Bernhard
Peter
Tempel:
Kyoto, Rokuharamitsu-ji
Der Rokuharamitsu-ji liegt in Gion östlich des Flusses Kamo-gawa ca. 400 m südlich des Kennin-ji. Südlich des Tempels verläuft die Straße Rokuhara Uramon Dori; von dort erreicht man den Tempel über eine kleine Stichstraße von Osten her. Westlich des dicht bebauten Areals befindet sich ein Sportplatz, nördlich ein Schwimmbad. Der kleine Tempel (Adresse: 81-1 Rokurocho, Higashiyama-ku, Kyoto 605-0000) ist mit seinen gefälligen, aber doch steifen Formen fast lückenlos ins urbane Gefüge und die kunstfreie Banalität der Wohnhäuser ringsum eingebaut und besitzt ungewohnt wenig Grünflächen; im Grunde gibt es nur einen wenige Quadratmeter großen Gartenbereich und eine Reihe Bäume zur Straße hin, sonst nichts. Eine große Halle dominiert den nördlichen Teil; südlich und rückwärtig liegen die kleinteiligeren Nebengebäude. Mit der Keihan Main Line kann man bis zur Haltestelle Kiyomizu-Gojo fahren und dann 400 m nach Nordosten laufen. Oder man nimmt den City-Bus Nr. 206 (Richtung Kitaoji Bus Terminal) oder den Raku-Bus 100 (Richtung Ginkaku-ji) bis zur Haltestelle Kiyomizu-michi auf der Higashi Oji Dori und läuft dann 400 m nach Westen. Auch die Busse 12, 46, 202 und 207 fahren durch Gion. Ein Vorteil dieses Tempels ist, daß er abseits der üblichen Touristenpfade liegt. Wer sich hierhin auf Entdeckungstour begibt, sollte unbedingt ins Museum (Schatzhaus) gehen, denn dort bekommt man einzigartige Kunstwerke zu sehen.
Der Rokuharamitsu-ji ist ein Kannon-Tempel und stellt eine Station auf dem ca. 1300 km langen Saigoku-Pilgerweg (Saigoku sanjuusankasho) dar, wo er die siebzehnte von insgesamt 33 Stationen ist. In allen Stationen wird die Kannon als Hauptgottheit (Honzon) verehrt, eine weibliche Inkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara. Diese Figur stammt der Legende nach noch vom Gründer Kuya, der sie selbst geschnitzt haben soll. Aufgrund der vielen Zerstörungen des Tempels ist es aber wahrscheinlich, daß sie später entstand. Sie wird nur alle 33 Jahre gezeigt, das letzte Mal war das 2003 der Fall. Der Pilgerweg beginnt am Seiganto-ji in Nachi-Katsuura (Präfektur Wakayama). Bevor der Rokuharamitsu-ji mit seiner elfgesichtigen Kannon als Kultbild erreicht wird, ist der letzte Halt davor der Kiyomizudera, der Tempel der tausendarmigen Kannon in Kyoto. Nach dem Rokuharamitsu-ji geht es weiter zum Rokkaku-do (= Chouhou-ji), einem Tempel der Kannon mit wunscherfüllendem Juwel im Stadtteil Nakagyo-ku. Der traditionelle Pilgerweg endet am Kegon-ji in Ibigawa (Präfektur Gifu). Eine Sonder-Ausstellung der sonst in einem Zushi verborgenen elfköpfigen Kannon-Figur (Juichimen Kannon) fand aus Anlaß des 1000sten Todestages des Kaisers Kazan am 16.11.-30.11.2008 und am 26.4.-6.5.2009 statt, um daran zu erinnern, daß dieser Kaiser die Pilgerschaft in der heute üblichen Art formalisierte. Dieser Kannon wird nachgesagt, daß sie Krankheiten heilen könne; und sie ist auch als "Enmusubi Kannon" bekannt, als eine Kannon, die Bittstellern bei der Suche nach dem richtigen Heiratspartner behilflich ist.
Abb.: Lage des Rokuharamitsu-ji auf dem Saigoku-Pilgerweg (Ausschnitt der Region um Kyoto und Otsu)
Es gibt noch einen zweiten Pilgerweg, den Rakuyo-Kannon-Weg, welcher 33 Stationen mit Bezug zu Kannon auf dem Stadtgebiet von Kyoto besitzt und am bereits genannten Rokkaku-do beginnt. In dieser Runde stellt der Rokuharamitsu-ji die 15. Station dar, nachdem als 10. bis 14. Station nacheinander vier Hallen des Kiyomizudera (Zenkoji-do, Okuno-in, Hondo und Asakura-do) und der südlich gelegene Subtempel Taisan-ji besucht wurden. Nach dem Rokuharamitsu-ji geht es weiter zum Chugen-ji, einem kleinen Tempel in Gion, um schließlich nach vielen weiteren Stationen am Seiwa-in zu enden. Die Zahl 33 bei beiden Pilgerwegen kommt daher, daß Kannon 33 verschiedene Formen annehmen kann, daß Kannon 33 Gelübde geleistet hat, um die Menschheit zu retten etc.
