Bernhard Peter
Kyoto, Raigo-in (Ohara)


Lage und Erreichbarkeit
Der Raigo-in ist einer der kleineren Tempel im Dorf Ohara am Nordrand von Kyoto, das noch zum Stadtbezirk Sakyo gerechnet wird (Adresse: 537 Ohara Raigoin-cho, Sakyo-ku, Kyoto-shi, Kyoto-fu). Er liegt ganz im Osten, danach gibt es weiter nordöstlich nur noch den Wasserfall zu sehen. Das Dorf ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur per Bus erreichbar. Von der örtlichen Bushaltestelle, die wenige Schritte südlich der Brücke über den Takano-Fluß liegt, kurz vor der Ampel und der Einmündung einer größeren Straße von Osten, sind es ca. 20 min. Fußweg zum Tempel. Zu den Anreisemöglichkeiten per Bahn und Bus siehe beim Sanzen-in. Man folgt der im Kapitel zum Sanzen-in gegebenen Wegbeschreibung bis zur dreifachen Weggabelung. Links die Treppe hoch geht es zum Sanzen-in, rechts, den Bach überquerend, zum Shusse Inari jinja, geradeaus weiter am Bach entlang zum Raigo-in. Diesem Weg folgt man, am Konjiki Fudo-do und am Kannon-do des Sanzen-in vorbei. Man passiert dabei mehrere südliche Zugänge zum Sanzen-in, eingebettet in die bemoosten Außenmauern. Der Weg schwenkt an einer Gabelung (nicht links abbiegen!) kurz nach rechts auf die andere Seite des Baches Ro-gawa, um kurz vor dem Tempeltor wieder auf die Nordseite überzuwechseln. Kurz davor sieht man auf der Nordseite des Baches bereits ein Tempeltor in freierer Lage, das passiert man und nimmt das nächste, richtige.

Von den Tempeln im ländlichen Ohara ist der Sanzen-in der Publikums-Magnet, zum weiter im Tal und höher gelegenen Raigo-in hin wird es ruhiger. Viele Touristen sind mit dem Sanzen-in zufrieden, oder sie lassen sich von einer vermuteten Kletterpartie durch unwegsamen Wald abschrecken, was mitnichten der Realität entspricht - es sind nur ein paar Minuten Fußweg. Von allen Tempeln liegt dieser hier am weitesten von Bushaltestelle und Läden weg, tief im Wald, deshalb ist er der ruhigste von allen. Wer sich auf den Weg macht, wird mit mehreren wertvollen und alten Figuren belohnt, bestens in gutem Licht zu betrachten. Diese Figuren in landschaftlich wilder Gegend ungestört betrachten zu können, erscheint im Vergleich zu anderen Tempeln wie ein Privileg. An einem September-Tag mit strömendem Regen hatte ich den Tempel ganz für mich alleine. Der Tempel ist jedoch für sein Herbstlaub berühmt, ab Mitte November wird es hier wegen der kleinen Grundfläche voller mit Besuchern, und das dauert mit in den frühen Dezember an. Den Rest des Jahres ist es hier sehr friedlich bis einsam.


Geschichte und Bedeutung
Der Raigo-in gehört zur Tendai-Richtung des Buddhismus. Der Name bedeutet "Tempel von Amidas Willkommen". Hier wird die gesangartige Rezitation gepflegt, die Shomyo genannt wird, und wie auch der Shorin-in diente der Raigo-in lange Zeit als Trainingsstätte (Dojo, Doujou) für diesen Ritualgesang. Die Gründung einer solchen Tendai-Shomyo-Trainingshalle wird in der frühen Heian-Zeit angenommen, unter Ennin (Jikaku Daishi, drittes Oberhaupt der Tendai-Schule, 793/4-864). Ennin hatte diese Technik von seiner China-Reise mitgebracht und ließ sie hier einüben. Auch heute noch lebt diese Tradition: Sonntags um 13.00 Uhr findet in der Haupthalle Shomyo-Gesang statt; der westliche Zuhörer wird sich ein bißchen an gregorianische Gesänge erinnert fühlen. Dieser Ritualgesang wird als Ursprung japanischer Musik betrachtet.

