Bernhard Peter
Kyoto: Ryuhon-ji


Lage und Erreichbarkeit, Touristisches
Der Tempel Ryuhon-ji liegt im Stadtbezirk Kamigyo ca. 2 km westlich des Kaiserpalastes und 1,2 km nordwestlich der Nordwestecke des Nijo-jo (Adresse: 107 Ichibancho, Kamigyo-ku, Kyoto-shi, Kyoto-fu). Im Osten wird die Parzelle des Tempels von der Straße Shichihonmatsu Dori begrenzt; der Hauptzugang liegt an der südlichen Schmalseite. Wer mit der Eisenbahn anreist, kann entweder mit der JR Sanin Main Line zum Bahnhof JR Enmachi fahren; von dort sind es 1,6 km zu Fuß. Besser nimmt man an der Hauptstraße östlich des Bahnhofs an der Haltstelle Nishinokyo Encho / JR Enmachi Eki den Bus Nr. 203 und fährt 4 Haltestellen bis zum Stop Kitanotenmangumae, dann sind es noch 600 m zu Fuß. Die Linie 204 und die Buslinie 202 von derselben Starthaltestelle bringen weniger, nach nur zwei Stationen steigt man an Marutamachi Shichihonmatsu aus und muß noch 750 m nordwärts laufen. Umständlich bleibt es trotzdem. Alternativ fährt man mit der Keifuku Electric Railroad Kitano Line bis zum östlichen Endbahnhof Kitano Hakubaicho, von dort ist es 1,0 km zu Fuß. An Bussen kann man ab Bahnhof die 203, die 50 und die 51 nehmen bis zur Haltestelle Kitanotenmangumae, aber das spart nur 250 m.

Die beste Anreiseoption ist es, mit der Sanin Main Line zum Bahnhof JR Nijo zu fahren und dort an der Haltestelle Nijo Ekimae den Bus 206 nach Norden die Senbon Dori entlang zu nehmen bis zur Haltestelle an der Kreuzung Nakadachiuri Dori, dann sind es nur 350 m zu Fuß bis zum Tempel. Die 206 kann man natürlich auch schon am Hauptbahnhof Kyoto besteigen, das dauert nur länger insgesamt. Wer mit der U-Bahn anreist, steigt an der Station Imadegawa aus und nimmt den Bus 201 bis zur vorgenannten Kreuzung, Restweg 350 m zu Fuß.

Wenn man den Tempel im Kontext besuchen möchte, kann man ihn gut mit den beiden Schreinen Hirano Jinja und Kitano Tenmangu kombinieren (Bushaltestelle Kitanotenmangu-mae). Von letzterem ist es ein Fußweg von einer guten Viertelstunde nach Südosten.

Es gibt also viele Wege, alle führen zu einem untouristischen Ziel: Von den Nichiren-Tempeln in Kyoto sind sowieso nur wenige für Touristen zugänglich; dieses ist einer davon. Auf angenehme Art, man wird zugelassen zum Schauen und kann dort zwischen den Kirschbäumen auf Entdeckungstour gehen, aber der Ryuhon-ji positioniert sich nicht als touristischer Tempel. Garten und Hallen sind nur wenige Wochen im Jahr saisonal innen geöffnet, ansonsten hat man freien Zugang zum Gelände und kann sich alles von außen ansehen. Bereits vor dem Eingang steht eine Kirsche der Sorte Someiyoshino. Das Vorfeld der Haupthalle ist mit ca. 40 Kirschbäumen bepflanzt, so daß dieser wenig besuchte Tempel eine gute Gelegenheit zum Genießen der Sakura-Blüte ist, wenn die bekannteren Stellen überlaufen sind.

Außerhalb der Saison macht der Tempel sogar einen verlassenen Eindruck. Beim Besuch 2023 addierten sich die Symptome zu dem Eindruck, daß es dem Tempel nicht gut geht: Keine Menschenseele zu sehen, fehlende Glocke am Glockenstuhl, so viel wie möglich vom Gelände verkauft und anderweitig bebaut, die modernen Bauten rücken bis auf Haaresbreite an den leeren Glockenturm heran, und eine Halle wird mühsam seitlich gestützt wegen Stabilitätsproblemen, alle Hallen verschlossen. Dennoch ist die Haupthalle auch von außen wunderschön und sehenswert.


