Bernhard
Peter
Kyoto:
Shisendo (Jozan-ji)
Lage
und Erreichbarkeit
Der Shisendo ist ein kleiner,
aber entzückender Tempel mit wunderschönem Garten auf mehreren
Ebenen und liegt im Nordosten von Kyoto im Stadtviertel Ichijoji
(Adresse: 27 Monguchicho, Sakyo-ku, Kyoto-shi), am Hang direkt
unterhalb des Schreines Hachidai jinja. Man erreicht den Tempel
am besten über den Bahnhof Ichijoji der Eizan Line, von da sind
es 800 m zu Fuß bis zum Tempel, gerade in östlicher Richtung.
Vom Hauptbahnhof JR Kyoto Eki gibt es mehrere Möglichkeiten: Man
kann dort den Bus Nr. 5 nach Iwakura Soshajo bis zur Haltestelle
Ichijoji Sagarimatsucho (43 min., 26 Haltestellen) nehmen,
Restweg 450 m gerade nach Osten.
Alternativ kann man mit der U-Bahn der Karasuma Line bis zur Station Kita-Oji fahren und ab der Haltestelle Karasumakitaoji den Bus Nr. 8 nehmen in Richtung Otsu, gleiche Zielhaltestelle. Weiterhin kann man mit der U-Bahn der Karasuma Line bis zur Station Kokusaikaikan fahren und dort den Bus Nr. 5 in Richtung Kyoto Eki mae bis zur Haltestelle Ichijoji Sagarimatsucho nehmen (10 min. 8 Haltestellen). Das bedeutet zwar, zunächst zu weit nördlich zu fahren und dann wieder zurück, aber die U-Bahn ist einfach schneller.
Wer mit Keihan anreist, nimmt die Main Line bis zum Endbahnhof Demachiyanagi und steigt dort in einen beliebigen Zug der Eizan Line um und fährt bis zum Bahnhof Ichijoji. Da man den Schrein aber meistens im Verbund mit anderen Sehenswürdigkeiten (Sekizan Zen-in, Shugakuin-Villa, Saginomori jinja, Manshu-in, Enko-ji, Nobotokean, Hachidai jinja und Konpuku-ji) besucht, beginnt man entweder im Süden über den Bahnhof Ichijoji und fährt im Norden über den Bahnhof Shugakuin zurück oder umgekehrt.
Der Shisendo ist ein kleiner, aber sehr feiner Tempel. Der Eingang ist völlig unspektakulär und leicht zu übersehen. Nur kleines Tor mit einer steinernen Stele verweist auf die Sehenswürdigkeit dahinter. Der Besucherandrang ist moderat und besteht fast nur aus Japanern. Bei westlichen Touristen ist der Tempel anscheinend kaum auf dem Programm. Die Gebäude sind aber recht klein, und die Hallen sind schnell gefüllt. Beim Besuch im September ist das noch erträglich, weil quasi außer Hibiskus und Hosta nichts mehr blüht, aber man möchte sich das nicht Ende November vorstellen, das wird eng. Ein zweiter saisonaler Höhepunkt ist die Blüte der Satsuki-Azaleen Ende Mai. Die Tatami-Räume sind wundervoll zum Entspannen, und die Aussicht ist grandios. Das macht aber nur bei wenigen Besuchern Spaß. Man sollte daran denken, daß dieser Tempel am 23. Mai geschlossen ist, denn dann findet hier eine Gedenkfeier für den Gründer aus Anlaß seines Todestages statt. Dafür ist der Shisendo ansonsten ganzjährig geöffnet.
In den Gebäuden herrscht absolutes Photoverbot, draußen im Garten jedoch kann man knipsen. Einerseits nerven solche Photoverbote, vor allem jene, die zurückhaltend und mit Respekt knipsen und sich zu Unrecht ihrer Erinnerungsphotos beraubt sehen. Andererseits sind sie nachvollziehbar, weil nichts das ruhige Betrachten auf engem Raum mehr stört als aufdringliche Poser mit Selfiestick. Und diese strikten Verbote in vielen Tempeln haben wir nicht zuletzt jenen Leuten zu verdanken, die es übertreiben, und jenen Technik-Legasthenikern, die den automatischen Blitz ihrer Kamera nicht abschalten wollen oder können, denn die Bilder im Shisen-no-ma sind Edo-zeitliche Originale.
