: 1-1-2 Horyujikita, Ikaruga, Ikoma District, Nara 636-0101): Man findet ihn, wenn man nördlich des Horyu-ji To-in Denpodo nach Osten geht; man stößt unweigerlich auf das Eingangstor, wenn man sich die Nordseite des To-in anschaut. Man freut sich, daß ein weiterer Tempel offen ist, und man geht rein - oh je. Natürlich ist man verwöhnt vom Horyu-ji, man schwelgte bis gerade eben in ganz großer Architektur, und dann das hier: Eine völlig moderne Haupthalle (Hondo) mit Dach auf unproportiert langen, größtenteils im Wasser stehenden Zementstelzen bildet das zentrale Heiligtum, das in den 1940er-Jahren geschmacklos wiederaufgebaut wurde, und das dann noch zu einem Eintrittspreis, der absolut unangemessen ist. Man schwimmt wohl mit auf der Horyu-ji-Begeisterung, freut sich auf Touristen in Tempel-Begeisterung und sahnt gnadenlos ab.

Auf der Haben-Seite steht eine wirklich einzigartige Statue als Hauptkultbild, die als "Nyoirin Kanzeon Bodhisattva (mokuzo bosatsu hankazo, mokuzou bosatsu hankazou)" bezeichnet wird und die als Nationalschatz klassifiziert ist. Wer Nationalschätze "sammelt", gehe sie sich gerne anschauen, sie ist wirklich unglaublich schön und besitzt ein rätselhaftes sanftes Lächeln. Die 87 cm hohe Asuka-zeitliche Figur aus der zweiten Hälfte des 7. Jh., die eigentlich einen Miroku Bosatsu (Maitreya, Buddha der Zukunft) darstellt und fälschlicherweise als Bodhisattva der Barmherzigkeit verehrt wird, sitzt in halber Lotus-Position und besteht aus bemaltem Kampherbaumholz. Mit der einen Hand berührt die Figur ganz zart ihre Wange. Von der einst farbigen Bemalung ist nicht wirklich viel übrig, sie wirkt einfach schwarz. Man kommt nicht so richtig nahe ran, ein Fernglas wäre sicherlich nützlich, aber wer hat das schon dabei? Und eine fast schwarze Figur vor dunklem Hintergrund in dunkler Nische ist auch für den enthusiastischsten Kunstgenießer suboptimal. Der Tempel selbst preist das Lächeln dieser Figur prahlerisch in einem Atemzug mit der Spinx von Gizeh und der Mona Lisa, reichlich dick aufgetragen und völlig verkennend, daß diese Figur eine Klasse für sich ist und gar keinen Vergleich braucht: Sie ist ein einzigartiges Meisterwerk.

Für 600 Yen Eintritt bzw. reduziert für 500 Yen mit vorgelegter Horyu-ji-Eintrittskarte bekommt man dennoch woanders erheblich mehr geboten, und im Vergleich ist dieser Preis für das Vorgefundene einfach nur unverschämt. Zum Beispiel: 100 Yen drauflegen, dann bekommt man für 700 Yen das ganze Nationalmuseum Nara zu sehen! Im Shin Yakushi-ji in Nara gibt es für die selben 600 Yen immerhin ein ganzes Dutzend herausragend gute Statuen zu sehen, alle ebenfalls im Range von Nationalschätzen, und dazu noch mehrere wichtige Kulturgüter, und alle sind optimal aufgestellt und ausgeleuchtet! Prinzipiell ist meine Ansicht, jeder ausgegebene Yen dient der Erhaltung von Kulturgut und ist gut investiert, außerdem ist es genau das, wofür wir für sehr viel mehr Geld anreisen. Hier im Chogu-ji sind aber die Grenzen deutlich in Richtung Raffgier überschritten: Hier stimmt das Gesamtpaket einfach nicht. In diesem Fall ist es sicherlich besser, das Nationalmuseum Nara oder andere Tempel mit seinem Eintrittsgeld zu unterstützen. Ach ja, und den Automatismus kennen wir ja bereits: Nationalschatz -> Photoverbot, wie woanders auch. Die Figur wird flankiert von zwei weiteren Statuen, die aber vom kunstgeschichtlichen Wert nicht an sie heranreichen, das sind Yakushi Nyorai, der Buddha der Heilung, und Ashuku Nyorai, der Buddha der Weisheit. Außer dieser einzigartigen Statue, die als Honzon fungiert, gibt es hier eigentlich nichts zu sehen, wenn man von den Yamabuki-Büschen absieht, die den Kiesweg säumen.