Geschichte und Bedeutung
Der Tempel Ryuhon-ji wurde 1321 von Nichizo Shonin (Nichizou Shounin, 1269-1342) gegründet. Der Tempel brannte seit seiner Gründung mehrfach ab, zuletzt im großen Hoei-Feuer am 28.4.1708, und wurde immer wieder neu aufgebaut, wobei aber auch die Stelle gewechselt wurde, so daß sich die heutigen Gebäude nicht am Ort der ersten Gründung befinden. Der Garten wurde um 1850 angelegt. Früher besaß der Tempel Land mit einer Gesamtfläche von ca. 33 Quadratkilometern. Doch nach der Meiji-Zeit und der Repression buddhistischer Tempel ist davon nicht viel übriggeblieben, und ringsum rückt die moderne städtische Bebauung dem Tempel auf die Pelle.

Der Ryuhon-ji ist ein Haupttempel einer eigenen buddhistischen Lehrrichtung, des Nichiren-Buddhismus (auch: Hokke-shu, Lotus-Schule). Der Gründer der Schule war Nichiren (1222-1282, wörtlich "Sonnen-Lotus"), ein ursprünglich im Tendai-Buddhismus beheimateter Reformer, der sehr stark auf der Lotus-Sutra fokussierte und darin den Kern der buddhistischen Lehre sah. Er sah sich zeitlebens weiterhin als Tendai-Priester, nur als besonders konsequenten, nicht als Abspalter und Gründer einer neuen Lehre. Aber genau wie die anderen Gründer jener Zeit, Honen und Shinran, schwamm er gegen den Strom des damaligen Zeitgeistes und polarisierte mit seinen Ideen. Tatsächlich vereinfachte er die Lehre dahingehend, daß das bloße Rezitieren von "namu myoho renge kyo", also die Anrufung der Lotus-Sutra mit ihrem Titel, ausreichend sei, um das Heil dieser Sutra zu erfahren. Dieses gedankliche Modell erinnert an den Amidismus der Jodo-shu, aber beim Nichiren-Buddhismus steht nicht Amida im Zentrum des Kults, sondern die Lotus-Sutra und der historische Buddha, Shaka Nyorai. Eine zweite Parallele zur Jodo-shu ist die auch im Nichiren-Buddhismus gepflegte Vorstellung von der Existenz eines Reinen Landes (Ryozen Jodo) als Vorstufe zum Nirvana. Eine dritte Parallele ist die hinter allem stehende Mappo-Idee, also die Interpretation als Dasein in der Verfallszeit der buddhistischen Lehre, in der die reine Lehre Buddhas sowieso nicht mehr verstanden wird, was zu dieser Vereinfachung führt und die Reduzierung auf die Formel "Anrufung führt direkt zu Heil" legitimiert.

Als Zeitpunkt der eigentlichen Deklaration seiner neuen Lehre gilt das Jahr 1253, und seitdem wählte der ehemalige Zennichimaro (Kinder-Name), der ehemalige Zeshou-bou Renchou (Priester-Name) den neuen Namen Nichiren. Er legte sich mit seinen Lehren mit der Staatsgewalt an und wurde aufgrund seiner Einmischung in politische Angelegenheiten für drei Jahre auf die Insel Sado verbannt. Seit 1274 lebte er auf dem Berg Minobu in selbstgewählter Einsamkeit. Durch seine Schriften formte er die Lehre, die von seinen Schülern in zwei Hauptrichtungen, Nichiren-shu und Nichiren-Shoshu, weitergeführt wurde. Diese Schüler, allen voran  Nisshou, Nichirou, Nikkou, Nikou, Nichiji, und Nitchou, waren es, die eigene Schulen gründeten, was ihr Meister sein Leben lang unterlassen hatte. Daraus entwickelten sich bis heute ca. 40 verschiedene Richtungen. Der Gründer des Ryuhon-ji, Nichizo, gehörte nicht zu den vorerwähnten sechs auserwählten Schülern, sondern zu einer Gruppe von neun auserwählten Schülern des Nichiro (Nichirou, 1245-1320, lebte im Tempel Ikegami Honmon-ji), steht also in der nächsten Generation der Schüler.