Übrigens wird die Gegend in Ohara, wo dieser Tempel und andere liegen, Gyozan genannt. Das ist der Name des Berges in China, wo Ennin auf seiner Reise lebte und neue Techniken lernte. Dieser wird zwar Berg Yu genannt und liegt in Ahandong, aber das ist die übliche verschiedene Lesung derselben Zeichen. Den Namen übertrug Ennin auf den Ort im Norden Kyotos. Entsprechend ist der Shomyo-Gesang als Gyozan-Stil bekannt.

Noch in der Heian-Zeit wurde der Raigo-in unter Ryonin, dem Gründer der Yuzu-Nenbutsu-Schule (eine Form des Amidismus), im Jahre 1109 wiederhergestellt (sein Grab liegt auf dem Gelände). Damals hatte der Tempel viel mehr Gebäude als heute, und er wurde Sanzon-in genannt. 1426/1429 brannten die meisten Gebäude ab. In der Muromachi-Zeit wurde das Hauptgebäude im Jahre 1533 erneuert, das existiert noch heute. Die Militärregierung (Bakufu) der Edo-Zeit gab dem Tempel eine Handelslizenz (Shuin-jo), eine sog. Rotsiegel-Lizenz, mit der Seehandel betrieben werden konnte, für den das Monopol bei der Regierung lag.

Das Hauptkultbild des Tempels ist ein Yakushi Nyorai (heilender Buddha, Medizin-Buddha, Bhaisajyaguru). Entsprechend trägt der Pilgerstempel (Goshuin) auch den Wortlaut "Yakushi Nyorai" als Sumigaki (schwarze Tintenschrift). Daneben werden in der Haupthalle die Bilder von Shaka Nyorai (historischer Buddha Shakyamuni, Gautama Buddha) und Amida Nyorai (Amida-Buddha, Amitabha) verehrt. Die drei genannten Statuen sind als national wichtige Kulturgüter eingestuft.

Zu den Tempelschätzen gehört ein Buch über Dengyo Daishi aus der frühen Heian-Zeit. Es ist als Nationalschatz eingestuft und wird im Nationalmuseum in Tokyo aufbewahrt. Ebenfalls als Nationalschatz bewertet werden der 2. und der 3. Band des Werkes "Nippon Reiiki", die ältesten existierenden Bücher über die Geschichte des Buddhismus in Japan. Sie werden im Nationalmuseum Kyoto aufbewahrt. Zu den wichtigen Kulturgütern werden etliche Briefe, Bücher und Dokumente gezählt, die im Speichergebäude Nyorai-zo gelagert werden. Es handelt sich um theoretische Bücher über den Buddhismus zur Heian-Zeit und über die Praxis des Shomyo. Dort wird auch die Abschrift eines buddhistischen Textes aufbewahrt, die von Ryonin selbst stammt.


Rundgang und Beschreibung:
Die Gebäude des Raigo-in bilden eine lockere Baugruppe, z. T. unter hohen Bäumen zu finden. Kurz nach Überqueren des Ro-gawa führen Steinstufen hoch zum Eingangstor, dem San-mon, schlicht mit Satteldach und in eine beiderseits anschließende Bruchsteinmauer eingebettet. Hinter diesem Tor gelangt man geradewegs zum Kaikan, in dem sich das Tempelbüro befindet. Dieser Bau entstand erst 1981 aus Anlaß des 850sten Todestages von Ryonin. Sonntags findet hier Sutra-Kopieren statt. Dahinter geht es im Wald steil nach oben auf die nächsthöhere Ebene. Weiter nach Osten abgesetzt steht erhöht der Glockenturm (Shoro) bachnah im Süden des Ensembles, ein schlichtes, vierbeiniges und allseits offenes Gestell mit Satteldach auf einer Steinplattform. Interessanter als der von Fujiwara Kokuketsu erbaute Glockenstuhl ist die Glocke (Bonsho) selbst, denn sie wurde 1435 gegossen und stammt ebenfalls noch aus der Muromachi-Zeit. Ganz am entgegengesetzten Nordufer des Ritsu-gawa steht das verschlossen wirkende Gebäude Nyorai-zo, ein Aufbewahrungsort für Buddha-Figuren (wörtlich: "Buddha-Speicher").