Geschichte
und Bedeutung:
Der Name "Shisendo" (Shisendou) ist ein gebräuchlicher
volkstümlicher Name. Das Suffix "-do" steht für die
Tempelhalle, entweder als eigenes Gebäude oder als funktional
einheitliche Unterstruktur. Für ganze Tempelanlagen wird
"-do" meistens nur im Sinne eines pars pro toto
benutzt, dann ist es ein volkstümlicher, nicht ein offizieller
Name, insbesondere wenn die Halle besonders wichtig ist und so
der Name für den ganzen Tempel stellvertretend in Erscheinung
tritt. Shisen = Poesie, so wie Shi-jin der Dichter ist, Shisendo
bedeutet "Halle der großen oder unsterblichen
Dichter". Sie wird so genannt wegen eines berühmten Raumes
mit Dichterbildern und ihren Werken, dem Shisen-no-ma.
"Sen" ist auch verwandt mit dem "Sen-nin",
dem Einsiedler oder auch den Unsterblichen. Aber nicht deswegen
wird der Shisendo als Eremitage, als Einsiedelei bezeichnet,
sondern weil der Tempel zur Bauzeit am nördlichen Fuße der
Higashiyama-Hügel außerhalb des damaligen Stadtgebietes von
Kyoto lag und seinem Besitzer als Rückzugsort diente. Der
Gründer und Erbauer ist Jozan Ishikawa (1583-1672), ein Samurai,
der in jungen Jahren im Dienste von Tokugawa Ieyasu gestanden
hatte. Er stammte aus Izumi (bei Anjo, Provinz Mikawa), in
Ieyasus Territorium, und er wurde in eine Samurai-Familie
hineingeboren, die seit Generationen in Diensten der Tokugawa
gestanden hatte, und so war auch ihm dieser Weg vorgezeichnet. Er
nahm an zwei wichtigen Schlachten an der Seite des dritten
Reichseinigers teil, an der Schlacht bei Sekigahara 1600 und bei
der Eroberung der Burg Osaka 1615. Beides waren Schlüsselkriege
zur Etablierung und Festigung der Macht der Tokugawa-Shogune.
1615 kam es jedoch zu einem vorzeitigen Karriereende, als er
eigenmächtig einen Angriff auf eine feindlich Burg führte und
trotz seiner Verdienste wegen Verstoßes gegen die Disziplin
entlassen wurde. Die Karriere als Samurai war zu Ende, die als
Intellektueller begann.
Bereits während seiner Studien am Zen-Tempel Myoshin-ji entwickelte sich ein Kontakt zu Fujiwara Seika zu dessen Schüler, Hayashi Razan, beides Vertreter des Neo-Konfuzianismus. Nach einem Aufenthalt in der Gegend von Hiroshima, wo er als Lehrmeister Arbeit angenommen hatte und 15 Jahre blieb, kehrte er nach Kyoto zurück. Zunächst lebte er in der Nähe des Shokoku-ji; seine dortige Behausung nannte er "Sui-chiku-do", etwa "Halle des träumenden Bambus". 1641 baute Jozan Ishikawa den Shisendo und widmete sich dort den schönen Dingen des Lebens, den Künsten, der Gartenkunst und der Dichtkunst. Hier verfaßte er selber Kanshi-Gedichte, hier übte er Shuji -Kalligraphie aus. Die folgenden dreißig Jahre widmete er sich der künstlerischen Kreativität und der Optimierung seines selbstgewählten Rückzugsortes. Aber Jozan Ishikawa ist nicht nur der Gestalter des Shisendo, sondern auch des zum Higashi Hongan-ji gehörenden, aber separat liegenden Gartens Shosei-en (oder Kikokutei), aber nur des Gartens, nicht der Gebäude. Jozan Ishikawa wurde fast 90 Jahre alt.
Daraus ergibt sich ein zweiter Name für den Shisendo: Wer unbedingt ein "-ji" im Namen haben möchte, benennt den Tempel nach dem Gründer "Jozan-ji" (Jouzan-ji), Jozan-Tempel. Der korrekte, schriftsprachliche Name des Shisendo lautet jedoch Ototsu-ka (Outotsu-ka), und das bedeutet übersetzt "Geländeunebenheit" oder "unebene Oberfläche", absolut nachvollziehbar beim Besichtigungsrundgang: Treppen rauf, Treppen runter, Treppen rauf... Und es gibt noch einen dritten Namen für den Tempel, wieder ein umgangssprachlicher: Dekoboko. Wer Kanji lesen kann, sieht sofort, woher das kommt: Die beiden Kanji für "Ototsu" sind einfach in der Reihenfolge vertauscht, bedeuten weiterhin "Unebenheiten", und schon liest man es nicht etwa "Tsu-oto", sondern eben "Deko-boko". Und natürlich hat auch dieser Tempel einen Berg-Namen: "Rokurokuyama". Also wer alles richtig machen will und den Tempel mit allem Lametta benennen will: "Rokuroku-yama Shisendo Jozanji Ototsuka".