Von einer wertvollen Asuka-zeitlichen Mandala-Stickerei, dem in Fragmenten erhaltenen Tenjukoku Shuuchou Mandara, ebenfalls Nationalschatz, gibt es nur eine Kopie zu sehen (das Original befindet sich im Nara National Museum). Die aus dem 7. Jh. stammende, vermutlich in die Zeit von 622-628 zu datierende Original-Textilie wurde von der Dame Tachibana-no-Oiratsume geschaffen, um an den Tod von Prinz Shoutoku zu erinnern, und es spielte eine Rolle bei dessen Begräbnisfeierlichkeiten. Sie ist die älteste erhaltene Seidenstickerei des Landes. Ok, dieses Tuch wurde in der Kamakura-Zeit repliziert. Und in der Edo-Zeit fügte man die Reste aus der Asuka-Zeit mit Stücken der Replik aus der Kamakura-Zeit anläßlich einer Restaurierung zusammen. Die heutige Textilie ist also ein Mosaik aus Asuka-zeitlichen, Kamakura-zeitlichen und Edo-zeitlichen Arbeiten. Dargestellt wird das Leben des Prinzen im Land des ewigen Lebens (Tenju-koku).

Die Tempelgebäude selbst sind eine herbe Enttäuschung, und in die eventuell interessanten anderen Bereiche des Tempels kommt man nicht als Besucher hinein. Vor der Haupthalle steht noch ein Stein mit einem eingehauenen Gedicht von Aizu Yaichi, das Nyoirin Kannon Bosatsu zum Thema hat. Wer trotz der Enttäuschung noch Lust auf Fakten hat: Es ist eigentlich ein uralter Tempel, der in der Asuka-Zeit gegründet wurde, und er war seitdem ein Nonnenkloster. Der Tempel wurde für Prinzessin Anahobe Taishi (Anahobe no Hashihito), der Mutter von Prinz Shotoku, erbaut und lag früher 450 m weiter ostnordöstlich des heutigen Standorts. Es war ursprünglich ihre alte Residenz, die zu einem Tempel umgewidmet wurde. Am alten Standort jenseits der nächstgrößeren nach Norden führenden Straße liegen noch säuberlich aufgereiht die Grundsteine der tragenden Pfosten als historische Landmarke im Acker, offensichtlich von einer Pagode (4 x 4 + 1 in der Mitte) und von einer Haupthalle (Größe 5 x 4 ken), und weitere Geländemarken sind in den Äckern und Brachflächen drumherum zu erkennen. Besser als vor Ort sieht man das im Luftbild auf Google Earth.

Entsprechend der Gründungsgeschichte war es üblich, daß die Oberpriesterinnen aus dem kaiserlichen Hause stammten. Der Chugu-ji war also ein Monzeki-Tempel. Zwischenzeitlich erfolgte ein Niedergang, nachdem die Hauptstadt nach Kyoto verlegt worden war. Die Tempelschätze kamen in die Obhut des Horyu-ji. Dann kam der Wiederaufbau in der Kamakura-Zeit. In der Muromachi-Zeit wurde der Tempel an den gegenwärtigen Standort verlegt. Der Tempel Chugu-ji stand lange unter der Verwaltung des Horyu-ji und folgte dessen konfessionellen Ausrichtungen gleichermaßen. Er gehörte also zunächst der Schule Sanron-shuu an, danach der Hosso-shuu, ab der Kamakura-Zeit der Shingon-shuu und seit 1951 handelt es sich um einen Tempel der Shoutoku-shuu.



Literatur, Links und Quellen:
Position auf Google Maps:
https://www.google.de/maps/@34.6146518,135.7394143,19.92z - https://www.google.de/maps/@34.6146108,135.7394855,92m/data=!3m1!1e3
Webseite des Tempels:
http://www.chuguji.jp/ - http://www.chuguji.jp/en/ - http://www.chuguji.jp/en/statue/ - http://www.chuguji.jp/en/mandala/
Liste von Nationalschätzen Japans:
https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_National_Treasures_of_Japan_(sculptures) und https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_National_Treasures_of_Japan_(crafts:_others)
Chugu-ji auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ch%C5%ABg%C5%AB-ji - https://en.wikipedia.org/wiki/Ch%C5%ABg%C5%AB-ji
Webseite der Stadt Ikaruga:
https://www.town.ikaruga.nara.jp/ikaho/e/guide/f5f/f541.html
Auf den Seiten von Visit Nara:
https://www.visitnara.jp/venues/A00507/
Auf den Seiten von Japan Experience:
https://www.japan-experience.com/all-about-japan/nara/temples-shrines/chuguji-temple


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