Insgesamt gibt es 16 Nichiren-Haupttempel in Kyoto. Der Ryuhon-ji bildet zusammen mit dem Myoken-ji (1,8 km im Nordosten gelegen) und dem Myokaku-ji (150 m von letzterem nach Nordnordwest, berühmtes Eingangstor) eine Triade, genannt Sangusokuzan, die drei Gusoku-zan, die "drei Tempel (= "Berge") des Nichizo", die alle von ihm gegründet wurden.

Zwei der Gebäude, der Glockenturm und der Shoin, sind als materielles Kulturgut von Kyoto eingestuft. Einige der Tempelschätze gelten als wichtiges Kulturgut des Staates.


Rundgang und Beschreibung
Der Zugang liegt in der Südostecke an der Shichihonmatsu Dori; dort steht das San-mon bzw. So-mon (Sou-mon); vom Typ her ist es ein Korai-mon mit zwei rücklings anstoßenden kleinen Dächern über dem Torflügelanschlag. Der Weg führt erst nach Westen in Richtung Glockenturm (Shoro, materielles Kulturgut von Kyoto), welcher das südlichste Gebäude des Tempels ist und mittig an der südlichen Schmalseite der Parzelle steht. Zur Straße hin ist der Tempelbereich durch eine moderne Mauer mit paarweise angeordneten Sichtschlitzen abgetrennt. Westlich des Glockenturms ist vor kurzer Zeit ein vierstöckiges Wohngebäude entstanden, das ersteren optisch erschlägt, ein weiteres Kapitel der Umwandlung von Tempelgrund in Baugrund. Das bis dahin am westlichen Rand befindliche Schatzhaus (Hozo, Houzou) mit Pyramidendach mußte dem Neubau weichen. Der Weg knickt schräg ab in Richtung Nordwesten, und rechterhand steht als erstes Gebäude die Halle Myoken-do (Myouken-do), in dem Myoken Bosatsu (eine Vergöttlichung des Polarsterns, Sanskrit: Sudrsti) verehrt wird, ein im Nichiren-Buddhismus sehr wichtiger Bodhisattva.

Zwei zweistöckige Gebäude stehen dahinter einander gegenüber, im Osten die Halle Setsu-do (Kishimojin-do, Kishimojin ist ursprünglich eine Dämonin oder Mutter von Dämonenkindern, später wurde daraus eine Göttin der Zeugung und der leichten Geburt) und im Westen die Halle Soshi-do (die Gründerhalle, Nichiren gewidmet), die von der kleinen Stichstraße nur durch eine Wellblechwand abgetrennt ist. Hier knickt der gepflasterte Hauptweg nun nach Norden ab und führt geradewegs über den großen Vorplatz zur Haupthalle (Hondo). In der Haupthalle wird Shaka Nyorai verehrt, der historische Buddha. Mitten auf dem Weg steht vor dem Hondo ein Wasserbecken in Form einer halbgeöffneten Lotusblüte. In diesem Tempel ist die Haupthalle baulich bedeutungsvoller inszeniert als die Gründerhalle: Die Haupthalle ist größer und steht in der Süd-Nord-Hauptachse, während die Gründerhalle kleiner dimensioniert ist und seitlich steht. In späteren Konzepten von Nichiren-Tempeln wird die Gründerhalle wichtiger (z. B. im Myokaku-ji (Myoukaku-ji)) und übernimmt schließlich die Funktion der Haupthalle (z. B. im Myoken-ji der gegenwärtigen Form und im Yobo-ji (Youbou-ji)).