1716 wurde aus der Intellektuellen-Eremitage ein Tempel, als Shingon-Priester das Anwesen übernahmen. Dieses Schicksal teilte die davor weltliche Eremitage mit anderen aristokratischen Villen wie dem Ginkaku-ji und dem Kinkaku-ji als prominentesten Beispielen. Bei der Shingon-Schule verblieb der Shisendo allerdings nicht lange, denn 1743 übernahm eine Nonne des Zen-Buddhismus den Tempel. Der Shisendo ist seitdem ein Zen-Tempel, mal von einer Nonne, mal von einem Priester geleitet, und innerhalb des Zen-Buddhismus gehört er zur Soto-Schule (Soutou-shuu). Diese ist eine der drei traditionellen großen Zen-Schulen, neben dem Rinzai-Zen und dem Obaku-Zen, und sie ist mit ca. 14700 Tempeln und 8 Mio. Gläubigen eine der größten buddhistischen Gemeinschaften im Land. Soto ist die japanische Aussprache des chinesischen Namens Caodong, und das setzt sich zusammen aus den ersten Silben der Namen der beiden Gründerväter Caoshan Benji und Dongshan Liangjie. In dieser Schule ist die meditative Praxis besonders wichtig, die Zazen- oder Shikantaza-Meditation. Dieser Übergang zur Soto-shu vollzog sich 1966, als der Shisendo ein Zweigtempel des Eihei-ji wurde, denn der Eihei-ji (Präfektur Fukui) ist einer der beiden Haupttempel dieser Zen-Richtung. Der Tempel wurde zwar 1748 und 1967 restauriert, ist im Kern aber noch original aus der ersten Hälfte des 16. Jh.
Rundgang
und Beschreibung: Weg zu den Gebäuden
Der Zugang erfolgt von Norden her. Ein leicht zu übersehendes
Tor ist das rustikale Vordertor (Omote-mon), das funktional das
Sanmon des Tempels ist: Schlichte, naturnahe Pfosten, bemoostes
Satteldach aus Zedernholzschindeln auf einfachem Sichtgerüst,
seitlich zwei dichte Bambuszäune, die in gleicher Breite wie die
Seitenteile im rechten Winkel nach vorne vorgezogen sind, eine
Steinstele mit dem Tempelnamen in Kanji. Das Tor selbst ist
natürlich groß genug, um aufrecht eintreten zu können, aber in
seiner Zerbrechlichkeit, in seiner im Vergleich zur umliegenden
Vegetation kleine Proportion erinnern eher an einen bewußt klein
gehaltenen Eingang in ein Teehaus. Die Idee ist vielleicht gar
nicht so weit entfernt, denn das eine wie das andere will den
Eintretenden in seiner Wahrnehmung und Haltung manipulieren, zu
Demut und Bescheidenheit, zum Abstreifen von physischem und
mentalem "Gepäck", zum Draußenlassen von allem, was
im metaphysischen Sinne nicht hindurchpaßt, und zur Neugier auf
das Nichtoffensichtliche dahinter. Und durch seine Zartheit in
der Konstruktion erinnert es den Eintretenden an die Fragilität
von Harmonie und Schönheit.