Weiterhin ist der Tempel eingebunden in einen Pilgerweg der sieben Glücksgötter von Kyoto (Miyako Shichifukujin), der nacheinander die Stätten der Shichifukujin (Ebisu-jin am Ebisu-Schrein in Higashiyama, Daikokuten am Myoen-ji, Bishamonten am To-ji, Benzaiten am Rokuharamitsu-ji, Fukurokuju-jin am Sekizan Zen-in, Juro-jin am Gyogan-ji südlich des kaiserlichen Hofgartens und Hotei-son am Manpuku-ji in Uji) aufsucht.
Im Jahre 951/963 wurde der Rokuharamitsu-ji vom Wander-Priester Kuya Shonin (Kuuya Shounin, 903-972) gegründet, der sich engagiert um das Leben und Leiden der Armen in der Hauptstadt kümmerte. Kuya soll angeblich der zweite Sohn des Kaisers Daigo gewesen sein. Das muß nicht stimmen, ist vielmehr allgemein eine Methode, herausragenden Normalsterblichen eine edle Abstammung beizugeben. Der Anlaß für den Bau des Tempels, der zunächst Saiko-ji hieß, war eine Epidemie. Im historischen Kyoto befand sich hier eine Stelle namens Rokudo no Tsuji (Kreuzweg der sechs Existenzbereiche) auf der Ecke des damaligen Toribeno, des einst größten Friedhofes von Kyoto, der heute verlagert ist und sich an den Hängen zum Kiyomizudera hoch befindet. Der Tempel wurde 977 ein Zweigtempel (Betsu-in) des Enryako-ji (Tendai-Buddhismus) und wurde in Rokuharamitsu-ji umbenannt. Der Name bezieht sich auf die Vervollkommnung der Passage durch die sechs (roku) Reiche der Existenz (Roku-do = das sind 1. sterbliche Götter, Tenkai, 2. Kriegergeister, Shura, Shuura, 3. Menschen, Ninkai, 4. Tiere, Chikusho, Chikushou, 5. Hungergeister, Gaki, und 6. Wesen in einer aus acht Einzelstufen bestehenden Hölle, Jigoku). Die Namensgebung hat hier etwas mit der damaligen Friedhofsnähe zu tun. Hier am unteren Eingang waren eher die Armengräber; und diejenigen, deren Angehörige sich kein anständiges Begräbnis leisten konnten, wurden hier am Eingang ohne großes Zeremoniell abgelegt - und der Tempel diente dazu, diesen Leuten ein Begräbnis zu verschaffen. Als "Berg" (also als Honorativ-Zuordnung) wurde für ie Tempelbezeichnung "Fudaraku-san" gewählt, nach einer mythischen paradiesischen Insel, und der Tempel sollte das Paradies der Kannon für die Armen und ihre Toten sein. Nach dem Ableben von Kuya Shonin kümmerte sich Nakanobu Shonin um den Tempel, der ein Zentrum des Tendai- bzw. Amida-Buddhismus wurde. Im Laufe der Zeit verlor die Gegend um den Tempel ihren grausigen Ruf als Grablege der untersten Stufe und wurde eine Wohngegend.
Der Bereich Rokuhara war gegen Ende der Heian-Zeit in der Mitte des 12. Jh. der Sitz der Taira-Familie, die in der Nachbarschaft ihre Häuser und auch ihr militärisches Hauptquartier hatte. Unter Taira no Tadamori (1096-1153) hatte sich die Familie hier angesiedelt. Der Tempelbereich wurde groß und wohlhabend und erstreckte sich vom Fluß bis zu den Berghängen im Osten (Higashi-yama). Das Tempel-Areal war zu besten Zeiten in der ersten Hälfte des 12. Jh. ca. ein Quadratkilometer groß. Ca. 5000 Personen lebten mittlerweile hier. Ein Familienoberhaupt der Taira, Taira no Kiyomori (1118-20.3.1181), Japans erster Shogun, der 1171 seine Tochter mit dem Kaiser verheiratete, der 1179 in einem Staatsstreich den zurückgetretenen Kaiser Go-Shirakawa gefangen genommen hatte und im Folgejahr seinen Schwiegersohn, den Kaiser Takakura, zur Abdankung gezwungen hatte, zog sich in diesen Tempel zurück und wurde Mönch. 1180-1185 kam es im Genpei-Krieg (Jisho-Juei no ran) zum Showdown zwischen den Taira und den Genji, die von den Minamoto abstammten. Es endete mit einer Niederlage der Taira, und das gesamte Gebiet wurde bis auf die Grundmauern niedergebrannt, darunter auch der Rokuharamitsu-ji, von dem nur die Haupthalle das Feuer überlebte, aber bei späterer Gelegenheit zerstört wurde.