Zwischen diesen beiden Kleinbauwerken befindet sich in der Mitte die Haupthalle (Hondo), die im Laufe ihrer Geschichte mehrfach abbrannte und ebenso oft wiederaufgebaut wurde. Die gegenwärtige Haupthalle stammt aus der späten Muromachi-Zeit (1333-1573) und wurde 1533 errichtet. Es ist das einzige aus alter Zeit erhaltene Gebäude der Anlage. An den äußeren Wänden sind Pilger-Klebezettelchen zu finden. Im Innern werden im Naijin (inneres Heiligtum) mit erhöhter, mit Engeln aus der Paradiesdarstellung ("Reines Land") bemalter Decke die Kultbilder Yakushi Nyorai (Honzon, Hauptbild), Shaka Nyorai (der historische Gautama Buddha, vom Betrachter aus gesehen rechts) und Amida Nyorai (vom Betrachter aus gesehen links) verehrt. Die drei Aureolen laufen oben spitz zu und sind mit der Spitze leicht nach vorne gebogen. Alle drei Figuren sind als wichtige Kulturgüter klassifiziert. Sie sind aus lackiertem Holz und stammen aus der Fujiwara-Zeit (894-1185). Die drei Figuren sind von hoher Eleganz und Schönheit. Weitere Figuren sind rechts Tamonten (Tamonten-ritsu-zo, mit Pagode auf der erhobenen rechten Hand und Dreizack in der gesenkten Linken, hinter dem Kopf ein Rad) und links Fudo (Fudo-myo-o-ryu-zo, mit Schwert und Flammenkranz). Diese beiden Wakiji (Wächtergottheiten) stammen aus der späten Fujiwara-Zeit. Man kann die Halle zwar nicht betreten, aber durch die große Öffnung auf der Vorderseite die wunderschönen Statuen genießen. Während ringsum der tiefe Wald in Feuchtigkeit und Regen versinkt, erscheinen die hellgelbgolden leuchtenden Figuren im Inneren wie eine Offenbarung der Geborgenheit und Wärme, und man reibt sich erstaunt die Augen, wie man in dieser Einsamkeit so eine wunderbare Stimmung und Figuren dieser Qualität finden kann. Die mit der Gründung bzw. Wiederbegründung des Tempels in Zusammenhang stehenden Mönche Ennin (Jikaku Daishi) und Ryonin (Sho-o Daishi) sind ebenfalls als hölzerne Figuren vertreten; sie befinden sich in sitzender Stellung im Hidari Wakidan des Gejin (äußeres Heiligtum), wo auch Gemälde von Gensan Daishi zu finden sind. Alle datieren aus der Kamakura-Zeit. Im Migi Wakidan erinnern Memorialtafeln an die Tokugawa-Regierung; denn der Raigo-in wurde von ihr besonders gefördert und bekam von ihr Land zugeteilt.

Im Südosten der Haupthalle befinden sich etwas erhöht im Wald zwei weitere, über eine kleine Treppe zu erreichende Attraktionen, ein kleiner Schrein (Chinju-do) für eine Lokalgottheit des Tempelgeländes (Wächtergott) mit Grabstelle daneben und eine Sammlung steinerner kleiner Jizo-Stelen (insgesamt 22 Stück) im Jizo-do, der Halle zur Verehrung des Jizo Bosatsu. Ein weiteres weiß gestrichenes Lagerhaus im Hintergrund des Waldes wird Shuzo-ko genannt.