Hinter diesem Tor, das auch Shoyudo (Shouyuudou) genannt wird, führen erst eine beiderseits von einem sehr locker gebundenen grobmaschigen Bambuszaun gesäumte Steintreppe (Ishidan) und dann ein kopfsteingepflasterter Weg (Ishidatami no sando) weiter hoch. Den Weg begleiten ein hoher Bambuswald (Chikurin) und dicht gepflanzte Bäume. Dieser wie ein Tunnel durch das Dickicht führende Weg durch den vorderen Teil des Tempelbezirks vermittelt den Eindruck einer weit größeren Gesamtfläche - daß hier fast ein Drittel des Gesamtgeländes quasi ungenutzt ist, ist ein Luxus für den dann doch ziemlich kompakt angelegten Tempel. Der Grund ist wohl eine bewußte Inszenierung des Überganges von Öffentlichkeit zu Privatheit, deshalb sind es ca. 30 m, die man passieren muß, deshalb sind die Dimensionen des Weges eng, schmal und am Anfang steil, deshalb ist der kieselgepflasterte Mittelteil des Weges noch einmal verengend abgesetzt, und deshalb kann man auch nicht gerade durch den Zuweg hindurchgucken, sondern am Ende knickt der Weg ein bißchen ab, so daß der gerade Blick hinten nur auf die Sicht versperrende Bäume trifft. Auch diese künstliche Enge, die höhere Luftfeuchtigkeit, die Reduzierung des Lichts und optischer Einzelreize, das Wegnehmen des Zieles vor den Augen, all das ist wiederum bewußte Manipulation des Eintretenden: Einerseits wird der Weg in der Wahrnehmung länger, die überbrückte Distanz wird als größer wahrgenommen. Andererseits spürt der Eintretende: Hier nähert man sich einem inneren Raum, der ganz weit der Außenwelt entrückt sein möchte, am Ende des Weges gibt es etwas, das auf gar keinen Fall durch die Profanitäten des äußeren Raumes kompromittiert werden möchte und das durch alle Kunstgriffe seinen privaten Charakter inszeniert.
Am Ende des Weges führt hinter einem dicken Baumstamm eine Steintreppe wenige Meter nach links hoch, dann geht es wieder nach rechts zum zweiten Tor: Dieses Zickzack mit erneutem Geländeversatz ist der Höhepunkt des Zuweges kurz vor seinem Ende, in dem all das, was bisher an Eindrücken sorgsam vorbereitet wurde, kulminiert. Hier endet der Tunnel, hier kommt wieder Licht ins Blickfeld, hier steigt die Spannung auf das Dahinterliegende durch das zweite Tor ins Unermeßliche. Das innere Tor wird Robaikan (Roubaikan) genannt, es ist genauso unprätentiös wie das erste, wieder mit einem kurzen Stück dichten Bambuszaunes auf beiden Seiten, wieder mit einem Dach aus Naturmaterialien auf sichtbarem Gebälk, vielleicht ein klein wenig hübscher. Auch diese Ähnlichkeit der Tore ist Intention: Durch die Doppelung des Eindruckes wird der Zuweg rekursiv, man fühlt sich kurz beim Wiederkehren des optischen Toreindrucks wie im ersten Zyklus einer Endlosschleife. Doch diesmal erfolgt der tatsächliche Übergang in den Shisendo, denn beim Hindurchtreten sieht man erstmals das Ziel vor Augen.
Und hier liegt im halböffentlichen Bereich hinter dem Tor ein erster Trockenlandschaftsgarten, in den richtig Licht hineinflutet. Und das addiert zu dem bisherigen Spiel mit gegensätzlichen Eindrücken wie Weite und Enge, Hell und Dunkel, Nähe und Weite noch Licht und Schatten sowie Feuchtigkeit und Trockenheit. Natürliche Trittsteine führen in S-förmiger Biegung nach links zum Haupteingang. Auch dies ist ein erneuter Kontrast: Vorher der eckige Versatz, hier die geschwungene Kurve, vorher die eckigen Stufensteine dicht an dicht, jetzt die runden Steine mit Lücken dazwischen. Auch das inszeniert den Zuweg weiter, erzeigt wieder eine andere Erlebnisdimension und entrückt wieder einmal spielerisch das Ziel. Ständig muß sich der Eintretende neuen Reizen stellen, bis er endlich ankommt.
Rundgang
und Beschreibung: Gebäude-Komplex
Ehe wir eintreten: Abseits vom
Zugangsweg stehen linkerhand separat noch ein mit
Naturmaterialien gedecktes Gebäude, welches Yakuenken
("Kinderzimmer", der Erbauer war jedoch zeitlebens
Single, also Kinder hatte er nicht) genannt wird, oder auch
Jidou-no-ma, und ein weiteres Gebäude. Hinter dem zweiten Tor
gelangt man zum Hauptkomplex, der eigentlich nur aus zwei
gegeneinander leicht versetzten Blöcken und einem Dachaufsatz
besteht. Nach Durchschreiten des Robaikan fallen besonders die
beiden nierenförmigen Fenster auf, die an Augenpaar mit leicht
gesenktem Oberlid erinnern. Der Haupteingang (Hon Genkan) links
daneben führt in den Shoin (Arbeits- und Studierbereich). Und
ein letztes Mal gilt es eine symbolische Schwelle zu überwinden:
Schuhe aus und rauf auf die erhöhte Ebene des Erdgeschosses, und
mit dem ersten Kontakt der bestrumpften Füße mit den weichen
Tatami-Matten ist der vielstufige Vorgang des Ankommens
vollzogen. Shirakuso (Shirakusou) wird das Studierzimmer genannt;
es handelt sich um den östlichen Raum der Südseite.