Der Wiederaufbau des Tempels erfolgte in erheblich verkleinerter Form. Er fand nie zur einstigen Größe und Bedeutung zurück, sondern blieb fortan ein "Stadtviertel-Tempel", gebeutelt von den politischen und militärischen Ereignissen, wurde immer mal wieder abgebrannt und vom Sieger wieder aufgebaut. Im Hondo stammen noch einige wenige Teile aus dem Jahr 1363, was ihn zum ältesten Gebäude in ganz Gion und Zentralkyoto macht. Sowohl Toyotomi Hideyoshi als auch Tokugawa Ieyasu förderten beide den Tempel und renovierten ihn. Zur Vernachlässigung kam es wieder in der Meiji-Zeit, als vermehrt der Shintoismus Förderung erfuhr und quasi zur Staatsreligion erhoben wurde. In der frühen Meiji-Zeit hatte der Tempel zudem bei Kämpfen stark gelitten. Im Jahr 1969 wurden die mittlerweile heruntergekommenen und ruinösen Gebäude aus Anlaß des 1000sten Geburtstages des Tempels komplett zerlegt und erneuert. Der Tempel gehört heute zur Shingon-Schule, und da zum Chizen-Zweig.
Der Tempel besteht aus einer großen und das Gelände beherrschenden Haupthalle (Hondo, Hondou), der Kannon-Halle (Kannon-do) und dem Schatzhaus. In dem kleinen Freibereich südlich des Hondo steht eine bronzene Statue, auch dies eine elfköpfige Kannon. Ein kleiner Schrein ist den "Mizuko" gewidmet, den Wasserkindern, die bei der Geburt verstorben sind, und ihren Jizo. Ein pilzförmiger Stein rechts des Hondo erinnert an Akoya. Sie war eine Kurtisane, lebte in der Nähe des Tempels und erlebte mit dem Taira-General Kagekiyo, mit dem sie zwei Söhne hatte, Iyaishi und Iyawaka, eine tragische Liebesgeschichte. Fälschlicherweise von Kagekiyo des Verrates bezichtigt, tötete sie sich und die Kinder mit einem Dolch. In tiefer Reue verbrachte Kagekiyo daraufhin seine Tage ohne Unterlaß, ohne essen und Schlafen mit der Rezitation der Kannon-Sutra, bis er starb.
Im Schatzhaus (modernes Gebäude im Südwesten der Haupthalle) befinden sich etliche sehr sehenswerte Kunstschätze aus der Heian- und Kamakura-Zeit. Einige der ausgestellten Figuren wurden vom Meister Unkei (ca. 1150/1151-1223), einem der größten plastischen Künstler Japans, und seinen Söhnen hergestellt. Diese Künstler stehen für einen Neubeginn der Kunst während der Kamakura-Zeit, und ihre Werke sind wegweisend. Es sind zu sehen:
Hondo, von Südosten gesehen
Im Südosten der Haupthalle steht eine Bronzefigur, sich wirkungsvoll vom Zinnoberrot und Weiß der Halle abhebend.
Die Kannon-Figur besitzt einen Buddha-Kopf mit 11 Köpfen und hat beide Hände zu Mudras geformt.
Hondo, von Nordosten gesehen
Abb. links: Jizo-Figuren. Abb. rechts: Eine moderne Form, in Stein gehauene Texte in Rotation zu versetzen.
Übergang vom Hondo zu den nördlichen Bauten.
Literatur,
Links und Quellen:
Lokalisierung auf google maps:
https://www.google.de/maps/@34.9970036,135.7732301,19.75z - https://www.google.de/maps/@34.9969749,135.7733838,93m/data=!3m1!1e3
eigene Webseite des Tempels: http://rokuhara.or.jp/
- Geschichte: http://rokuhara.or.jp/history/ - wichtige Statuen: http://rokuhara.or.jp/icp/ - Veranstaltungen: http://rokuhara.or.jp/event/
Tempelschätze: http://www.tnm.jp/modules/r_free_page/index.php?id=526&lang=en
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's
Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10:
4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 56-59
Cees Nooteboom, Simone Sassen: Saigoku - Auf Japans Pilgerweg der
33 Tempel, Schirmer Mosel, 1. Auflage 2013, ISBN-10: 3829606435,
ISBN-13: 978-3829606431, S. 116-117
auf Kyoto Project: http://thekyotoproject.org/deutsch/rokuharamitsuji-tempel/
auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Rokuharamitsu-ji - https://en.wikipedia.org/wiki/Rokuharamitsu-ji
auf Japanhoppers: https://www.japanhoppers.com/de/kansai/kyoto/kanko/895/
auf Japan Visitor: https://www.japanvisitor.com/japan-temples-shrines/rokuharamitsuji
auf Sacred Japan: http://sacredjapan.com/Temple%2017/Temple%2017.htm
Saigoku-Pilgerweg: https://de.wikipedia.org/wiki/Saigoku-Pilgerweg
Kannon-Pilgerweg: http://www.taleofgenji.org/rakuyo_pilgrimage.html
Tale of Genji: http://www.taleofgenji.org/rokuharamitsu.html
auf Traditional Kyoto: http://traditionalkyoto.com/temples-shrines-and-palaces/temples/rokuhara-mitsuji/
Kuya: https://en.wikipedia.org/wiki/K%C5%ABya
Kannon: https://de.wikipedia.org/wiki/Guanyin
auf Kyotofukoh: https://kyotofukoh.jp/report174.html
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