Wenn man den nördlichen Bach Ritsu-gawa auf einer Brücke überquert, kommt man über ein paar Steinstufen (Ishidan) zum Ryonin-Grab (Sho-o-daishi-ryonin shonin gobyo), das als wichtiges Kulturgut eingestuft ist (Gobyo = Mausoleum). Eine kleine Treppe führt zu der steinernen, zaunartigen Einfassung mit Doppelflügeltür, hinter der eine dreistöckige Steinpagode (Seki-to) aus der Kamakura-Zeit (1192-1333) steht. Ryonin Shonin (Ryounin Shounin, 1072-1132) war ein Tendai-Priester auf dem Berg Hiei. Im Alter von nur 23 Jahren Jahren zog er sich in diesen Tempel in Ohara zurück und revitalisierte ihn wieder. Außerdem baute er den Subtempel Jorenge-in (Tempel der reinen Lotusblüte). Er erlangte die Wertschätzung des Kaisers Shirakawa, der sich von ihm den Kopf scheren ließ, um selber Mönch zu werden. Ryonin praktizierte die Anrufung des Amida Buddha (Nembutsu) und gründete im Jahre 1117 (Eikyu 5) die erste Schule des Amida-Buddhismus, die Yuzu-nembutsu-shu. Durch ständige Rezitation von "Namu Amida Butsu", wie es zuerst von Honen propagiert wurde, wird nach der Vorstellung von Ryonin nicht nur das Individuum gerettet, sondern für die ganze Welt gebetet. Nach seinem Tod erhielt er den Namen Sho-o Daishi (Shou-ou Daishi).


Kaikan

Aufstieg zur höheren Ebene

Glockenturm (Shoro)

Haupthalle (Hondo)

Haupthalle (Hondo)

Glockenturm (Shoro)

Chinju-do in der Mitte, Jizo-do links

Vorderfront der Haupthalle (Hondo)

Ema mit Fudo-Myo-o als Motiv, der Figur im Innern der Haupthalle entsprechend

Haupthalle (Hondo)

Jizo-do

Haupthalle (Hondo)

Ishidan zum Ryonin-Grab

Ryonin-Grab (Sho-o-daishi-ryonin shonin gobyo)

 

Abb. links: Seki-to aus der Kamakura-Zeit für Ryonin Shonin (1072-1132). Abb. rechts: Pilger-Klebezettelchen.

Haupthalle (Hondo)

Haupthalle (Hondo)

Nyorai-zo und Shuzo-ko


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@35.1186918,135.8369196,19.66z - https://www.google.de/maps/@35.1186918,135.8369196,137m/data=!3m1!1e3
Raigo-in auf Japan Travel Manual:
http://jpmanual.com/en/raigoin
Raigo-in auf Kyotofukoh:
https://kyotofukoh.jp/report133.html
Busfahrplan ab Kokusaikaikan:
http://www.kyotobus.jp/route/timetable/pdf/kokusaikaikanekimae_03.pdf - ab Demachiyanagi http://www.kyotobus.jp/route/timetable/pdf/demachiyanagiekimae_02.pdf - ab Kawaramachi: http://www.kyotobus.jp/route/timetable/pdf/shijokawaramachi_01.pdf - ab Kyoto eki mae: http://www.kyotobus.jp/route/timetable/pdf/kyotoekimae_01.pdf
Ohara:
https://kyotofukoh.jp/report137.html
Ohara auf traditional Kyoto:
https://traditionalkyoto.com/traditional-areas/ohara/
auf Kanpai:
https://www.kanpai.fr/kyoto/ohara
auf Tale of Genji:
http://www.taleofgenji.org/raigo-in.html
Ohara auf Japan Guide:
https://www.japan-guide.com/e/e3932.html
auf Discover Kyoto:
https://www.discoverkyoto.com/places-go/ohara/raigo-in/
Ohara:
https://www.discoverkyoto.com/places-go/ohara/
Marinus Willem de Visser: Ancient Buddhism in Japan, Brill, 1928, S. 337 -
https://books.google.de/books?id=zbkUAAAAIAAJ
John H. Martin, Phyllis G. Martin: Kyoto - 29 Walks in Japan's Ancient Capital, 376 S., Verlag: Tuttle Pub. 2011, ISBN-10: 4805309180, ISBN-13: 978-4805309186, S. 305-306
Judith Clancy, Ben Simmons: Kyoto - City of Zen, 144 S., Verlag Tuttle Shokai Inc. 2012, ISBN-10: 4805309784, ISBN-13: 978-4805309780, S. 90-91
Ian Littlewood, Ayumi Oe Littlewood: Kyoto Without Crowds, A Guide to the City's Most Peaceful Temples and Gardens, 264 S., CreateSpace Independent Publishing Platform, 1. Auflage 2018, ISBN-10: 1978158998, ISBN-13: 978-1978158993, S. 223-224
Informationstafel der Stadt Kyoto am Tempeleingang
Besucherfaltblatt des Tempels


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