Der Shisen no ma = Poesie-Zimmer oder Zimmer der Dichter ist der eigentliche Hauptraum in der Mitte der Südseite. In diesem Raum werden 36 chinesische Dichter mit noch aus der Bauzeit stammenden Portraits vorgestellt. Ausgewählt wurden diese Dichter von Hayashi Razan (1583-1657), einem neo-konfuzianischen Philosophen der Edo-Zeit und Verwaltungsbeamten des Tokugawa-Shogunats. Die Malereien selbst wurden von Kano Tanyu (1602-1674) ausgeführt. Der Maler portraitierte auch den Auftraggeber, Ishikawa Jozan. Dieser schrieb die zugehörigen Gedichte auf, die neben den Portraits den Raum verzieren. Der Dichter Du Fu (712-770, auch: Du Shaolíng oder Du Gongbu), einer der wichtigsten Dichter der chinesischen Tang-Dynastie, ist auf der Nordseite zu finden, 6. Bild von links, rote Robe mit goldenen Ornamenten und schwarzem Saum. Sein Zeitgenosse Li Bai (701-762, auch: Li Po), ebenfalls einer der bedeutendsten lyrischen Dichter Chinas der Tang-Zeit, ist auf der Ostseite portraitiert, 4. Bild von links, weiße Robe mit weißen Ornamenten und rotem Saum. Bai Juyi (772-846, auch: Letian), mit mehr als 2800 erhaltenen Gedichten einer der produktivsten Dichter der Tang-Zeit, Mitglied der Hanlin-Akademie, verbannt, dann wieder als Mandarin eingesetzt, ist auf der Westseite dargestellt, ganz rechts, in grüner Robe mit rotem Saum. Dieser Raum wurde namengebend für den ganzen Tempel, denn Shisen-do ist die Halle der Poesie und der Dichter. Der Shoin öffnet sich nach Osten und nach Süden zum Garten. Neben dem Studierzimmer steht der Brunnen Kokosen (Koukousen).
An der Knickstelle im Grundriß, am Übergang zwischen Shoin und Hondo bzw. zwischen Shisen-no-ma und Butsuma, gibt es ein interessantes Obergeschoß, denn dort befindet sich ein winziger Raum im 1. Stock, der Shogetsu-ro (Shougetsu-rou) = Shogetsu-Turm (kein Zugang für Besucher). Östlich dieses auf ein einziges Zimmer limitierten, für die Mondbeobachtung vorgesehenen Obergeschosses, das nach Süden ein rechteckiges Schiebefenster und nach Osten ein rundes Fenster mit Klappladen besitzt, hat die Dachlandschaft, die ansonsten von dunkelgrauen Ziegeln dominiert wird, einen Einsatz aus pflanzlicher Dachdeckung.
Das Südwesteck bildet die Haupthalle (Hondo), auch Buddha-Zimmer (Butsuma) genannt. Der Raum davor ganz im Süden wird Halle (Hiroma) genannt. Die großflächigen Öffnungen nach Süden erlauben einen phantastischen Blick auf den oberen Garten. Ein hübsches Wasserbecken aus einer Art Tuff mit blasenartigen Mulden lenkt an der Westseite der Südveranda der Haupthalle den Blick auf sich (also ganz, ganz rechts beim Blick hinaus auf den Garten). Beim zweiten Blick stellt man fest: Erstens hat das Becken keinen Frischwasserzulauf, nur ein Rest Regenwasser steht darin, und zweitens fehlt die übliche Schöpfkelle, obwohl zwei zusammengebundene Bambusstäbe als Ablage vorhanden sind. Ein großer Sazanka-Baum zur Rechten wirft Schatten. Hier ist ein wundervoller Bereich zum Niedersetzen (Za-shiki, Sitz-Bereich) und Genießen. Wie ein Bilderrahmen umgeben Stützpfosten, Dachüberhang und Verandaplanken das Sichtfeld. Hier ist man am Ziel der Reise, hier gibt es nur eine kollektive Beschäftigung: Hinsetzen und den atemberaubenden Ausblick genießen, Zeit anhalten, alles Profane draußen vergessen, vielleicht noch eine Tasse Tee trinken.