Vom Hondo aus führt ein gedeckter Korridor nach Norden, eine Quermauer kreuzend, zum großen Shoin bzw. Kyakuden (materielles Kulturgut von Kyoto), und ganz im Nordosten befindet sich der Küchentrakt (Kuri). Hier wird die Anlage auf drei Seiten von Wohnbebauung eingefaßt; sowohl der Kuri als auch der an den Shoin östlich angebaute Genkan besitzen einen Zugang von der östlich gelegenen kleinen Stichstraße. Im Südosten des Shoin befindet sich noch ein Schatzhaus (Hozo, Houzou) mit quadratischem Grundriß und einem Pyramidendach im Eck des Gartens. In der Trennmauer zwischen Shoin und Hondo ist das Tor Kuro-mon in die mit fünf weißen Horizontalstreifen markierte gelbe Mauer eingefügt, ein schlichtes Holztor mit zwei Flügeln ohne Dach.

Der Friedhof des Tempels liegt im Westen außerhalb der rechteckigen Parzelle jenseits der Straße und grenzt an die Kyoto Municipal Ninna Elementary School. Auf dem Friedhof ist das Grab des Samurai Shima Sakon (= Shima Kiyooki, = Shima Tomoyuki, 1540-1600) von Interesse, welcher zuerst ein Vasall von Tsutsui Junkei und später einer von Ishida Mitsunari war und als solcher in der Schlacht von Sekigahara als Kommandeur von 1000 Mann kämpfte und von Kuroda Nagamasa (2568-1623) besiegt wurde. Wann und wie er starb, ist unklar, weil er nicht auf dem Schlachtfeld gefunden wurde, entweder starb er wenig später an seinen Wunden oder wurde nach der Schlacht unerkannt auf der Flucht erschlagen oder erschossen.


Subtempel
Rechts und links der Haupthalle sind separat ummauerte Subtempel zu finden, auf der Westseite der Kyoho-in (Kyogyo-in, Kyougyou-in) und weiter nach Norden der Shogyo-in (Shougyou-in), und auf der Ostseite der Dairin-in und dahinter der Kogen-in (Kougen-in). Alle vier grenzen mit ihrer Außenseite an die beiden die Parzelle im Westen und im Osten begrenzenden und in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen. Der erste, dritte und vierte der genannten Subtempel haben ihr Eingangstor einwärts zum Hondo hingewendet, nur der zweite zur Straße. Diese vier Subtempel bilden den kläglichen Rest, der von einst 20 Subtempeln geblieben ist, eine Folge der antibuddhistischen Politik der Meiji-Zeit.


Sanmon


Glockenturm (Shoro)


Myoken-do


Setsu-do


Soshido


Haupthalle, Hondo


Literatur, Links und Quellen:
Lokalisierung auf Google Maps: https://www.google.de/maps/@35.0250171,135.7383168,18.76z - https://www.google.de/maps/@35.0249343,135.7385848,217m/data=!3m1!1e3
Ryuhon-ji auf Kyotofukoh:
https://kyotofukoh.jp/report317.html
Ryuhon-ji auf Happy Travelling:
http://happy-travelling.com/shop/ryuhon-ji-temple/
Ryuhon-ji auf Zekkeijapan:
https://zekkeijapan.com/spot/index/541/
bei Damien Douxchamps:
https://damien.douxchamps.net/photo/japan/kansai/kyoto/central/ryuhon-ji/
Nichiren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nichiren - https://en.wikipedia.org/wiki/Nichiren
Nichiren-Buddhismus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nichiren-Buddhismus
Bernhard Scheid:
Religion-in-Japan: Ein Web-Handbuch. Universität Wien, seit 2001. Kapitel über den Nichiren-Buddhismus: https://www.univie.ac.at/rel_jap/an/Geschichte/Nichiren
Nichizo:
https://en.wikipedia.org/wiki/Nichiz%C5%8D
Shima Sakon auf Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Shima_Sakon
Shima Sakon auf Samurai-Wiki:
https://wiki.samurai-archives.com/index.php?title=Shima_Sakon


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