Rundgang
und Beschreibung: der Garten
Das Grandiose an dem Garten
ist der Aufbau: Vor dem Betrachter liegt eine Ebene aus feinem
weißen Kies (Shirasu no niwa = shiro = weiß, suna = Sand, Kies,
no = Genitivpartikel, niwa = Garten, also "Garten aus
weißem Sand"), der von Azaleenbüschen (Tsutsuji und
Satsuki) abgeschlossen wird. Die sind schon zusammengewachsen,
werden zwar kugelig geschnitten, wo möglich, bilden aber auch
geschlossene Kissen aus mehreren Pflanzen. Zwischen den Kissen
steht eine kleine steinerne Pagode. Dahinter geht es wie nach
einer Terrasse einer Ebene tiefer, was man aber nicht sieht. Mit
Abstand erhebt sich hinter dem "Graben" das Halbrund
des ansteigenden Hangwaldes mit höhengestaffelten Bäumen. Man
wird wie in einem römischen Theater von den ansteigenden Rängen
umgeben, vor einem liegt die Bühne, doch dahinter ist der
Graben, was eine optische Tiefe erzeugt, die viel mehr Raum
vorgaukelt als tatsächlich vorhanden ist. Bei näherem Hinsehen
besteht ein Großteil der "Rückwand" des Gartenkessels
aus Wald jenseits der gestalteten Zone, eine geschickte optische
Vergrößerung. Genau das ist das Prinzip der "geborgten
Landschaft" (Shakkei): Vergrößerung des tatsächlichen
Raumes und Schaffung räumlicher Tiefe durch Integration
sichtbarer Landschaft und Landmarken.
Von der Veranda aus links, an der östlichen Seite des Kies-Azaleen-Gartens, kann man den Weg über die zwischen den Azaleenbüschen hindurch führenden Steinstufen (Ishidan) in die tieferen Ebenen des Gartens herab nehmen (Leih-Schlappen stehen zur Verfügung). Und da gibt es weit mehr, als man von oben ahnt, in mehreren, zum Bachtal hin gestaffelten Ebenen. Durch diese gestalterischen Kniffe wirkt der Garten durch seine Vielseitigkeit größer, als er wirklich ist. Die Vielseitigkeit ergibt sich durch die Kombination von Ahorn- und Moosgarten (allerunterste Ebene), Teichgarten, Wandelgarten, Trockenlandschaftsgarten (oberste Ebene) und Bambuswald (entlang des Sando). Auch ein Teehaus (Chashitsu "Zangetsuken") ist vorhanden. Links (westlich) von diesem befindet sich der Juppomyoho-kaku (Juppoumyouhou-kaku).
Die tiefere Ebene des hier unerwartet weitläufigen Gartens heißt Hyakkano (Hyakkanou), zusammengezogen aus Hyaku-hana-no-teien (hyaku = hundert, hana = Blume, no = Genitivpartikel, teien = Garten, also "Garten der Hundert-Blumen"), weil hier angeblich so viele verschiedene Sorten von Blumen zu finden sind. Im Garten gibt es einen Teich namens "Ryuyohaku" (Ryuuyouhaku), der vom östlich gelegenen Wasserfall Senmobaku (Senmoubaku) gespeist wird. Im Teich leben Karpfen, die sich unter einem kleinen Schutzhäuschen verstecken können. Eine Spezialität ist eine weiße Wisteria. Zu fast jeder Jahreszeit ist irgend etwas in Blüte, ganz früh die Wabisuke-Kamelien, dann die Pflaumen, dann die Kirschen, dann die Azaleen etc.
Im Garten befindet sich direkt nach der ersten Treppe im Garten links ein Shishi-odoshi, auch Shika-odoshi (Hirschscheuche) oder Sozu (Souzu) genannt, das sich durch das Klackern alle paar Minuten bemerkbar macht. Das ist ein beweglich wie eine Wippe aufgehängtes Rohr aus Bambus, vorne offen und zugespitzt und hinten stumpf und geschlossen. Von oben läuft solange Wasser in die vordere Öffnung, bis das Rohr, das nicht bis ganz hinten gefüllt werden kann, Übergewicht bekommt und nach unten umklappt. Das Wasser ergießt sich in ein Becken darunter, und das nun erleichterte Rohr schwingt in seine Ausgangsstellung zurück, wobei das Hinterteil auf einen Stein klackert - Tock! Damit hatte man früher Wild aus den Gärten fernhalten wollen, heute ist es ein typisches akustisches Gestaltungselement japanischer Gärten, so wie Wasserharfen etc. Hinter der Beliebtheit in Zen-Gärten steckt auch ein philosophischer Umgang mit der Stille: Stille an sich wird besser erfahren, wenn man immer wieder die Übergänge zur Stille erlebbar macht, nicht die Stille an sich ist wahre Stille, sondern die Stille in Bewegung, im Übergang.
äußeres, erstes Tor
Steinstufen auf dem Zuweg
zweites, inneres Tor
dito
Haupteingang in die Gebäude
Gebäudekomplex von Nordnordwesten gesehen, Dachaufsatz
Blick vom Hondo auf den Shoin-Teil
Ausblick von der Veranda des Hondo
Blick vom Hondo zum Shoin
Blick von der Veranda des Hondo nach rechts
Blick vom Shoin in Richtung Hondo
Dachaufsatz: Mondbetrachtungszimmer
Haupthalle
Mondbeobachtungszimmer mit vollmondförmigem Fenster auf der Ostseite
zentraler Dachbereich: pflanzliches Material als Einsatz
Hondo mit Mondbetrachtungszimmer oben
Shishi-odoshi
Teeraum im unteren Gartenbereich
Steinstufen führen vom oberen in den mittleren Gartenbereich
Ahornbäume (Kaede)
unterer Gartenbereich
unterer Gartenbereich
unterer Gartenbereich
unterer Gartenbereich
oberer Gartenbereich ganz im Westen
Abb. rechts: Wasserfall
Literatur,
Links und Quellen:
Position auf Google Maps:
https://www.google.de/maps/@35.0437709,135.7964853,19.71z - https://www.google.de/maps/@35.0436714,135.7961224,44m/data=!3m1!1e3
eigene Webseite des Tempels: https://kyoto-shisendo.net/
bei Kyotofukoh: https://kyotofukoh.jp/report197.html
auf Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Shisen-d%C5%8D
auf Japan Kyoto: https://japan-kyoto.de/shisendo-tempel-kyoto/
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Shisendo bei Asano Noboru: http://kyoto.asanoxn.com/places/shisendo_etc/shisendo.htm
Shisendo auf Tale of Genji: http://www.taleofgenji.org/shisendo.html
Shisendo auf Inside Kyoto: https://www.insidekyoto.com/shisen-do-temple-northern-higashiyama
Shisendo auf Kyoto Travel: https://kyoto.travel/de/shrine_temple/146
Shisendo bei Damien Douxchamps: https://damien.douxchamps.net/photo/japan/kyoto/hieizan/shisendo/
Shisendo auf Japan Travel: https://www.japan.travel/en/spot/1159/
Shisendo auf Japan Visitor: https://www.japanvisitor.com/japan-temples-shrines/shisendo
Shisendo auf Japan Hoppers: https://www.japanhoppers.com/de/kansai/kyoto/kanko/547/
Shisendo auf Japan Travel: https://en.japantravel.com/kyoto/shisendo-temple/6777
Shisendo auf Travel around Japan:
http://www.travel-around-japan.com/k62-52-shisendo.html
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Judith Clancy, Ben Simmons: Kyoto - City of Zen, 144 S., Verlag
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ISBN-13: 978-4805310915, S. 162-165
Judith Clancy, Ben Simmons: Kyoto Gardens - Masterworks of the
Japanese Gardener's Art, 144 S., Verlag: Tuttle Shokai Inc. 2015,
ISBN-10: 4805313218, ISBN-13: 978-4805313213, S. 56-59
Ian Littlewood, Ayumi Oe Littlewood: Kyoto Without Crowds, A
Guide to the City's Most Peaceful Temples and Gardens, 264 S.,
CreateSpace Independent Publishing Platform, 1. Auflage 2018,
ISBN-10: 1978158998, ISBN-13: 978-1978158993, S. 80-83
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